App kartiert Lichtverschmutzung
Frei verfügbare Nachtlichter-App erfasst Lichtquellen am Boden.
In den letzten Jahren ist das öffentliche Bewusstsein für Lichtverschmutzung und die gesundheitlichen und ökologischen Wirkungen von künstlichem Licht gewachsen. Zugleich beleuchten wir immer heller. Das zeigen Satelliten- und Luftaufnahmen der Erde bei Nacht. Was sie nicht zeigen ist, welche Lichtquellen am Boden diese bis in den Orbit sichtbaren Lichtemissionen verursachen. Um diese Datenlücke zu schließen, hat ein Team aus Bürgerwissenschaftlern und Forschenden des Geoforschungszentrums Potsdam nun eine Nachtlichter-App entwickelt. Mit der Web-Anwendung lassen sich künstliche Lichtquellen am Boden erstmals systematisch erfassen und kartieren. Im September und Oktober 2021 kommt die App im Rahmen zahlreicher groß angelegter bürgerwissenschaftlicher Messkampagnen zum Einsatz. Vorbereitungen für Nachtlichter-Kampagnen laufen in Bochum, Dresden, Erlangen, Fulda, Würzburg, Potsdam und in der Gemeinde Preußisch-Oldendorf bei Detmold. Im Ausland beteiligen sich Gruppen in Spanien, Irland, Kanada und Italien an dem Bürgerwissenschaftsprojekt.
Alle Interessierten sind eingeladen, sich am Nachtlichter-Zählen zu beteiligen und so wissenschaftliche Daten zu generieren. Maria Zschorn und Sicco Bauer vom Dresdner Kampagnen-Organisationsteam haben die App bereits ausprobiert. „Das Schöne ist, dass sich das Zählen mit der App ein bisschen wie ein Spiel anfühlt und gleichzeitig die Wissenschaft voranbringt,“ so Maria Zschorn, die an der TU-Dresden zum Thema Lichtverschmutzung und Landschaftsplanung promoviert. Sicco Bauer hat die App als Bürgerwissenschaftler seit 2019 ehrenamtlich mitentwickelt. „Das ist schon ein tolles Gefühl, jetzt nach fast zwei Jahren gemeinsamer Arbeit die App das erste Mal zu benutzen,“ freut sich der Ingenieur.
Die webbasierte App ermöglicht es, unterschiedlichste Lichtquellen auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie ihre Helligkeit, Farbe und Abstrahlwinkel zu erfassen – von der Straßenlaterne und Schaufensterbeleuchtung bis hin zu Leuchtreklamen und Lichterketten. Ein solcher Datensatz existiert bislang noch nicht. Lediglich Informationen über öffentliche Beleuchtung sind in Städten und Kommunen verfügbar. Private Lichtquellen werden dagegen nicht systematisch erfasst. „Straßenbeleuchtung macht aber nur einen geringen Teil der Lichtemissionen von Städten aus“, sagt Christopher Kyba vom GFZ. Der Physiker erforscht seit Jahren das Ausmaß und die Zunahme von künstlicher Beleuchtung bei Nacht mittels Fernerkundungsverfahren wie Luftbild- und Satellitenaufnahmen. „Satellitendaten dokumentieren die Strahldichte, also wie hell verschiedene Orte Licht ins Weltall abstrahlen,“ erklärt Kyba. „Sie geben uns aber keine Auskunft darüber, was da genau am Boden leuchtet.“ Also entwickelt Kyba die App, die Wissenschaftlern helfen wird zu verstehen, welche Lichtquellen am Boden den Himmel besonders stark erhellen. Die Daten können so auch eine wissenschaftliche Grundlage für eine Transformation zu nachhaltigerer Beleuchtung bieten, so Kyba.
Das bürgerwissenschaftliche Engagement hat dabei auch interessante Nebeneffekte. „Schon bei der Entwicklung der App haben wir festgestellt, dass das Nachtlichter-Zählen eine bewusstseinserweiternde Wirkung auf uns hat. Viele von uns waren erstaunt, wie viele verschiedene Lichter dort draußen in unterschiedlichen Farben und Formen strahlen,“ sagt Nona Schulte-Römer, die das Projekt am GFZ sozialwissenschaftlich begleitet. „Unsere Messkampagnen in Dresden und anderen Städten erlauben uns, mit Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern gemeinsam zu diskutieren, wo und wann sie künstliche Beleuchtung schätzen oder auch darauf verzichten könnten.“
Welche Lichtquellen die Nacht erhellen und zu welchem Zweck, wird zunehmend als Nachhaltigkeitsfrage wahrgenommen, die über das Energiesparen hinausgeht. „Außenbeleuchtung ist zu oft in ungünstigen Lichtfarben und Mengen schlecht installiert. Statt nur dort hinzuleuchten, wo Licht gebraucht wird, strahlt das Licht in alle Richtungen, blendet Menschen und stört den Tag-Nacht-Rhythmus von Tier- und Pflanzenwelt im Umkreis mehrerer Kilometer“, kritisiert Sabine Frank, die Nachtschutzbeauftragte des Landkreises Fulda und des Biosphärenreservats Rhön, die ebenfalls aktiv an der App-Entwicklung beteiligt war und Anfang September eine Nachtlichter-Kampagne in der Sternstadt Fulda durchführen wird.
Im September und Oktober werden die Bürgerwissenschafts-Teams in ihren Städten und Gemeinden nach Einbruch der Dunkelheit ausschwärmen und in ausgewählten Gebieten alle Lichtquellen entlang vorab definierter Straßen erfassen – mittels Nachtlichter App und selbstverständlich datenschutzkonform. Wer mitforschen möchte, ist jederzeit willkommen, muss aber eine kurzes online App-Training absolvieren, um die Datenqualität zu gewährleisten. Die Kampagnen in ganz Deutschland beginnen jeweils mit einer Auftaktveranstaltung. Wer mitforschen möchte, aber nicht in der Nähe einer Nachtlichter-Kampagne wohnt, hat die Möglichkeit, mit der App eigene Messabschnitte zu definieren. Im Anschluss an die Kampagnen werden GFZ-Forschende die erhobenen Daten auswerten, mit Satellitendaten der Messgebiete abgleichen und im Austausch mit dem bürgerwissenschaftlichen Kernteam die Daten, Erkenntnisse und Erfahrungen der Kampagnen allgemein zugänglich veröffentlichen.
GFZ / JOL