Zwei Flaggschiffe auf Kurs gebracht
Die EU hat das Human Brain Project und Graphene Flagship als Flaggschiff-Projekte ausgewählt. Jede Initiative wird in den nächsten zehn Jahren mit bis zu einer Milliarde Euro gefördert.
Noch nie ging es bei einem Forschungsprojekt um so viel Geld: Eine Förderung von einer Milliarde Euro erhalten nun die zwei Gewinner des EU-Programms „Future and Emerging Technologies“ (FET), die am 28. Januar gekürt worden sind. Zwei Initiativen, die sich um die Erforschung des menschlichen Gehirns bzw. um Graphen drehen, haben sich in einem mehrjährigen Begutachtungsprozess gegen 19 konkurrierende Projekte durchgesetzt, die sich ebenfalls um diese beachtliche Fördersumme beworben hatten. Neelie Kroes, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, sprach von einem „wichtigen Tag für Europa“, bevor sie in einer Pressekonferenz die siegreichen Projekte vorstellte.
Für das laufende Jahr erhalten die beiden Projekte zunächst jeweils 54 Millionen Euro, der Rest soll aus dem EU-Programm „Horizont 2020“ kommen, dessen Haushalt derzeit verhandelt wird. Die EU-Kommission hat dafür stolze 80 Milliarden Euro für einen Zeitraum von sieben Jahren vorgeschlagen. Nur etwa die Hälfte der Fördersumme erhalten die erfolgreichen FET-Projekte allerdings von der EU, den Rest sollen die beteiligten Länder und Projektpartner beisteuern. Wie die Finanzierung konkret aussehen wird, steht also noch in den Sternen.
Ziel des Human Brain Projects ist es, das menschliche Gehirn möglichst detailliert zu beschreiben und zu untersuchen, wie es funktioniert. Dies könnte helfen, Erkrankungen wie Alzheimer zu verstehen und zu heilen. Rund 250 Forscher aus 23 Ländern bauen dazu eine einzigartige Infrastruktur auf, in der sie Hirnforschung und Informationstechnologie vernetzen und weiterentwickeln wollen. Die dafür notwendigen Simulationen sollen auf Europas schnellstem Supercomputer im Forschungszentrum Jülich erfolgen. Karlheinz-Meier, Physikprofessor und Co-Koordinator des Projekts, will mit seinen Mitarbeitern am Kirchhoff-Institut für Physik in Heidelberg eine Plattform für neuromorphes Rechnen aufbauen. Ein solches System basiert auf den elektronischen Modellen neuronaler Schaltkreise.
Graphen gilt als Wundermaterial der Nanotechnologie. In verspannter Form zeigt es besondere magnetische Eigenschaften. Die Atome bilden hierbei sechseckige Waben. (Bild: University of Manchester)
In dem zweiten Projekt geht es darum, die einzigartigen Eigenschaften des „Wundermaterials“ Graphen genauer zu untersuchen und Verfahren für die großtechnische Herstellung zu entwickeln. Graphen ist nur eine Atomlage dünn, aber 100- bis 300-mal fester als Stahl, es leitet den elektrischen Strom besser als Kupfer und ist nahezu transparent. Damit könnte Graphen zahlreiche Anwendungen ermöglichen, z. B. flexible Elektronik, verbesserte Batterien oder schnelle elektronische und optische Bauteile. 126 akademische und industrielle Forschungsgruppen in 17 europäischen Ländern arbeiten an dieser Initiative mit, auch hier sind deutsche Wissenschaftler maßgeblich beteiligt, beispielsweise von der RWTH Aachen, den Universtäten Freiburg, Hamburg und Regensburg oder auch von der Max-Planck-Gesellschaft.
Noch in diesem Monat werden die Projektverantwortlichen in die Verhandlungen mit der EU eintreten, um die Verträge für die 30monatige Anlaufphase auszuhandeln. Vermutlich im September könnten beide Projekte mit der konkreten Arbeit loslegen, wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind. Die Erwartungen an das Human Brain Project und Graphene Flagship dürften angesichts der enormen Fördersumme und der langen Laufzeit von zehn Jahren entsprechend hoch sein. Aber Neelie Kroes ist sich sicher, dass sich beide Projekte auszahlen werden und appelliert an die EU-Mitgliedsstaaten, das Richtige für Europas Zukunft zu tun, wenn sie Anfang Februar über den Haushalt für 2014 bis 2020 zu entscheiden haben. „Heute geht es darum, neue Produkte zu finden, neue Lösungen und neue Möglichkeiten, von denen jeder Europäer profitiert. Daher gibt es heute nicht nur zwei Gewinner, sondern 500 Millionen Gewinner“, ist Kroes überzeugt.
Maike Pfalz