Der kälteste aller Ringe
Am MPI für Kernphysik wurde der Ultrakalte Speicherring offiziell eingeweiht.
Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt und ein Druck von weniger als 10–14 mbar – diese Bedingungen herrschen im interstellaren Raum und nun auch auf der Erde: Der Ultrakalte Speicherring (Cryogenic Storage Ring – CSR) am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg erlaubt es, Molekülionen wie CH+ oder OH– bis auf wenige Kelvin abzukühlen und so beispielsweise die Reaktionen zu untersuchen, die im interstellaren Gas zur Bildung von Wasser führen. Die weltweit einzigartige Anlage wurde am 19. Mai eingeweiht. Das Festkolloquium gestaltete Joachim Ullrich, Präsident der PTB und ehemaliger Direktor des MPIK, in Anlehnung an Tolkiens Herrn der Ringe als kurzweilige Reise in die Geschichte der kühlenden Speicherringe von MPIK, CERN und GSI.
Das MPIK hat sich seit seiner Gründung 1958 unter anderem damit beschäftigt, kernphysikalische Methoden auf Fragen der Chemie des Kosmos anzuwenden. In den 1980er-Jahren entstand zunächst der Testspeicherring (TSR). Magnetfelder lenkten die Ionenstrahlen durch den 55 Meter langen Ring, in dem ein Elektronenkühler die Energieverteilung der Ionen mit jedem Umlauf verringerte. Allerdings betrug die Energie der Ionenstrahlen noch einige MeV – einige Größenordnungen mehr als im interstellaren Raum. Um den niedrigen Temperaturen und Drücken, wie sie dort vorliegen, möglichst nahe zu kommen und die dort vorhandenen Moleküle und Cluster speichern zu können, begann vor mehr als zehn Jahren die Planung des heutigen CSR.
Im CSR halten elektrostatische Felder die Ionen auf ihrer Bahn, weil dann auch schwerere Moleküle bis hin zu komplexen Biomolekülen gespeichert werden können. In dem 35 Meter langen Ring sind mit hohem technischen Aufwand sehr niedrige Temperaturen möglich: Eine Kältemaschine verteilt flüssiges Helium in einem Rohrsystem, das den Ring in mehreren Lagen umläuft. Optisch dichte Schilde sorgen dafür, dass elektromagnetische Strahlung den Ring nicht aufheizt, und ein Isoliervakuum schützt ihn vor Wärmekonvektion. Um Wärmeleitung zu verringern, wurden spezielle schlecht wärmeleitende Aufhängungen benutzt. Weil alle Materialien beim Abkühlen verschieden stark schrumpfen, sind die strahloptischen Komponenten durch flexible Metallteile entkoppelt, um ihre Justierung auch im kalten Betrieb mit Genauigkeiten von 100 Mikrometern zu garantieren.
Zunächst experimentierten die Heidelberger Forscher mit einem vier Meter langen Prototypen, an dem sie das Konzept überprüften und 2009 auch einen Druck von weniger als 10–13 mbar erreichten. Zwei Jahre später kühlten sie einen ersten Quadranten des Speicherrings ab. Danach ging der Aufbau der Anlage schnell voran: Noch in warmem Zustand speicherte der komplette Ring bereits im März 2014 erstmals ein Ionenstrahl. In der Zwischenzeit gelang es, den Ring zu kühlen und erste Experimente mit OH–- und CH+-Ionen durchzuführen. Pünktlich zur Einweihung des CSR erschienen die Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Physical Review Letters: Der Ionenstrahl im CSR besitzt Temperaturen von etwa 20 K und mehr als 70 Prozent der CH+-Ionen liegen im Rotationsgrundzustand vor. Damit sind Bedingungen erreicht, die auch im interstellaren Medium herrschen.
Neben der Erforschung kosmischer Chemie sollen Experimente am CSR auch dazu dienen, die Quantendynamik von Molekülen oder die Bildung von metallischen Clustern zu verstehen. Festredner Joachim Ullrich und MPIK-Direktor Klaus Blaum freuten sich, dass der kälteste aller Ringe in den kommenden Jahren auf diesen Gebieten entscheidende und sicher auch überraschende Beiträge leisten wird.
Kerstin Sonnabend