Meine liebe Li! – Der Briefwechsel 1937 – 1946
Werner Heisenberg: Meine liebe Li! – Der Briefwechsel 1937 – 1946, Residenz, St. Pölten 2011, 352 S., geb., 26,90 Euro, ISBN 9783701732470
Werner Heisenberg
Wieder gibt es ein neues Buch zu Heisenberg, diesmal ist es der Briefwechsel von Werner und Elisabeth Heisenberg von 1937 bis 1946, herausgegeben von deren Tochter Anna Maria Hirsch-Heisenberg. Eine umfangreiche Korrespondenz, die zu den breit geführten Diskussionen über Heisenbergs Besuch bei Bohr, seine Mitarbeit im Atombombenprojekt und sein Verhalten in der NS-Zeit allerdings wenig Neues oder Überraschendes bietet. Hauptthema ist die Beziehung der Eheleute und die Organisation ihres Alltags. In der schnell wachsenden Familie mit zwei Wohnsitzen und wechselnden Haushälterinnen gab es viel zu besprechen. Dies macht die Lektüre etwas mühsam – trotz einiger Kürzungen. Verstreut finden sich aber auch Äußerungen über die politische Situation.
Die Briefe lassen zwischen den Zeilen immer wieder eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus erkennen. Gelegentlich wird die Gesinnung von Nationalsozialisten direkt kritisiert, z. B. die ausgeprägte NS-Pädagogik der Haushälterin. Es gibt aber auch zustimmende Äußerungen, wie etwa im Herbst 1941, als Heisenberg in Dänemark war („Bei den unvermeidlichen politischen Gesprächen, bei denen mir natürlich von selbst die Rolle zufiel, unser System zu verteidigen, [...]“). In die Alltagssprache der Heisenbergs sind vereinzelt nationalsozialistische Propagandabegriffe eingeflossen („In einer Diskussion über moderne Kunst – Picasso und noch entarteter – hab ich mich tapfer gewehrt.“)
Der Krieg wurde „auf einmal ganz ernst“, als sich im Sommer 1941 die Todesanzeigen in den Zeitungen häuften. Die eigene Bedrohung verführt im März 1945 zu drastischen Aussagen. So schreibt Heisenberg über die alliierte Luftoffensive, dass diese das „wohl Entsetzlichste sein [wird], was seit dem 30-jährigen Krieg ein Volk in Europa zu ertragen hatte“. In den letzten Kriegsmonaten wird die eigene Situation als „Kampf ums Dasein“ beschrieben, ein Ausdruck, der interessanterweise nach Kriegsende noch häufiger benutzt wird.
Wissenschaftshistorisch aufschlussreich sind Einblicke in Heisenbergs kollegiales Netz. Die Briefe geben Auskunft über fachliche Gesprächspartner und private Treffen. Leider hat die Herausgeberin gerade an diesen Stellen einige Kürzungen vorgenommen. (Für diese Informationen ist man auf die Originalbriefe oder die vollständigen Abschriften angewiesen, die im Internet verfügbar sind: http://werner-heisenberg.unh.edu) Obwohl diese angeblich nichts zeitgeschichtlich Relevantes betreffen, ist doch ein wichtiger Hinweis auf Elisabeths NS-Mitgliedschaften gestrichen worden. ( „Darüber, dass Du zu den ‚Mitläufern‘ gehörst, lass Dir mal keine grauen Haare wachsen. Den ‚Entlastungsantrag‘ würde ich nur stellen, wenn Du nachweisen kannst, dass Du sozusagen ‚gezwungen‘ worden bist, beizutreten.“)
Diese irritierenden Kürzungen schmälern den Wert dieser Briefausgabe; ein Gewinn sind aber die beigefügten Tagebuchaufzeichnungen der letzten zwei Kriegswochen vor Heisenbergs Gefangennahme sowie ein Brief von Carl Friedrich von Weizsäcker an seine Frau vom August 1945 über die deutschen Arbeiten zur Atombombe.
Die Lektüre hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Der Einblick in das Eheleben eines Physikprofessors gepaart mit Äußerungen über das Zeitgeschehen ist interessant – oft verstecken sich aber aufschlussreiche Informationen zwischen Liebesbekundungen und Organisationsfragen. Die Kontextualisierung, die durch diese Mischung aus Alltag, Bombenmeldungen, Kindergeschichten und großer Politik entsteht, ist vielleicht die größte Stärke des Buches.
Dr. Gerhard Rammer, TU Berlin