Diffusion in heißem Graphen
Wanderung von Kohlenstoffatomen auf dem Nanomaterial erstmals gemessen.
Die Wanderung von Kohlenstoffatomen auf der Oberfläche von Graphen wurde kürzlich erstmals gemessen. Obgleich sich die Atome zu schnell bewegen, um sie direkt mit einem Elektronenmikroskop beobachten zu können, konnte ihr Einfluss auf die Stabilität des Materials nun indirekt bestimmt werden, während das Material auf einer mikroskopischen Heizplatte erhitzt wurde. Die Studie wurde von Forschern an der Fakultät für Physik der Universität Wien durchgeführt.

Einige grundlegende Prozesse in Graphen konnten bisher noch nicht gemessen werden, darunter die Bewegung von Kohlenstoffatomen auf seiner Oberfläche. Diese zufällige Bewegung ist der atomare Ursprung des Phänomens der Diffusion. In der Atmosphäre und in den Ozeanen sorgt Diffusion für eine gleichmäßige Verteilung von Sauerstoff oder Salz. In der technischen Industrie ist es von zentraler Bedeutung für die Stahlproduktion, Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen, um nur einige Beispiele zu nennen. In der Materialwissenschaft erklärt die Diffusion an der Oberfläche von Festkörpern, wie bestimmte katalytische Reaktionen ablaufen und viele kristalline Materialien, einschließlich Graphen, gezüchtet werden.
Die Diffusionsgeschwindigkeit an der Oberfläche hängt im Allgemeinen von der Temperatur ab: Je wärmer es ist, desto schneller diffundieren die Teilchen. Indem diese Geschwindigkeit bei verschiedenen Temperaturen gemessen wird, kann prinzipiell die Energiebarriere bestimmt werden, die beschreibt, wie leicht Atome von einem Ort auf der Oberfläche zum nächsten wandern können. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn die Atome nicht lange genug an Ort und Stelle bleiben, so wie es bei Kohlenstoffatomen auf Graphen der Fall ist. Daher stützte sich unser Verständnis bisher auf Computersimulationen. In der neuen Studie wird diese Schwierigkeit überwunden, indem ihre Wirkung indirekt gemessen wird, während das Material auf einer mikroskopischen Heizplatte in einem Elektronenmikroskop erhitzt wird.
Indem die Forscher die atomare Struktur von Graphen mit Elektronen sichtbar machten und dabei gelegentlich Atome herausschleuderten, konnten sie bestimmen, wie schnell sich die Kohlenstoffatome auf der Oberfläche bewegen müssen, um das Füllen der entstehenden Löcher bei erhöhten Temperaturen zu erklären. Somit konnte durch die Kombination von Elektronenmikroskopie, Computersimulationen und dem Verständnis für das Zusammenspiel von Bildentstehung und Diffusion eine Schätzung für die Energiebarriere ermittelt werden. „Nach sorgfältiger Analyse konnten wir einen Wert von 0,33 Elektronenvolt dingfest machen, etwas niedriger als erwartet“, so Andreas Postl.
Die Studie ist auch ein Beispiel für einen glücklichen Zufall in der Forschung. Das ursprüngliche Ziel des Teams war, die Temperaturabhängigkeit von Strahlenschäden durch Elektronen zu messen. „Ehrlich gesagt war es nicht das, was wir ursprünglich untersuchen wollten. Allerdings passieren solche Entdeckungen in der Wissenschaft oft, wenn man hartnäckig kleinen, aber unerwarteten Details nachgeht“, fasst Toma Susi zusammen.
U. Wien / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Postl et al.: Indirect measurement of the carbon adatom migration barrier on graphene, Carbon 196, 596 (2022); DOI: 10.1016/j.carbon.2022.05.039 - Physik nanostrukturierter Materialien, Fakultät für Physik, Universität Wien