3D-Druck auf dem Mond und Quanten auf dem Vormarsch
Jahresrückblick Vakuum-, Plasma-, Dünnschicht- und Oberflächentechnologie 2021.
Das Jahr begann auch vakuumtechnisch zunächst mit einem Schreck: Additive Fertigungsmethoden mit Tintenstrahldruck und Lasertechnik sollen bei der Produktion von Piezo-MEMS – ureigenstes Gebiet bewährter vakuum- und maskenbasierte Herstellungsmethoden – genau diese nun ersetzen, wie anhand der Herstellung von Miniaturlautsprechern gezeigt wurde. Die Etablierung alternativer, bei Atmosphärendruck ausführbarer Verfahren ist natürlich neben der Entwicklung von kostengünstigeren vakuumtechnischen Komponenten oder der massiven Erhöhung des Produktionsumfangs ein bewährter Ansatz, mithilfe vakuumtechnologischer Methoden erarbeitete Produkte in die breite Anwendung zu überführen.
So behalten wir den 3D-Druck im Auge und stellen fest, dass er sich auch äußerst gut mit Vakuum verträgt: Per Laser aufgeschmolzene Bahnen aus Regolith eröffnen beispielsweise Perspektiven für die Einrichtung einer Infrastruktur auf dem Mond. Das Team vom Projekt Moonrise am Laser-Zentrum Hannover hat nicht nur die Methode entwickelt, sondern die Bedienung des Lasers auch gleich dem Rover MIRA3D des Instituts für Raumfahrtsysteme der Technischen Universität Braunschweig beigebracht. Dieser könnte somit zum Siedlungsbau auf dem Mond aus dem dort im Überfluss vorhandenen Mondstaub beitragen, sobald Projekte wie das Artemis-Programm Fahrt aufnehmen.
Wie gut sich Materialien im Vakuum aufbauen und untersuchen lassen, zeigen die Fortschritte in Oberflächen- und Dünnschichttechnologie, die auch in diesem Jahr in verschiedensten Anwendungsfeldern vermeldet wurden.
Neben dem Wirkungsgradrekord für flexible CIGS-Solarzellen, den eine Forschergruppe des schweizerischen Materialforschungsinstituts EMPA auf einen Wert von 21,4 Prozent angehoben und damit nahe an den Wert nichtbiegsamer kristalliner Siliziumzellen gebracht hat, fand ein internationales Forscherteam ebenfalls unter Leitung des EMPA den Beweis für eines der wichtigsten Modelle des Quantenmagnetismus. Dieses sagt für eine Kette von aneinandergereihten Spin-1-Bausteinen eine Spin-Fraktionierung voraus, sodass sich die Kettenenden wie Spin-½-Objekte verhalten. Die mittels Rasterelektronenmikroskop provozierte magnetische Anregung der Enden einer aus Spin-1-Triangulen-Bausteinen bestehenden Kette zeigte nun tatsächlich einen für Spin-½-Quantenobjekte charakteristischen spektroskopischen Fingerabdruck. Neben der Überprüfung theoretischer Konzepte sind die Untersuchungen auch für das Gebiet des Quantencomputing von Interesse.
Während in der Grundlagenforschung das Wissen über Quantenphänomene und deren nutzbringende Anwendbarkeit massiv erweitert wird, wird an anderer Stelle bereits die Markteinführung der neuen Technologie vorbereitet. Das in diesem Jahr gestartete Verbundvorhaben MATQu wird eine Wertschöpfungskette für industriell fertigbare Quantencomputer schaffen und Qubits den Weg zur Marktreife glätten. Die Fraunhofer Institute für Photonische Mikrosysteme IPMS und für Angewandte Festkörperphysik IAF sowie sechzehn weitere Partner aus Wissenschaft und Industrie wollen dafür unter anderem die Variabilität zwischen Qubit-Komponenten reduzieren und das Integrationsniveau erhöhen.
Tribologische Finessen stehen mittlerweile voll und ganz im Dienst des Klimaschutzes. Beispielsweise soll Supraschmierung die Reibung aus Motoren verbannen und dafür sorgen, dass neue Maschinen kaum noch Energie als Abwärme vergeuden. Im Rahmen des gerade an den Start gegangenen Verbundprojekts CHEPHREN (CHEmisch-PHysikalische Reduzierung der ReibungsENergie) rücken auch die im etwas älteren Bruderprojekt PROMETHEUS bereits erarbeiteten und demnächst in die Anwendung überführbaren Ergebnisse ins Blickfeld. Die Projekte untersuchen grundlegende tribologische Phänomene bis in den atomistischen Bereich und verhelfen der Mobilität unabhängig vom Antriebsprinzip zu massiven Energieeinsparungen.
Auch im Bereich der Lebenswissenschaften machten vakuumgestützte Methoden Schlagzeilen, wie folgende zwei Beispiele zeigen.
Mit Hilfe der an der GSI Darmstadt entwickelten Ionen-Spur-Nanotechnologie wurden Membranen am Schwerionenbeschleuniger mit Nanoporen versehen und durch anschließende Beschichtung mit selektiven DNA-Aptameren zu hochempfindlichen Virensensoren ausgestattet. Diese erlauben ohne Probenvorbehandlung den Nachweis von SARS-CoV-2 in zwei Stunden.
Die Kryo-Tomografie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) des Paul Scherrer Instituts erlaubte einen Einblick in die raffinierten Techniken eines an der afrikanischen Küste gefundenen Armfüßlers. Das Meerestier kann den Härtegrad seiner Schale dank Nanokristallen ändern, indem er Wasser in eine die Kristalle umgebene organische Matrix einlagert. Die neuen Erkenntnisse können beispielsweise die Entwicklung harter spröder Materialien mit definierter Steifheit beflügeln oder in neuartiger Schutzkleidung ihre Anwendung finden.
Neue Möglichkeiten zur Erforschung von Fusionsprozessen, Weltraumwetter und astrophysikalischen Vorgängen eröffnet die Erzeugung von ultrakaltem neutralem Plasma in magnetischen Flaschen, die einem Team der Rice University im texanischen Houston gelang. Eine zur Plasmadiagnostik eingesetzte laserinduzierte Fluoreszenz gestattet die Bestimmung von Ort und Geschwindigkeit der Ionen und ermöglicht damit detaillierte Untersuchungen bisher unverstandener Wechselwirkungen von Plasmen mit Magnetfeldern.
Grundlegendes Wissen über Plasmen wird auch auf der ISS erarbeitet, die mittlerweile auf 20 Jahre Plasma-Langzeitversuche unter Schwerelosigkeit zurückblicken kann. Derzeit arbeitet mit PK-4 das dritte Plasma-Kristall-Labor in rund 400 km Höhe und liefert unter anderem Wissen über die erste Phase der Planetenentstehung. Auch hier liegen die Pläne für ein Nachfolgeexperiment namens COMPACT bereits vor und garantieren die Fortsetzung der erfolgreichen Untersuchungen an komplexen Plasmen.
Seit in der ASDEX Upgrade Anlage im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching vor 30 Jahren das erste Plasma erzeugt wurde, werden an der leistungsstärksten nationalen Tokamak-Anlage in Europa Kernfragen der Fusionsforschung unter kraftwerksähnlichen Bedingungen untersucht und Plasmaszenarien für JET, ITER und das geplante Fusionskraftwerk DEMO erarbeitet. Im kommenden Jahr beginnen die Umbauten für den Test eines neuen Divertor-Konzepts, das mit zwei zusätzlichen Magnetspulen an der Decke des Plasmagefäßes das Divertor-Feld auffächert und die Leistung aus dem Plasma auf eine größere Fläche verteilt.
Untersuchungen zum zweiten derzeit technologisch verfolgten Fusionsprinzip treibt das IPP seit sechs Jahren in Greifswald voran. Dort soll Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, die Kraftwerkstauglichkeit dieses Konzepts beweisen. Die dazu unternommenen Optimierungsstrategien für Form und Anordnung der Magnetspulen erwiesen sich in diesem Jahr als erfolgreich und sollen nach einer Anpassung der Anlage auch im längeren Betrieb getestet werden.
Auch in diesem Jahr wurden alternative Konzepte vorangetrieben, um die Teilchenbeschleuniger der Zukunft in Bezug auf Größe und Leistung zu optimieren. Von den Ergebnissen sollen nicht nur die Experimente der Grundlagenforschung, sondern auch Anwendungen in Medizin und Industrie profitieren. So machten beispielsweise die Laser-Plasmabeschleuniger einen wichtigen Schritt zur praktischen Anwendbarkeit: Bei DESY gelang es dem LUX-Team durch Zugabe von Stickstoff zum Wasserstoffplasma die Energieverteilung der erzeugten Elektronenstrahlen besonders klein zu halten, wobei man die Wahl der fünf für einen stabilen Betrieb erforderlichen Parameter einem selbstlernenden Algorithmus überließ. Die künstliche Intelligenz ersparte dem Team eine Woche Arbeit, indem sie den Beschleunigerbetrieb innerhalb einer Stunde stabilisierte.
Einen neuartigen Hybridbeschleuniger auf der Basis von zwei verschiedenen Plasmatechnologien stellten das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und die Ludwig–Maximilians–Universität München vor. Die Teams kombinierten die für Kompaktheit sorgende Plasmabeschleunigung mit Lasern (Laser Wakefield Acceleration) mit einer hohen Strahlqualität und -energie gewährleistenden teilchenstrahlbasierten Beschleunigung (Plasma Wakefield Acceleration), der einen Beschleunigungsgradienten von über 100 Gigavolt pro Meter erzeugt. Nachdem nun gezeigt wurde, dass der kompakte Hybridbeschleuniger sich wie seine deutlich größeren, konventionell getriebenen Pendants verhält, kommt er mit entsprechenden Weiterentwicklungen als Basis für Freie-Elektronen-Laser (FEL) in Frage und könnte deren Einsatzmöglichkeiten enorm erweitern.
Neue Ansätze verfolgt man auch bei der Weiterentwicklung herkömmlicher Beschleunigerkomponenten. So hat das am CERN stationierte internationale Projekt I.FAST (Innovation Fostering in Accelerator Science and Technology) unter Beteiligung des Fraunhofer Instituts für Werkstoff und Strahltechnologie (IWS) in diesem Jahr weltweit erstmalig wichtige Quadrupol-Bauteile für Linearbeschleuniger aus reinem Kupferpulver additiv gefertigt. Mittelfristig sollen nicht nur Teilchenphysiker von dem neuen Verfahren profitieren. Es lässt sich auch bei der Herstellung kompakter Linearbeschleuniger für kleinere Krankenhäuser, Flughäfen und Labore einsetzen und kann damit Krebstherapien wie auch Materialanalysen entscheidend voranbringen.
An dieser Stelle empfehlen wir auch die Jahresrückblicke zu Molekül- und Festkörperphysik, zu Kern- und Teilchenphysik, sowie zu Atom- und Quantenphysik und natürlich zum Thema Energie. Eine Vielzahl der dort vorgestellten Ergebnisse hätte ohne Vakuumtechnik nicht erarbeitet werden können. So erwarten wir mit Spannung, welche Entwicklung der unsichtbare Zukunftshelfer im neuen Jahr stützen wird.
Lisa Kleinen
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