Chimären in dynamischen Netzwerken
Vorhergesagte neuartige Strukturen erstmals im Experiment nachgewiesen.
Bislang konnten Forscher sogenannte Chimera-Zustände nur im Computer erzeugen, und zwar in einem Ring identischer Einzelsysteme mit nichtlokaler, das heißt sich über mehrere Elemente erstreckender Kopplung. Sie zeigen gleichzeitig Bereiche hoher Synchronisation neben völlig irregulären, räumlich chaotischen Bereichen. Sie sind benannt nach der „Chimäre", einem feuerspeienden Fabelwesen der griechischen Mythologie, das den Kopf eines Löwen, den Körper einer Ziege und den Schwanz einer Schlange hat.
Abb.: Das durch einen Laserstrahl erzeugte Intensitätsmuster in einem Netzwerk aus Flüssigkristallzellen wird von einer Kamera aufgenommen und zurückgekoppelt, wobei sich verschiedene Bereiche des Musters getrennt ansteuern lassen. (Bild: A. M. Hagerstrom et al. / NPG)
Die Chimera-Zustände werden in der aktuellen Forschung über komplexe Netzwerke heftig diskutiert, da ein Verständnis der komplizierten nichtlinearen Dynamik von Netzwerken für viele Anwendungen in der Physik, etwa bei gekoppelten Lasern, Biologie wie den neuronalen Netzwerken im Gehirn und der Technologie bei Kommunikations- und Stromnetzen wichtig ist.
Iryna Omelchenko vom Institut für Theoretische Physik der TU Berlin beobachtete bereits 2011 anhand von numerischen Simulationen unerwartete Zustände von symmetrisch gekoppelten, zeitlich diskreten Systemen. Im Unterschied zu zeitkontinuierlichen Modellen, die häufig durch Differenzialgleichungen beschrieben werden, handelt es sich hierbei um eine iterierte Abbildung, die aus einer Abfolge von diskreten Zuständen besteht.
Omelchenko entdeckte – trotz perfekter Symmetrie in der Kopplung und identischer Systemparameter – einen vollständig synchronen Zustand, der durch Veränderung der Reichweite und Stärke der Kopplung einen Übergang zu räumlich inhomogenen Profilen bis hin zu räumlichem Chaos vollzieht. Die Entstehung des räumlichen Chaos erfolgt dabei über die Chimera-Zustände, die sowohl reguläre, synchronisierte als auch chaotische, desynchronisierte Abschnitte aufweisen. Ursprünglich in der Simulation kontinuierlicher Systeme gefunden, weist dies auf ein universelles Verhalten in einer Vielzahl unterschiedlicher Modellklassen hin.
Der bisher rein theoretisch untersuchte Übergang ließ sich jüngst in einem optischen Experiment erstmals experimentell beobachten. Die Arbeitsgruppe von Rajarshi Roy an der University of Maryland nahm dazu ein durch einen Laserstrahl erzeugtes Intensitätsmuster in einem Netzwerk aus Flüssigkristallzellen mit einer Kamera auf und ließ es zurückkoppeln. Entscheidend dabei ist die getrennte Ansteuerung verschiedene Bereiche des Musters. Dies ermöglicht die gewünschte interne Kopplung und die systematische Veränderung der Parameter. Neben dem experimentellen Nachweis gelang den US-Wissenschaftlern gemeinsam mit ihren TUB-Kollegen außerdem eine einfache mathematische Beschreibung und Analyse der beobachteten Szenarien.
TUB / OD