29.12.2009

Zurück vor den Urknall

Bojowald, M.

Nach einer Serie von populärwissenschaftlichen Büchern zur fundamentalen Physik, d. h. insbesondere zur Frage der Quantengravitation und ihrer Bedeutung für Teilchenphysik und Kosmologie, die bisher vornehmlich von etablierten, amerikanischen Autoren stammen, hat nun der junge deutsche Physiker Martin Bojowald ein viel beworbenes Buch im Fischer Verlag zum Thema vorgelegt. Das Buch selbst ist deutlich besser als es die Werbekampagne erwarten ließ, die mit Annoncen in den Feuilletons die Erkenntnis „Es gab keinen Urknall“ von „Einsteins Nachfolger“ Bojowald verkündete – eine Kampagne, die wohl eher zur Desinformation der interessierten Öffentlichkeit beigetragen haben dürfte.

Thema des Buches ist die Frage nach der Quantentheorie der Gravitation und ihren Konsequenzen für den Anfang unseres Universums. Bojowald ist hierbei ein führender Vertreter des Ansatzes der Schleifen-Quantengravitation, dem stärksten Konkurrenten der populäreren Stringtheorie, der sich in seiner Forschung sehr erfolgreich den kosmologischen Implikationen dieses Ansatzes zugewandt hat. Um die Leser zu diesen mathematisch und konzeptionell anspruchsvollen Fragen hinzuführen, ist zunächst die Diskussion der klassischen Einsteinschen Theorie der Gravitation sowie der Quantentheorie nötig. Dies gelingt dem Autor im Fall der Gravitation außerordentlich gut und er vermittelt mit sehr anschaulichen und neuen Bildern die Grundlagen und die Notwendigkeit einer Urknall-Singularität, die die klassische Theorie ad absurdum führt. Die Diskussion der Quantentheorie hingegen bleibt in ihrer Anschaulichkeit zurück und orientiert sich sehr stark am Begriff der Wellenfunktion und quantenmechani-scher „Gegenkräfte“, die im Bilde Bojowalds die Urknall-Singularität verhindern.

Das zentrale Kapitel ist den Prinzipien der Schleifen-Quantengravitation gewidmet. Aufbauend auf diesem wird das Bojowaldsche Kosmologiemodell diskutiert, das diese generellen Prinzipien nun auf ein (vereinfachtes) homogenes und isotropes System anwendet, wie es vermutlich für die Kosmologie relevant ist. Dieser Ansatz führt auf eine kuriose Differenzengleichung, die die zeitlich diskrete Entwicklung des Universums beschreibt und dabei gleichsam über den Zustand verschwindenden Volumens des Universums „springt“. Die Diskussion gleitet hier aber zuweilen in die wortreiche Beschreibung von mathematischen Formeln ab, die dem Laien leider unverständlich bleiben dürften.

Eines der gelungensten Kapitel ist den Ergebnissen der beobach¬tenden Kosmologie gewidmet: der „Triade“ aus Messungen zur kosmologischen Hintergrundstrahlung, zu Supernovae-Kartierungen und der Nukleosynthese des frühen Universums, welche die empirischen Grundlagen unseres Kosmologiebildes bilden. Sehr anregend ist die Kontrastierung der physikalischen Inhalte des Textes mit vielen wohl gewählten literarischen Zitaten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Martin Bojowald ein gebildetes Buch zu seinem spannenden Forschungsgebiet vorgelegt hat, welches jedoch für Laien anspruchsvolle Kost darstellt.

Prof. Dr. Jan Plefka, Institut für Physik, Humboldt-Universität Berlin

M. Bojowald: Zurück vor den Urknall

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2009, 352 S., geb., ISBN 9783100039101

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