Let's get physical! – Yannick Paget: Consciousness. A String Symphony
Yannick Pagets Komposition ist eine immersive audiovisuelle Inszenierung, welche die Grundlagen der Physik mit allen Sinnen erlebbar machen möchte – am 15. November auch in Münster.
Alexander Pawlak

Wie klingt eine physikalische Theorie? Johannes Kepler postulierte in seiner „Weltharmonik“ (Harmonice Mundi, 1619) geradezu eine Partitur für die Bahnen der Planeten um die Sonne, die er auf die Platonischen Körper zurückgeführt hatte: Er schrieb den Planeten Tonintervalle zu, dem Mars beispielsweise die Quinte oder dem Saturn die große Terz. Jeder der Planeten erklang in seiner eigenen Tonart.
Selbst wenn wir wissen, dass keine Sphärenmusik im Sonnensystem erklingt, ist das eine immer noch schöne und anregende Vorstellung. Wie könnte die Welt der Quanten und der fundamentalen Kräfte klingen? Das hat den französischen Komponisten und Dirigenten Yannick Paget in enger Zusammenarbeit mit dem japanischen Physiker Koji Hashimoto zu einer ungewöhnlichen Symphonie inspiriert. Ausgangspunkt war der Gedanke, dass Schwingungen und Wellen zentral sind sowohl für Musik als auch – allerdings in einer ganz anderen Interpretation – für die Welt der Quanten. Diese Gemeinsamkeit sollte sich nutzen lassen, um die Faszination der Quantenmechanik für möglichst viele Menschen erklingen zu lassen.
Was naheliegend scheint, entwickelte sich zu einem multimedialen und immersiven Musikprojekt, das klassische Vorstellungen sprengt, wie es auch die Quantenmechanik getan hat. Zum Einsatz kommen neben gewohnten klassischen Klangkörpern neuartige Musikinstrumente, insbesondere das Ceramophone des japanischen Künstlers Toru Kurokawa, Echtzeit-Videoprojektionen sowie Projektionen und Inszenierungen. Dafür hat Yannick Paget mit dem N'SO Kyoto ein passendes internationales Ensemble gegründet, dass die Verbindungen von Wissenschaft und Musik auslotet und dabei möglichst viele Sinne des Publikums anregen möchte.

Inspiriert von den Begegnungen mit Hashimoto entwickelte Paget unter anderem auf der Grundlage der Stringtheorie eine neue musikalische Sprache. Die Stringtheorie ist ein Ansatz, um alle bekannten Wechselwirkungen, die Gravitation eingeschlossen, zu vereinigen. Noch ist das reine Hypothese. In ihrem Rahmen sind die elementaren Bausteine der Materie nicht punktförmige Teilchen, sondern eindimensionale „strings“, auf Deutsch „Saiten“ – ein Anreiz für die Musik. Die Wechselwirkung zwischen Strings besteht darin, dass sich diese verbinden und in andere Strings zerfallen können.
Um die Stringtheorie zu „musikalisieren“, gingen Paget und Hashimoto von den sogenannten Chan-Paton-Faktoren aus, die bestimmen, wie die Schwingungen und Wechselwirkungen dieser Strings die verschiedenen Arten von subatomaren Teilchen erzeugen. Die Ergebnisse ihrer Analyse führten sie zu einer Reihe von drei Noten, die für jede Art von Teilchen sowie für jede Art von Antiteilchen einen Akkord bilden. Darauf basierend war es möglich, einige der grundlegenden physikalischen Wechselwirkungen musikalisch wiederzugeben.
Aus dem intensiven Austausch von Physiker und Musiker entstanden nach und nach die fünf Sätze der Symphonie, die von Frühjahr bis Winter 2022 separat in immersiven, ortsspezifischen Installationen in Kyoto aufgeführt wurden: „I. Relativity“, „II. Quantum“, „III. Dual Resonance“, „IV. Singularity“ und „V. Fundamental Interactions".
Jeder Satz hat seine Klangcharakteristik und sein eigenes Instrumentarium. So ist der zweite Satz „Quantum“ ein Solostück, das unter anderem Perkussion, Synthesizer und Keramikskulpturen nutzt, die durch die Veranschaulichungen von Mannigfaltigkeiten in der Stringtheorie inspiriert sind. „Perkussion passt zum Quantenbereich – insbesondere das Konzept der Resonanz, da Perkussionisten stets im Dialog mit Materie stehen und immer auf der Suche nach neuen Klängen sind“, sagt Yannick Paget. Quantum 2.0 spielt in zwei Welten, sowohl real als auch in VR und wurde auf der Weltausstellung in Osaka uraufgeführt. Am 12. November erlebt das Werk im Theater im Pumpenhaus in Münster seine Deutschlandpremiere.
Wenn man sich auf die neuartige Klangsprache und Herangehensweise einlässt, bieten Pagets Kompositionen eine faszinierende Gelegenheit, die grundlegenden Konzepte der modernen Physik sinnlich zu erfahren. Live war das bislang nur in Japan möglich. Doch mit der großen Abschlussveranstaltung zum Quantenjahr bietet sich am 15. November in Münster die Gelegenheit, die symphonische Komposition Fundamental Interaction zu erleben, die dem Traum von der physikalischen Vereinigung aller Kräfte gewidmet ist.
Dieses Konzert, für das es noch Karten gibt, ist der erste Auftritt von N’SO KYOTO in Europa und verspricht noch weitere Besonderheiten, denn auf Anregung des Physikdidaktikers Stefan Heusler von der Universität Münster hat Paget die Komposition nochmals um Multimediaelemente und eine Chor-Partie erweitert, um 100 Jahre Quantenmechanik zu feiern. Der gesungene Text stammt vom britischen Autor und Komponisten Chris Mosdell, der sich durch die Zusammenarbeit mit angloamerikanischen wie japanischen Musiker:innen einen Namen gemacht hat, darunter Michael Jackson, Sarah Brightman und Ryuichi Sakamoto.
Die Musik verlässt in diesem letzten Satz die subatomare Ebene und betritt mit dem Einsatz des Chores die menschliche Ebene. Dieser letzte Satz erinnert an die menschliche Interaktion durch ein Jahrhundert der Forschung und Träume – ein Spiegelbild der anhaltenden Hoffnung der Menschheit auf Frieden für die nächsten 100 Jahre.
„Die Musik kann eine Brücke sein, um einen Zugang zur Physik zu finden. Aber man kann sie auch einfach genießen“, meint Stefan Heusler, der das ehrgeizige Projekt für den Abschluss des Quantenjahres vorgeschlagen und auf den Weg gebracht hat. „Quantenphysik ist gar nicht so schwer, wie man meint“, betont er: „Die Grundideen sind einfach nur ungewohnt.“ Modelle, Visualisierungen, Experimente – diese Zutaten gehören für ihn zu einem erfolgreichen Rezept, um Quantenphysik anschaulich zu machen.
Jukebox
- Komposition: Yannick Paget: Consciousness. A String Symphony (N'SO Kyoto)
- Quantum100: Multimediales Abschlusskonzert in Münster am 15. November 2025 (mit Konzert-Teaser)
- N'SO Kyoto (Homepage), auf YouTube
- Yannick Paget, auf SoundCloud
- Koji Hashimoto (Universität Kyoto)










