Bahnbrechende Mikroskopie und Diagnostik
Diesjährige Helmholtzpreise prämieren Attosekunden-Elektronenmikroskopie und optische Hautkrebsdiagnostik.
Welche bahnbrechenden Erfolge sich mit Licht erzielen lassen, belegen die beiden diesjährigen Helmholtzpreise, die für Präzisionsmessungen in der Grundlagenforschung und in der angewandten Messtechnik verliehen werden. Mit einer neu entwickelten Mikroskopietechnik ist es der Gruppe um Peter Baum von der Universität Konstanz gelungen, die extrem schnellen Bewegungen von Atomen und Elektronen wie in einem Film abzulichten. Für diese Entwicklung erhalten die beteiligten Forscher den Helmholtzpreis im Bereich Grundlagenforschung.
Für die angewandte Messtechnik geht der Preis an ein interdisziplinäres Physik- und Medizin-Team der Leibniz Universität Hannover (um Bernhard Roth) und der Universitätsmedizin Rostock (um Steffen Emmert) für ihre Innovationen bei der optischen Biopsie in der Hautkrebsdiagnostik. Vergeben werden die beiden Preise, die mit jeweils 20.000 Euro dotiert sind, am 28. August 2024 in Hamburg im Rahmen des XXIV. IMEKO-Weltkongresses, auf dem die aktuellen Entwicklungen „in der Welt des Messens“ vorgestellt und diskutiert werden.
Unsere heutigen technologischen Ambitionen reichen tief in die Mikrowelt hinab – so bei der Entwicklung neuartiger Materialien, die spezielle optische Eigenschaften aufweisen sollen, bei der Konstruktion neuartiger Schaltmethoden für eine ultraschnelle Elektronik in der Informationsverarbeitung oder bei der Manipulation von Elektronen in der Quantenkryptografie und bei Quantencomputern. All diesen Anwendungsfeldern ist gemeinsam, dass sie sich in einer Mikrowelt bewegen, in denen die Prozesse in unvorstellbar kleinen Zeiträumen ablaufen. Typische Zeitskalen liegen hier in der Größenordnung von Attosekunden.
Der Gruppe um Peter Baum ist jetzt ein neuartiger Zugang in diese „Mikrowelt der schnellen Prozesse“ gelungen, indem sie in einem Elektronenmikroskop zugleich Laserlicht einkoppeln, wodurch eine Sequenz von ultrakurzen Elektronenpulsen entsteht. Auf diese Weise gelingt es ihnen, die atomare Raumauflösung eines Elektronenstrahls mit dem Attosekunden-Timing einer Laserwelle zu kombinieren. Im Endeffekt ist es damit möglich, die fundamentale Dynamik in komplexen Strukturen der Mikrowelt direkt als „Film in Raum und Zeit“ zu beobachten.
Diese Attosekunden-Elektronenmikroskopie dringt in ganz neue Messbereiche vor und ist dabei zugleich so flexibel, dass mit ihr die verschiedenartigsten Proben untersucht werden können. Messungen sind daher nicht auf akademische Materialien beschränkt, sondern nahezu alle interessanten natürlichen oder technischen Materialien können damit untersucht werden. Firmen aus Japan und den USA haben bereits ihr Interesse an einer kommerziellen Nutzung angemeldet. Zwei erste Patente sind erteilt.
Jedes Jahr wird laut Statistischem Bundesamt über 100.000 Patienten allein in Deutschland die Diagnose Hautkrebs gestellt. Um insbesondere den schwarzen Hautkrebs (Melanom) zu diagnostizieren, ist es notwendig, eine Gewebeprobe chirurgisch zu entnehmen und sie histologisch zu untersuchen. Hierbei dauert es typisch einige Tage, bis ein Ergebnis vorliegt – mit beträchtlich psychischen Belastungen für die Patienten. Es besteht daher ein dringender Bedarf für eine nicht-invasive Melanom-Diagnostik.
Dem interdisziplinären Team um Bernhard Roth (Leibniz Universität Hannover) und Steffen Emmert (Universitätsmedizin Rostock) ist es in einer mehrjährigen gemeinsamen Arbeit gelungen, eine dreidimensionale Bildgebung für die Abbildung der Hautstruktur mitsamt der Bestimmung der Invasionstiefe von Hautläsionen zu entwickeln. Vier verschiedene Messverfahren wurden dazu in einem Messgerät miteinander kombiniert: die optische Kohärenztomographie (OCT), die Raman-Spektroskopie (RS), die photoakustische Tomographie (PAT) sowie die Hochfrequenz-Ultraschall-Bildgebung (US).
Das im Wesentlichen laserbasierte System ermöglicht In-vivo-Messungen in klinischer Umgebung unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Expositionsgrenzwerte für die humane Haut, erhöht die Auflösung im Vergleich zu früheren Ansätzen um einen Faktor drei bis fünf und wurde bereits in präklinischen Studien an mehreren Dutzend Läsionen und Patienten demonstriert. Sobald diese erste Datenbasis groß genug ist, soll eine KI-Software trainiert werden, um die Läsionen im klinischen Umfeld diagnostizieren zu können. Als Nächstes stehen nun die notwendigen mehrjährigen klinischen Studien an, mit dem Ziel, das System zu etablieren und es als Medizinprodukt zu zertifizieren.
PTB / DE