16.04.2021 • Quantenphysik

Zweifel an der Existenz von Quanten-Spin-Flüssigkeiten

Spins treten in Dreiecksgittern in räumlich voneinander getrennten Paaren auf.

Als Quanten-Spin-Flüssigkeit bezeichnet man einen Materie­zustand, in dem sich auch bei tiefsten Temperaturen die Quanten­spins nicht ausrichten, sondern ungeordnet bleiben. Geforscht wird an diesem Zustand schon seit fast fünfzig Jahren, doch ob es ihn wirklich gibt, konnte nie zweifels­frei nach­ge­wiesen werden. Unter­suchungen eines inter­nationalen Teams um Martin Dressel von der Uni Stuttgart lassen jetzt Zweifel an der Existenz von Quanten-Spin-Flüssig­keiten auf­kommen.

Abb.: Anordnung der Spins in einem Dreiecks­gitter: Je zwei Spins bilden ein...
Abb.: Anordnung der Spins in einem Dreiecks­gitter: Je zwei Spins bilden ein Paar, wobei sich von außen betrachtet ihre mag­ne­tischen Momente gegen­seitig auf­heben. (Bild: U. Stuttgart)

Bei ausreichend niedriger Temperatur ordnen sich die als Spins bezeichneten magnetischen Momente so an, dass sie entgegen­gesetzt zu ihren jeweiligen Nachbarn aus­ge­richtet sind. Schwierig wird es, wenn das Muster auf Dreiecken basiert: Während sich zwei Spins gegengleich ausrichten können, ist der Dritte grund­sätz­lich zu einem davon parallel zum anderen nicht. Für dieses Problem schlägt die Quanten­theorie als Lösung vor, dass die Orien­tie­rung und Verbindung zweier Spins nicht starr festlegt werden, sondern die Spins fluktuieren. Man spricht dann von einer Quanten-Spin-Flüssig­keit, in der die Spins gemeinsam ein quanten­mechanisch verschränktes Ensemble bilden.

Vorgeschlagen hat diese Idee vor fast fünfzig Jahren der amerikanische Nobel­preis­träger Phil Anderson. Nach jahrzehnte­langer Forschung sind bei der Suche nach diesem exotischen Zustand der Materie nur eine Handvoll Systeme übrig­geblieben. Als besonders aussichts­reicher Kandidat galt dabei ein Dreiecks­gitter in einer komplexen organischen Verbindung, bei der selbst bei extrem niedrigen Temperaturen keine magnetische Ordnung mit regel­mäßigem auf-ab-Muster zu beobachten war. War dies der Beweis, dass es Quanten-Spin-Flüssig­keiten wirklich gibt?

Das Problem: Es ist ausgesprochen schwierig, den Elektronen­spin bis hinunter zu extrem tiefen Temperaturen zu messen, insbesondere entlang verschiedener Kristall­richtungen und in veränder­lichen Magnet­feldern. Alle bisherigen Experimente konnten Quanten-Spin-Flüssig­keiten nur mehr oder weniger indirekt nach­weisen, und ihre Inter­pretation legt bestimmte Annahmen und Modelle zugrunde. An der Uni Stuttgart hat man deshalb über viele Jahre eine neue Methode der breit­bandigen Elektronen­spin-Resonanz­spektro­skopie entwickelt. Mit Hilfe von Mikro­wellen­leitungen ist diese in der Lage, die Eigen­schaften der Spins bis hinab auf wenige tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt direkt zu beobachten.

Dabei stellten die Forscher fest, dass sich die magnetischen Momente weder im auf-ab-Muster eines typischen Magneten arrangieren noch in einem dynamischen Zustand ähnlich einer Flüssig­keit. „Tatsächlich beobachteten wir die Spins in räumlich vonein­ander getrennten Paaren. Damit haben unsere Experimente den Traum einer Quanten-Spin-Flüssigkeit zumindest für diese Verbindung erst einmal zerplatzen lassen“, resümiert Dressel.

Doch auch wenn die Paare nicht fluktuieren wie erhofft, hat dieser exotische Grund­zustand der Materie für die Physiker nichts an seiner Faszination eingebüßt. „Als nächstes wollen wir unter­suchen, ob Quanten-Spin-Flüssig­keiten vielleicht in anderen Dreiecks­gittern oder gar in ganz anderen Systemen wie etwa Bienen­waben nach­zu­weisen sind“, skizziert Dressel die nächsten Schritte. Es könnte jedoch auch sein, dass es so einen ungeordneten, dynamischen Zustand in der Natur einfach nicht gibt. Vielleicht führt jede Art von Wechsel­wirkung auf die eine oder andere Weise zu einer regel­mäßigen Anordnung, wenn die Temperatur niedrig genug ist.

U. Stuttgart

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