Zwergstern mit Riesenplanet
Exoplanet fordert Modelle zur Entstehung von Planeten heraus.
Astronomen des CARMENES-Konsortiums haben einen neuen Exoplaneten entdeckt, der nach derzeitigem Wissensstand nicht existieren dürfte. Die Forschungsgruppe fand einen Gasplaneten, dessen Masse im Vergleich zu seinem Zentralstern GJ 3512 ungewöhnlich groß ist. Die Wissenschaftler folgern, dass der Planet wahrscheinlich durch einen gravitativen Kollaps in einer Scheibe aus Gas und Staub entstand, die sich um den damals noch jungen Zwergstern befand. Das widerspricht dem aktuell weithin akzeptierten Modell der Planetenentstehung, das für das Aufsammeln des umgebenden Gases einen festen Kern benötigt.
Planeten sind ein Nebenprodukt der Entstehung von Sternen. Sie bilden sich in einer Materiescheibe um ihren jungen Zentralstern. Das vorherrschende Modell für die Entstehung von Planeten basiert auf der Vorstellung, dass sich zunächst ein Objekt aus festen Teilchen in der Scheibe aufbaut. Die Schwerkraft dieses Planetenkerns sorgt dafür, dass sich eine Atmosphäre aus dem umgebenden Gas formiert. Der jetzt aufgespürte Gasplanet GJ 3512b, ist dreißig Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt und hat eine Masse von mindestens der Hälfte des Jupiters. Für einen Umlauf um seinen Zentralstern GJ 3512 benötigt er 204 Tage. Für sich genommen ist GJ 3512b nicht außergewöhnlich – wohl aber, dass er sich in einem Orbit um einen roten Zwergstern befindet. Dieser besitzt nur zwölf Prozent der Masse der Sonne, so dass das Massenverhältnis zwischen dem Stern und dem Planeten höchstens 270 beträgt. Im Vergleich dazu ist die Sonne etwa 1050-mal schwerer als Jupiter. Dieses Detail bereitet den Forschern Kopfzerbrechen. Die Gas- und Staubscheiben, aus denen sich massearme Sterne wie GJ 3512 bilden, sollten ebenfalls eher wenig Material beinhalten. Zu wenig, wie die Modelle ergeben, um Planetenkerne entstehen zu lassen, aus denen sich Gasriesen wie GJ 3512b entwickeln können.
„Ein Ausweg bestünde in einer sehr massereichen Scheibe, die die benötigten Bausteine in ausreichender Menge besitzt“, erklärt Hubert Klahr, der am MPIA eine Arbeitsgruppe zur Theorie der Planetenentstehung leitet. Wenn jedoch eine Scheibe aus Gas und Staub, die sich um einen Stern befindet, mehr als ungefähr ein Zehntel der Sternmasse besitzt, reicht die Gravitationswirkung des Sterns nicht mehr aus, um die Scheibe stabil zu halten. Die Schwerkraft des Scheibenmaterials selbst macht sich bemerkbar und beeinflusst ihre Struktur. Ein gravitativer Kollaps des Gases wie bei der Entstehung von Sternen ist die Folge. Solch massereiche Scheiben sind bei jungen Zwergsternen allerdings bislang nicht beobachtet worden.
Noch schwieriger wird die Situation dadurch, dass es Hinweise auf einen zweiten Planeten gibt, der sich in einem weiten Orbit um GJ 3512 befindet. Zusätzlich zu diesen beiden Planeten spricht die stark elliptische Bahn von GJ 3512b sogar dafür, dass er einst von einem dritten Planeten ähnlicher Masse gravitativ beeinflusst wurde. Dieser mutmaßliche dritte Planet muss dabei jedoch offensichtlich aus dem Planetensystem geschleudert worden sein. Neben GJ 3512b musste die ursprüngliche Scheibe also Material für weitere Planeten bereitstellen. Die dafür erforderliche Scheibenmasse liegt damit klar außerhalb der Grenzen der aktuellen Stern- und Planetenbildungsmodelle.
Somit folgerten die Forscher, die sich mit der Simulation der Entstehung von Planeten befassen, dass das Modell der Kern-Akkretion nicht in der Lage ist, die Existenz von GJ 3512b zu erklären. Deswegen haben sie untersucht, unter welchen Bedingungen das bislang eher vernachlässigte Szenario des gravitativen Kollapses innerhalb einer Scheibe aus Gas und Staub um einen jungen Stern zur Bildung eines Planeten wie GJ 3512b führen könnte.
Mit unterschiedlichen Ansätzen kamen sie zu dem Ergebnis, dass GJ 3512b über diesen Prozess hätte entstehen können. Die Bereiche in der Scheibe jenseits von zehn Astronomischen Einheiten vom Zentralstern sind mit Temperaturen von etwa zehn Kelvin sehr kalt. Dort vermag der thermische Druck die Gravitationswirkung des Materials nicht auszugleichen, so dass sie unter ihrem Eigengewicht kollabiert. Im Anschluss muss der noch junge Planet über große Distanzen auf seine derzeitige Position gewandert sein, die sich in einer Entfernung von deutlich unter einer Astronomischen Einheit vom Zentralstern befindet. Das ist wiederum mit den aktuellen Modellen der Entwicklung von Planetensystemen verträglich.
GJ 3512b wurde mit dem Spektrographen CARMENES über die Methode der Radialgeschwindigkeiten entdeckt. CARMENES nimmt Spektren im sichtbaren sowie im infraroten Licht auf. „Rote Zwergsterne wie GJ 3512 können sehr aktiv sein und Signale erzeugen, die denen von Planeten ähneln“, erklärt Diana Kossakowski vom MPI für Astronomie, die an der Auswertung der Daten mitwirkte. „Die Infrarot-Spektren waren wichtig, um zu bestätigen, dass wir tatsächlich einen Planeten gefunden haben.“
„Bisher waren die einzigen Planeten, deren Bildung mit Scheibeninstabilitäten kompatibel waren, eine Handvoll junger, heißer und sehr massereicher Planeten in großer Entfernung von ihren Sternen“, gibt Klahr zu bedenken. „Mit GJ 3512b haben wir nun einen außergewöhnlichen Kandidaten für einen Planeten, der über die Instabilität einer Scheibe um einen recht massearmen Stern entstanden sein könnte. Dieser Fund veranlasst uns zur Überprüfung unserer Modelle.“
MPIA / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. C. Morales et al.: A giant exoplanet orbiting a very-low-mass star challenges planet formation models, Science 365, 1441 (2019); DOI: 10.1126/science.aax3198 - CARMENES – Calar Alto high-Resolution search for M dwarfs with Exoearths with Near-infrared and optical Echelle Spectrographs
- FG Theorie der Planeten- und Sternentstehung (H. Klahr), Abt. Planeten- und Sternentstehung, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg