21.10.2015

Bell-Test ohne Schlupfloch

Bahnbrechendes Experiment versetzt Einsteins lokalem Realismus den Todesstoß.

Albert Einstein glaubte, dass die Quantenmechanik nur eine unvoll­ständige Beschreibung der Natur gibt, von der er ein „lokal-realistisches“ Bild hatte. Die Bell-Ungleichung ermöglicht es, Einsteins lokalen Realismus experimentell zu testen. Das haben Forscher der TU Delft jetzt erstmals hieb- und stichfest getan.

Abb.: Bell-Test mit drei Labors (A, B und C). In A und B befinden sich die beiden Mikrodiamanten, deren Fehlstellen miteinander quantenmechanisch verschränkt wurden. Dazu wurden Photonen von A und B per Glasfaser zu C geschickt und dort einer gemeinsamen Messung unterzogen. Anschließend fanden an den verschränkten Spins der Fehlstellen Messungen statt. (Bild: B. Hensen et al.)

Mit der von Niels Bohr propagierten Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik konnte sich Einstein nicht anfreunden, da sie gegen zwei Prinzipien der Naturbeschreibung verstieß, die er für unverzichtbar hielt. Zum ersten sollten Atome und andere Partikel ihre physikalischen Eigenschaften wie die Spinrichtung erst im Moment der Messung annehmen, während Einstein ihnen eine reale Existenz zuschrieb.

Zum zweiten sollte ein Quantenobjekt nur dann von einem anderen beeinflusst werden können, wenn es sich in dessen positivem Lichtkegel befindet, sodass ein Signal zwischen eine kausale Wirkung verursachen kann. Dieses Lokalitätsprinzip war ein Grundpfeiler von Einstein Relativitätstheorie.

Beide Prinzipien – Realismus und Lokalität – sind bei der quanten­mechanischen Beschreibung des Gedankenexperiments von Einstein, Podolsky und Rosen aus dem Jahr 1935 verletzt. Demnach beeinflusst eine Messung an einem Teilchen augenblicklich den Zustand eines anderen, mit ihm quantenmechanisch verschränkten Teilchens, und zwar auch dann, wenn sich die Teilchen in verschiedenen Galaxien befinden.

Einstein hielt das für absurd und glaubte deshalb, dass es „verborgene Parameter“ geben müsse, die den Zustand der Teilchen vollständig festlegen, unabhängig davon ob man ihn misst oder nicht. Die Beschreibung der Natur durch die Quantenmechanik wäre dann unvollständig. Die meisten Physiker hielten dies für eine reine Interpretationsfrage.

Doch 1964 zeigte der nordirische Physiker John Bell, dass die Existenz verborgener Parameter beobachtbare Konsequenzen hat. Sie schränkt ein, wie stark die Resultate von Messungen an quantenmechanisch verschränkten Teilchen miteinander korreliert sein können. Die daraus folgende Bell-Ungleichung wird jedoch verletzt, wenn die Vorhersagen der Quantenmechanik zutreffen.

Einen ersten experimentellen Test der Bell-Ungleichung führten Stuart Freedman und John Clauser 1972 durch. Sie maßen für Paare von polarisationsverschränkten Photonen, wie stark die Polarisationen korreliert waren. Das Ergebnis (nach 200 Stunden Messzeit) stimmte mit den Vorhersagen der Quantenmechanik überein und verletzte die Bell-Ungleichung.

Allerdings gab es zwei Schlupflöcher für den lokalen Realismus. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Polarisationsmessungen an den verschränkten Photonen durch Signalaustausch doch einander kausal beeinflusst hatten („Lokalitätsschlupfloch“). Außerdem gelang die Messung an nur wenigen der erzeugten Photonenpaare, die möglichweise nicht repräsentativ waren („Nachweisschlupfloch“).

Alain Aspect konnte 1982 das „Lokalitätsschlupfloch“ schließen. Dazu änderte er die Einstellungen der beiden an unterschiedlichen Orten befindlichen Detektoren, mit denen die verschiedene Polarisations­komponenten der Photonen gemessen werden konnten, so schnell, dass eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Messungen unmöglich war. Das „Nachweisschlupfloch“ konnte er nicht schließen. Das gelang erst später, u. a. mit Atomen, doch dabei öffnete sich wieder das „Lokalitätsschlupfloch“.

Beide Schlupflöcher haben jetzt Forscher um Ronald Hanson von der TU Delft geschlossen. Dazu haben sie zwei winzige Diamanten, deren Kristallgitter Stickstofffehlstellen enthielten, in zwei Labors gebracht, die 1280 Meter voneinander entfernt waren. Solch eine Fehlstelle nimmt Elektronen auf und besitzt einen Spin, den die Forscher mit Mikrowellen in gewünschter Weise ausrichten konnten.

Wurde die Fehlstelle mit abgestimmtem Laserlicht bestrahlt, so emittierte sie Photonen, die mit der Fehlstelle quantenmechanisch verschränkt waren. Über Glasfasern wurde aus den beiden Labors Photonen zu einem dritten Labor geleitet, dass 493 Meter bzw. 818 Meter von den beiden anderen entfernt war. Dort wurden die Photonen zusammengeführt und paarweise einer Messung unterzogen, die ihre Verschränkung mit den Fehlstellen auf diese übergehen ließ, sodass jetzt die beiden Fehlstellen miteinander verschränkt waren. Allerdings klappte dies nur bei einem von 200 Millionen Photonenpaaren, was an Verlusten in den Glasfasern lag.

Hatte es geklappt, so konnte der eigentliche Bell-Test beginnen. Mit wohldosierten Mikrowellen und durch Fluoreszenzmessung konnten die Forscher die gewünschte Spinkomponente einer Fehlstelle messen. Dabei war die Nachweiswahrscheinlichkeit so hoch, dass man das „Nachweis­schlupfloch“ als geschlossen betrachten kann. Ein extrem schneller Zufallsgenerator änderte das Mikrowellenfeld und damit die gemessene Spinkomponente so rasch, dass während der Messungen kein Signalaustausch zwischen den beiden Labors möglich war. Damit war auch das „Lokalitätsschlupfloch“ geschlossen.

Im Verlaufe von 220 Stunden konnten die Forscher 245 Messungen durchführen. Aus den gemessenen Spinkomponenten der verschränkten Fehlstellen berechneten sie eine Größe S, deren Wert nach der Bell-Ungleichung kleiner als 2 sein sollte. Tatsächlich fanden sie: S = 2,42 ± 0,20. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ergebnis zufällig zustande kam und auf verborgenen Parametern beruhte, beziffern sie auf 3,9 Prozent.

Indem sie die Zahl der Messungen erhöhen, wollen Hanson und seine Mitarbeiter den Test der Bell-Ungleichung weiter vorantreiben. Nachdem jetzt alle Schlupflöcher geschlossen wurden, müsste auch Einstein einsehen, dass die Natur tatsächlich so seltsam ist, wie es die Quanten­mechanik vorhersagt.

Rainer Scharf

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