28.09.2022 • VakuumPlasmaDünne Schichten

Dünne Schichten für die Energiewende

Mechanische Jalousien werden überflüssig und Kühl- und Heizenergie drastisch reduziert.

Glas­fassaden prägen die moderne Archi­tektur. Während im Winter die Sonnen­ein­strahlung zur Unter­stützung der Heizung dient, heizt sich im Sommer das Gebäude­innere auf und erfordert eine aktive Kühlung. Smarte Fenster können die Sonnen­ein­strahlung ent­sprechend der Wetter­situation regulieren – in Zeiten des Energie­sparens eine zukunfts­weisende Lösung. Am Fraunhofer FEP gelang es nun, die weltweit erste thermo­chrome Schicht auf Dünnst­glas in einem Rolle-zu-Rolle Ver­fahren zu fertigen. Ergebnisse, die künftig mechanische Jalousien über­flüssig machen und gleich­zeitig den Kühl- und Heiz­energie­bedarf eines Gebäudes redu­zieren können.

Abb.: Visueller Vergleich zwischen elektrochromen Fenstern im...
Abb.: Visueller Vergleich zwischen elektrochromen Fenstern im nicht-geschalteten (unten) und geschalteten (oben) Zustand. (Bild: Fh-FEP)

Büro­komplexe, öffentliche Gebäude und Neubauten sind zumeist archi­tektonisch geprägt durch große, nach Süden aus­gerichtete Fenster und Glas­fassaden. Während im Winter die Sonnen­ein­strahlung zur Unter­stützung der Heizung dient, heizt sich im Sommer das Gebäude­innere auf und erfordert eine aktive Kühlung. Verschattungen durch z. B. Jalousien senken den Komfort und tragen im Winter nicht zur Nutzung des Wärme­eintrages im Gebäude bei. Besonders mit Blick auf die kommende Herbst- und Winter­periode verbunden mit den aktuellen staatlichen Vorgaben zur Energie­einsparung und der Energie­krise bieten smarte Fenster hier eine hoch­attraktive Lösung. Solche Fenster können den Wärmeeintrag der Sonnen­strahlung entsprechend der Wetter­situation regulieren.

Das Fraunhofer FEP forscht an Oberflächen­beschich­tungen, die hier einen großen Beitrag leisten können und eine Ver­ringerung der Wärme­strahlung durch Fenster­glas ins Gebäude ermöglichen. Gemeinsam mit Projektpartnern arbeiten die Forschenden z. B. im EU-Projekt „Switch2Save“ an aktiven, smarten Schicht­systemen, die die Effekte der Elektro­chromie (Schaltung des Energie­durch­lasses durch Anlegen einer Spannung) und Thermo­chromie (Schaltung des Energie­durch­lasses durch Über- / Unter­schreitung einer Temperatur) nutzen. Solche elektro­chromen Folien können in Isolier­ver­glasungen eingesetzt werden und kommen nicht nur bei Neu­bauten zum Einsatz. Auch eine Nach­rüstung von Bestands­gebäuden ist möglich und Gegenstand des frisch gestarteten Projektes „FLEX-G4.0“.

Aktuell sind einige passive Techno­logien, wie Solar­Control-Systeme und low-E Beschich­tungen (low emissivity) bereits kommerziell am Markt erhältlich. Diese dünnen, auf Folie oder Glas hergestellten Schichten führen aber nur zu einer permanenten Anpassung des Energie­durch­lassgrades. Sie funkti­onieren also nur in einer Einstellung, z. B. zur Ver­hinderung der Wärme­ein­strahlung im Sommer. Im Winter wird diese allerdings ebenso abgehalten. Zudem greifen sie im Herstell­prozess unter anderem auch auf wertvolle Ressourcen wie Silber zurück. Der Fokus der Fraun­hofer-Forscher liegt daher auf der Optimierung der Eigenschaften und dem Ersatz solcher knappen Materialien.

Bei allen Techno­logien – ob passiv (low-E; SolarControl) oder aktiv (elektrochrom; thermochrom) – besteht die Heraus­forderung darin, den Spagat zwischen den ver­schiedenen Eigen­schaften zu meistern, die gleich­zeitig wirksam sein sollen: Spielen der optische Eindruck und die optische Wirk­samkeit in unter­schiedlichen Wellen­längen­bereichen die größere Rolle oder ist dies vernach­lässigbar gegenüber einem großen Energie­durch­lassgrad. Ebenso sind die Spanne der Schalt­temperaturen bei thermo­chromen Schichten und natürlich auch die Herstell­kosten zu berück­sichtigen.

Abb.: Visueller Vergleich zwischen einer thermochromen Beschichtung (mittig)...
Abb.: Visueller Vergleich zwischen einer thermochromen Beschichtung (mittig) und unbeschichtetem Glas. (Bild: Fh-FEP)

Um vielseitige und neue Lösungen hierfür zu finden, entwickeln die Forschenden am Fraunhofer FEP aktuell Beschichtungs­technologien für thermochrome Elemente auf Dünnstglas. Das Substrat­material mit einer Dicke von ca. 100 µm stellt hohe Anforderungen an das Handling und die Skalierung auf größere Flächen gestaltete sich bislang als sehr schwierig. Gleich­zeitig ist aber der Einsatz einer Polymer­folie als alternatives Substrat, die das Handling erleichtern könnte, nicht ohne weiteres einsetzbar. Grund hierfür sind die hohen Tempe­raturen von einigen 100 °C im Herstellungs­prozess.

Anfang 2022 ist es den Forschenden am Fraunhofer FEP gelungen, die weltweit erste thermochrome Schicht basierend auf Vanadium­dioxid auf Dünnst­glas mit der effi­zienten Rolle-zu-Rolle-Techno­logie zu fertigen. Dr. Cindy Steiner, Gruppen­leiterin am Fraunhofer FEP, freut sich: „Damit haben wir einen wichtigen Schritt in der Skalierung der Techno­logie vom Labor- auf einen Pilot­maß­stab mit unseren Rolle-zu-Rolle-Anlagen geschafft! Die thermo­chromen Schichten verändern ihre Trans­mission im Infra­rot­bereich bei Über­schreiten einer bestimmten Temperatur. Die Trans­mission im sicht­baren Bereich bleibt unverändert. Der Nutzer bemerkt so keine optische Ver­änderung am Fenster und hat keine Ein­schränkungen im Licht­komfort oder der Sicht. Damit wird im Sommer Wärme­einstrahlung effektiv blockiert, was die Not­wendigkeit von Klima­anlagen senkt. Im Winter wird die Wärme­ein­strahlung der Sonne durch­gelassen, was zu Einsparungen im Heiz­energie­verbrauch führt.“

Die Schalt­temperatur liegt bei ca. 20 °C, was bedeutet, dass das thermo­chrome Dünnst­glas angebracht an Gebäuden zwischen transmittiven und reflektiven Zustand umschaltet, wenn es über 20 °C warm wird. „Diese Schalt­temperatur lässt sich ent­sprechend der klimatischen Anfor­derungen einstellen durch die Zusammensetzung, die Prozess­führung und den Aufbau des Schichtsystems.“ ergänzt Dr. Steiner.

Im nächsten Schritt soll die Techno­logie skaliert und zur Markt­reife geführt werden. Forschungs­gegenstand sind insbesondere die Opti­mierung des Substrat­handlings, die Langzeit­stabi­lität und die Einstellung der erforderlichen Schalt­temperatur.

Die Kombination der hier vor­gestellten Techno­logien macht so künftig mechanische Jalousien über­flüssig und kann den Kühl- und Heiz­energie­bedarf eines Gebäudes zwischen zehn und in Extrem­fällen bis zu 60 Prozent reduzieren.

Das Projekt Switch2Save (Lightweight switchable smart solutions for energy saving large windows and glass facades) wird über drei Jahre von der Euro­päischen Union im Rahmen des Forschungs- und Inno­vations­programms Horizon 2020 finanziert und läuft noch bis Ende September 2023. Das Projekt FLEX-G 4.0 (Technologien für innovative schaltbare Folien als Nachrüstlösung für energie­sparende Fenster und Glas­fassaden) startete im August dieses Jahres und wird über vier Jahre vom Bundes­ministerium für Wirt­schaft und Klima­schutz finanziert.

FEP / LK

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