Chaos und Dynamik
Drei Mathematiker und erstmals eine Mathematikerin erhalten die Fields-Medaille 2014. Ein Teil der ausgezeichneten Forschungsergebnisse ist auch für die Physik relevant
Die Fields-Medaillen gehören neben dem Abel-Preis zu den renommiertesten Preisen in der Mathematik. Alle vier Jahre zeichnet die Internationale Mathematische Union (IMU) zwei bis vier Mathematiker mit der Medaille aus, deren Preisgeld sich mit umgerechnet rund 10.000 Euro bescheiden ausnimmt. Zum Vergleich: Der jährlich vergebene Abel-Preis ist mit rund 750.000 Euro dotiert. Während der Abel-Preis meist ein Lebenswerk auszeichnet, dürfen die Empfänger der Fields-Medaille nicht älter als 40 Jahre sein.
Die Verleihung der Fields-Medaillen fand am 13. August auf dem Mathematiker-Kongress IMC in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul statt. In diesem Jahr gehen sie an die Iranierin Maryam Mirzakhani (37), den Brasilianer Artur Avila (35), den Kanadier Manjul Bhargava (40) und den Österreicher Martin Hairer (38). Den Preisgeld-Scheck und die Medaille mit dem Kopf von Archimedes überreichte der südkoreanische Präsidenten Park Geun-hye.
Die mit einer Fields-Medaille ausgezeichneten Arbeiten bewegen sich zumeist in den abstrakten Höhen der reinen Mathematik. Doch oft genug haben sie auch Bedeutung für die mathematische Physik. Artur Avila, der an der Universität Pierre und Marie Curie in Paris arbeitet, befasst sich unter anderem mit der Theorie dynamischer Systeme, also allgemein von Systemen, die sich mit der Zeit ändern – von der Pendelbewegung bis zur Entwicklung des Wetters. Eine der großen Herausforderung dabei ist es, das Langzeitverhalten chaotischer Systeme besser voraussagen zu können. Avila gelang es mit Kollegen, für eine weite Klasse von dynamischen Systemen zu zeigen, dass diese bei zufälliger Auswahl entweder „regulär“ oder „chaotisch“ sein müssen. Damit stellen sie die Untersuchung der Trajektorien in solchen Systemen auf ein vereinheitlichtes und umfassenderes Fundament.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Artur Avila ist die Theorie von Schrödinger-Operatoren, mit denen sich quantenmechanische Systeme beschreiben lassen. Dabei ist es ihm auch gelungen, ausgehend von Gleichungen zur Modellierung quantenmechanischer Systeme mathematische Probleme zu lösen. Er konnte zeigen, dass das Spektrum eines speziellen Schrödinger-Operators für ein Elektron in einem sehr starken Magnetfeld („Hofstadter Butterfly“) eine so genannte Cantor-Menge ist, ein selbstähnliches Gebilde („Fraktal“).
Auch für die Arbeit von Martin Hairer spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Der promovierte Physiker, der an der Universität Warwick forscht, beschäftigt sich mit stochastischen partiellen Differentialgleichungen (PDG), mit denen sich die Dynamik physikalischer Vorgänge mit zufallsbedingten Schwankungen näherungsweise beschreiben lassen. Das bekannteste Beispiel ist die stochastische Navier-Stokes-Gleichung für turbulente Ströme. Hairer gelang es erstmals, Gleichungen zu entwickeln, die auf relativ leicht nachvollziehbare Weise solche Zufallselemente berücksichtigen und möglichst korrekte Ergebnisse liefern. Solche Zufallselemente spielen beim Klima auf der Erde, den Planetenbewegungen, aber auch an den Aktienmärkten eine wichtige Rolle.
Die so genannte KPZ-Gleichung, eine spezielle nichtlineare stochastische PDG, benannt nach den Physikern Mehran Kadar, Giorgi Parisi und Yi-Cheng Zhang, spielt eine besondere Rolle in Hairers Arbeit. Die 1986 entwickelte Gleichung beschreibt die zeitliche Entwicklung der Grenzfläche zwischen zwei Substanzen. Hairer konnte die KPZ-Gleichung zwar nicht lösen, aber sein völlig neuer Ansatz erlaubt es, ihr und ihren Lösungen eine präzise mathematische Bedeutung zu geben, die bis dahin gefehlt hatte.
Mit der Iranerin Maryam Mirzakhani erhält erstmals eine Frau eine Fields-Medaille. Die Mathematikerin arbeitet an der Stanford University und beschäftigt sich mit der Geometrie und Dynamik von Riemannschen Flächen, ein zentraler Bestandteil der Differentialgeometrie der Allgemeinen Relativitätstheorie. Mirzakhani geht es jedoch weniger um die Anwendung, sondern um das rigorose und möglichst grundlegende Verständnis dieser Strukturen.
Der vierte diesjährige Fields-Medaillen-Träger ist der Inder Manjul Bhargava von der Universität Princeton, der für seine bedeutenden Beiträge zur Zahlentheorie ausgezeichnet wird. In seiner Promotion gelang es ihm unter anderem, ein Problem zu lösen, das seit der Begründung der algebraischen Zahlentheorie durch Carl Friedrich Gauß bestanden hatte.
Alexander Pawlak
Weitere Infos
- Website der International Mathematical Union (IMU) zu den Preisträgern 2014
- Ausführliche Porträts der Fields-Medaillen-Gewinner 2014 (Quanta Magazine)
Weitere Beiträge
- Billardspieler im Chaos – Abel-Preis 2014 für Jakow Sinai (Physik Journal News, 27. März 2014)
- Fields-Medaillen für mathematische Physik (pro-physik.de, 31. August 2010
- C. Riehm, The Early History of the Fields Medal, Notices of the AMS 49, 778 (2002) PDF
- M. Monastyrsky, Some Trends in Modern Mathematics and the Fields Medal, CMS – NOTES – de la SMC 33, Nos. 2 & 3 (2001) PDF
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