24.10.2014

Die größten künstlichen Wasserstoffatome

Physikern aus Dortmund und Rostock gelingt erste Beobachtung von Rydberg-Exzitonen.

Einem Team um Dietmar Fröhlich und Manfred Bayer von der TU Dortmund sowie Heinrich Stolz und Stefan Scheel von der Uni Rostock ist es erstmals gelungen, neuartige Materiezustände in Form von Rydberg-Exzitonen zu beobachten. Ihrer Meinung nach tut sich damit ein völlig neues Arbeitsgebiet auf.

Abb.: Aus einem Cu2O-Kristall (oben) haben die Physiker mehrere Fragmente gewonnen wie den größeren (unten links) und einen dünnen, den sie spannungsfrei in einen Messinghalter montierten (unten rechts; Bild: Kazimierczuk et al. / NPG)

Bei der Lichterzeugung in Halbleitern finden sich ein Elektron und ein Loch zusammen und wandeln sich dabei in Energie in Form von Licht bestimmter Farbe um. Vor dieser Umwandlung können beide einen gebundenen Zustand mit einer Energie unterhalb der von ungebundenen freien Elektronen und Löcher bilden, ein Exziton. Dieses hat große Ähnlichkeit mit einem Wasserstoffatom.   Aus dessen quantenmechanischen Beschreibung ergibt sich die Rydberg-Serie für die möglichen Energiezustände, eine qualitativ identische Serie an erlaubten Energien gibt es für Exzitonen.

Aber es gibt auch bedeutende Unterschiede. Während sich beim Wasserstoffatom die beiden Teilchen ungestört im Vakuum bewegen, befindet sich das Exziton im Halbleiter in einem Kristallgitter. Trotzdem schafft es das Exziton, sich ungestört durch den Kristall zu bewegen, ohne sich durch Stöße mit anderen Ladungen beeinträchtigen zu lassen. Allerdings ist die Bindungsstärke von Elektron und Loch im Vergleich zum Wasserstoffatom drastisch reduziert. Dies äußert sich in unterschiedlichen räumlichen Ausdehnungen: Während das Wasserstoffatom eine Ausdehnung von nur 0,05 Nanometern im Grundzustand aufweist, haben Exzitonen eine um typischerweise einen Faktor zehn bis hundert größere Ausdehnung, abhängig vom Halbleitermaterial.

Während der letzten Jahre haben Atome mit einem Elektron, das in einen sehr hohen gebundenen Zustand angeregt wurde, großes Interesse erfahren. Diese Rydberg-Atome können Abmessungen bis zu einem Millimeter aufweisen, also mehr als tausend-mal im Vergleich zum Grundzustand anwachsen. Aber nicht nur ihre Größe nimmt drastisch zu, auch ihre gegenseitige Wechselwirkungsstärke steigt dramatisch um viele Größenordnungen an, je höher das Elektron angeregt wird.

Dem Dortmund-Rostock-Team ist es nun gelungen, für Exzitonen Zustände zu beobachten, die denen von Rydberg-Atomen äquivalent sind. Als Kristall diente dabei Kupferoxydul, ein natürlich vorkommendes Mineral. Im höchsten beobachtbaren Zustand besitzen die Exzitonen eine Ausdehnung von zwei Millimetern. Dabei bleibt das Exziton stabil, obwohl die beteiligten Ladungen sich über einige Trillionen von Atomen hinwegbewegen. Auch die gigantische Wechselwirkung der Exzitonen ließ sich beobachten. So verhindert ein einziges solches Rydberg-Exziton die Erzeugung eines weiteren Exzitons in seiner Umgebung – ein Effekt, der als Rydberg-Blockade bezeichnet wird.

Der Fortschritt in der Halbleitertechnologie während der letzten Jahrzehnte hat darauf beruht, hochreine künstliche Kristalle mit atomarer Präzision herzustellen. Eine Besonderheit der hier vorgestellten Untersuchungen liegt in der Verwendung natürlicher Kristalle, die vermutlich seit Millionen Jahren in der Erde lagerten, bevor sie aus der Tsumeb-Mine in Namibia gefördert wurden. Diese Mine ist für Mineralien sehr hoher Güte bekannt – dennoch überrascht die extrem hohe Reinheit dieser Kristalle.

Die Beobachtung wasserstoffähnlicher Rydberg-Exzitonen eröffnet ganz neue Möglichkeiten, die mit Atomen so leicht nicht zu realisieren sind. So lassen sich über Kontakte amKristall elektrische Felder anlegen, was die Rydberg-Exzitonen gezielt durch den Kristall transportiert oder miteinander zum Zusammenstoß bringt. Die ersten Arbeiten in diese Richtung haben bereits begonnen.

U. Rostock / OD

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