Zweifel an der Existenz von Quanten-Spin-Flüssigkeiten
Spins treten in Dreiecksgittern in räumlich voneinander getrennten Paaren auf.
Als Quanten-Spin-Flüssigkeit bezeichnet man einen Materiezustand, in dem sich auch bei tiefsten Temperaturen die Quantenspins nicht ausrichten, sondern ungeordnet bleiben. Geforscht wird an diesem Zustand schon seit fast fünfzig Jahren, doch ob es ihn wirklich gibt, konnte nie zweifelsfrei nachgewiesen werden. Untersuchungen eines internationalen Teams um Martin Dressel von der Uni Stuttgart lassen jetzt Zweifel an der Existenz von Quanten-Spin-Flüssigkeiten aufkommen.
Bei ausreichend niedriger Temperatur ordnen sich die als Spins bezeichneten magnetischen Momente so an, dass sie entgegengesetzt zu ihren jeweiligen Nachbarn ausgerichtet sind. Schwierig wird es, wenn das Muster auf Dreiecken basiert: Während sich zwei Spins gegengleich ausrichten können, ist der Dritte grundsätzlich zu einem davon parallel zum anderen nicht. Für dieses Problem schlägt die Quantentheorie als Lösung vor, dass die Orientierung und Verbindung zweier Spins nicht starr festlegt werden, sondern die Spins fluktuieren. Man spricht dann von einer Quanten-Spin-Flüssigkeit, in der die Spins gemeinsam ein quantenmechanisch verschränktes Ensemble bilden.
Vorgeschlagen hat diese Idee vor fast fünfzig Jahren der amerikanische Nobelpreisträger Phil Anderson. Nach jahrzehntelanger Forschung sind bei der Suche nach diesem exotischen Zustand der Materie nur eine Handvoll Systeme übriggeblieben. Als besonders aussichtsreicher Kandidat galt dabei ein Dreiecksgitter in einer komplexen organischen Verbindung, bei der selbst bei extrem niedrigen Temperaturen keine magnetische Ordnung mit regelmäßigem auf-ab-Muster zu beobachten war. War dies der Beweis, dass es Quanten-Spin-Flüssigkeiten wirklich gibt?
Das Problem: Es ist ausgesprochen schwierig, den Elektronenspin bis hinunter zu extrem tiefen Temperaturen zu messen, insbesondere entlang verschiedener Kristallrichtungen und in veränderlichen Magnetfeldern. Alle bisherigen Experimente konnten Quanten-Spin-Flüssigkeiten nur mehr oder weniger indirekt nachweisen, und ihre Interpretation legt bestimmte Annahmen und Modelle zugrunde. An der Uni Stuttgart hat man deshalb über viele Jahre eine neue Methode der breitbandigen Elektronenspin-Resonanzspektroskopie entwickelt. Mit Hilfe von Mikrowellenleitungen ist diese in der Lage, die Eigenschaften der Spins bis hinab auf wenige tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt direkt zu beobachten.
Dabei stellten die Forscher fest, dass sich die magnetischen Momente weder im auf-ab-Muster eines typischen Magneten arrangieren noch in einem dynamischen Zustand ähnlich einer Flüssigkeit. „Tatsächlich beobachteten wir die Spins in räumlich voneinander getrennten Paaren. Damit haben unsere Experimente den Traum einer Quanten-Spin-Flüssigkeit zumindest für diese Verbindung erst einmal zerplatzen lassen“, resümiert Dressel.
Doch auch wenn die Paare nicht fluktuieren wie erhofft, hat dieser exotische Grundzustand der Materie für die Physiker nichts an seiner Faszination eingebüßt. „Als nächstes wollen wir untersuchen, ob Quanten-Spin-Flüssigkeiten vielleicht in anderen Dreiecksgittern oder gar in ganz anderen Systemen wie etwa Bienenwaben nachzuweisen sind“, skizziert Dressel die nächsten Schritte. Es könnte jedoch auch sein, dass es so einen ungeordneten, dynamischen Zustand in der Natur einfach nicht gibt. Vielleicht führt jede Art von Wechselwirkung auf die eine oder andere Weise zu einer regelmäßigen Anordnung, wenn die Temperatur niedrig genug ist.
U. Stuttgart