20.10.2014

Zweierlei Erstaunliches bei Kupferoxid

Neuer Effekt bei Hoch­temperatur­supra­leitern mög­licher­weise wich­tig für grund­sätz­li­ches Ver­ständnis.

Ein international besetztes Forschungsteam mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums SLAC und der Universität Stanford sowie des Paul-Scherrer-Instituts hat ein neues, unerwartetes Verhalten in kupferbasierten Hoch­tempe­ratur­supra­leitern beobachtet. Das keramische Kupferoxid leitet normalerweise keinen Strom. Es kann aber zum Supraleiter werden, wenn es gekühlt und dotiert wird. Sind es Atome, die zusätzliche Elektronen liefern, muss man auf 30 Kelvin kühlen. Fügt man aber welche bei, die die Zahl der Elektronen reduzieren, reicht es, auf 120 Kelvin zu kühlen. Ein Ziel des Forschungsprojekts war es, den Grund für dieses unterschiedliche Verhalten unter Dotierung herauszubekommen.

Abb.: Thorsten Schmitt und Yaobo Huang an der ADRESS-Strahllinie der SLS (Bild: PSI. M. Dzambegovic)

Um zu bestimmen, wie sich die Eigenschaften des Materials durch die Dotierung ändern, nutzten die Forschenden eine moderne Experimentiertechnik mit Röntgenlicht – die resonante inelastische Röntgenstreuung RIXS. Die Experimente wurden am RIXS-Instrument an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts PSI durchgeführt. „Diese Anlage hat die zurzeit höchste Auflösung weltweit und kann zeigen, wie sich die Elektronen unter Anregung durch Röntgenlicht bewegen“, so Thorsten Schmitt, der für die Anlage verantwortliche Wissenschaftler am PSI. Bei einem RIXS-Experiment strahlt man Röntgenlicht auf die Probe. Dies regt in der Probe eine Spinwelle an. Dabei gibt das Röntgenlicht einen Teil seiner Energie an die magnetische Welle ab. Vergleicht man die Energie des eingestrahlten Röntgenlichts mit jener des von der Probe gestreuten Röntgenlichts, erhält man Informationen über die Eigenschaften der angeregten magnetischen Welle – insbesondere deren Energie.

Die Anregungen breiten sich durch das Material aus, wenn sich irgendwo eine Eigenschaft des Materials verändert. Bei den veränderten Eigenschaften kann es sich um die Verteilung der elektrischen Ladungen oder, wie hier, um die magnetische Ordnung im Material handeln. Eine magnetische Ordnung kann entstehen, weil sich Elektronen im Inneren mancher Materialien wie winzige Magnete verhalten. Sind diese Magnete in einem regelmäßigen Muster angeordnet, hat man eine magnetische Ordnung. In dieser Ordnung können Wellen angeregt werden, wenn einzelne Magnete aus ihrer Position ausgelenkt werden und wenn sich diese Auslenkung von Magnet zu Magnet fortpflanzt. Dabei breitet sich die Anregung nicht unbedingt in der gleichen Richtung aus, in der die einzelnen Magnete ausgelenkt werden. Dafür ist vor allem die Ausbreitungsrichtung der Welle als Ganzes wichtig.

Die Experimente zeigten zweierlei Erstaunliches: „Zum einen nahm in den untersuchten Materialien mit Elektronenüberschuss die magnetische Energie, die von den Anregungen transportiert wurde, in unerwartet hohem Ausmaß zu. Zum anderen wurde in ebendiesen Materialien die Entstehung neuer kollektiver Anregungen festgestellt“, berichtet Wei-Sheng Lee. „Es ist jedoch rätselhaft, warum man diese Phänomene in den elektronenarmen Materialien nicht beobachtet, denn eigentlich würde man in diesen ein ähnliches Verhalten erwarten wie in den Materialien mit Elektronenüberschuss.“

Die neue Entdeckung ist ein weiterer Schritt auf dem langen und mühsamen Weg hin zum Verständnis der Hochtemperatursupraleitung. Seit den 1950er-Jahren wissen Wissenschaftler, warum bestimmte Metalle und einfache Legierungen supraleitend werden, wenn man sie auf wenige Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt kühlt. Ihre Elektronen finden sich zu Paaren zusammen, die von atomaren Schwingungen zusammengehalten werden, die wie eine Art virtueller Klebstoff wirken. Oberhalb einer bestimmten Temperatur hält der Klebstoff nicht mehr, weil die immer stärkere Bewegung der Atome in dem Supraleiter die Elektronen voneinander trennt und so die Supraleitung zum Verschwinden bringt.

Video: Eine Spinwelle breitet sich in einem antiferromagnetischen Material aus. Hier haben benachbarte Atome (Kugeln) entgegengesetzte Spins (Pfeile) haben. Wenn ein Photon (goldene Kugel) mit der richtigen Wellenlänge ein Atom trifft und seinen Spin auslenkt, breitet sich diese Auslenkung durch das Material aus. Diese Spinwellen können mit einem als RIXS bekannten Untersuchungsverfahren nachgewiesen werden. (Quelle: SLAC, M. Böhm, A. Filhol & M. Ippersiel / Neutrons4Science)

Doch noch ist unklar, wie die Paarung der Elektronen in Hoch­tempe­ratur­supra­leitern genau zustande kommt. Bis vor Kurzem ist man davon ausgegangen, dass die Elektronenpaare bei höheren Temperaturen von starken magnetischen Anregungen zusammengehalten werden, die durch Wechselwirkungen zwischen den Spins der Elektronen erzeugt werden. Neuste Computerberechnungen, die Forschende vom SLAC und der Universität Stanford erarbeitet haben, zeigen aber, dass die hochenergetischen magnetischen Wechselwirkungen nicht alleine für die Bildung von Elektronenpaaren und somit für die Hochtemperatursupraleitung verantwortlich sind.

Lee betont, dass auch nach den jüngsten Ergebnissen unklar ist, ob die neu beobachteten, kollektiven Anregungen der elektrischen Ladungen einen Zusammenhang mit der Paarung der Elektronen in den untersuchten Hoch­tempe­ratur­supra­leitern haben. Man weiß denn auch nicht, ob der neue Effekt für die Supraleitung in den untersuchten Materialien förderlich oder eher hinderlich ist. „Theoretische Physiker werden nun die neuen Ergebnisse in ihren Erklärungen zur Entstehung der Hoch­tempe­ratur­supra­leitung berücksichtigen müssen“, sagt Schmitt.

PSI / SLAC / OD

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