Batterien stärken Verteilnetze
Projekt „Verteilnetz 2030plus“ entwickelt Lösungen für das Stromnetz der Zukunft.
Mit Fortschreiten der Energiewende hängt die Resilienz des Stromsystems zunehmend vom Verteilnetz ab: Statt der Synchrongeneratoren von Großkraftwerken im Übertragungsnetz müssen künftig vor allem die netzbildenden Stromrichter der Batteriespeicher, Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen in den unteren Netzebenen für die nötige Trägheit – und damit Stabilität – im System sorgen. Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel entwickelt daher jetzt mit der TU Braunschweig, SMA Solar Technology und weiteren Partnern im Forschungsprojekt „Verteilnetz 2030plus“ Lösungen und Produkte, mit denen sich die Netze mithilfe der Stromrichter auch nach dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken sicher betreiben lassen.
„In der alten Energiewelt sorgen vor allem die rotierenden Massen der an das Übertragungsnetz angeschlossenen Großkraftwerke für die nötige Stabilität. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien sind hingegen in Zukunft vor allem netzbildende Stromrichter dezentraler Erzeugungsanlagen im Verteilnetz gefordert, diese Rolle zu übernehmen“, sagt Philipp Strauß vom Fraunhofer IEE. Entsprechend ausgerüstete Stromrichter können das stabilisierende Strom- und Spannungsverhalten am Netzanschlusspunkt der Kraftwerke mit einer netzbildenden Regelung im Verteilnetz nachbilden, erläutert Bernd Engel von der TU Braunschweig. „In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir, wie Stromrichter diese für die Versorgungssicherheit so wichtige Aufgabe optimal wahrnehmen können.“
Das Vorhaben zielt vor allem darauf, Instrumente für die dynamische Simulation und Analyse von Verteilnetzen zu erstellen sowie die Entwicklung netzbildender Stromrichter voranzubringen. Darüber hinaus bereiten die Partner im Rahmen von „Verteilnetz 2030plus“ Feldtests vor, die dann in einem Anschlussprojekt durchgeführt werden sollen. Besonderes Augenmerk legen die Forscher auf die dynamischen Wechselwirkungen, die durch den netzbildenden Betrieb zwischen den Stromrichtern im Verteilungsnetz entstehen können. Auch mögliche Interaktionen mit der Schutztechnik und Betriebsmitteln im Verteilnetz nehmen die Wissenschaftler in den Fokus.
Ein Schwerpunkt des Projektes liegt darauf, die bislang verfolgten Konzepte zum Schutz der Verteilnetze mit Blick auf die zunehmende Installation von netzbildenden Stromrichtern zu prüfen. Das ist notwendig, weil diese Komponenten eine deutlich geringere Toleranz gegenüber Überlastströmen haben als Synchrongeneratoren. Somit besteht das Risiko, dass weniger gut zwischen Kurzschlüssen und Normalbetrieb unterschieden werden kann. „Wir liefern in unserem Forschungsvorhaben Lösungen, die das verhindern“, erklärt Philipp Strauß. Zudem untersuchen die Partner, wie sich in den Verteilnetzen die nötigen Kapazitäten für die Aufnahme netzbildender Stromrichter schaffen lassen. Dabei berücksichtigen sie auch, dass es mit deren Regelung zu Ausgleichsschwingungen zwischen einzelnen Komponenten kommen kann. Ebenso befassen sich die Forscher mit der Interoperabilität zwischen den Produkten verschiedener Hersteller.
Darüber hinaus untersuchen die Experten, wie sich netzbildende Stromrichter einsetzen lassen, um bei einer Störung im Höchst- oder Hochspannungsnetz in den darunterliegenden Ebenen Teilnetze zu bilden – etwa um bei einer Naturkatastrophe einzelne Netzgebiete weiter mit Strom versorgen zu können. Gleichzeitig müssen solche Stromrichter aber auch verhindern, dass sich unkontrolliert und von den Leitwarten unbemerkt Inselnetze bilden, die Personen und Anlagen gefährden können. Nicht zuletzt ist Ziel des Forschungsprojektes, die gewonnen Erkenntnisse in die Produktentwicklung zu überführen, Systemlösungen zu erarbeiten und diese zu erproben. SMA Solar Technology übernimmt dabei die Entwicklung der Prototypen.
Das Kick-off-Treffen des Forschungsprojekt „Sicherer und stabiler Betrieb des Stromrichter-dominierten Verteilnetzes – VN2030plus“ fand im Juni 2023 statt. Leitung und Koordination liegen in den Händen des Fraunhofer IEE. Ein Steuerungskreis aus Vertretern von Verteil- und Übertragungsnetzbetreibern sowie von Herstellern aus dem Bereich Netz-Systemtechnik begleitet die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit rund zweieinhalb Millionen Euro gefördert. „Den Verteilnetzen kommt bei der Energiewende eine Schlüsselrolle zu: Hier wird ein Großteil des Erneuerbare-Stroms eingespeist, hier werden neue Verbraucher wie Wärmepumpen und Wallboxen installiert“, sagt Thomas Degner vom Fraunhofer IEE und Koordinator des Verbundprojektes. „Mit unserem Forschungsprojekt tragen wir dazu bei, dass die Verteilnetze ihrer Verantwortung für die Versorgungssicherheit gerecht werden können. Damit stärken wir die Resilienz des gesamten Energiesystems.“
Fh.-IEE/ JOL