Dünne Schichten mit Dichtefluktuationen
Substrukturen in amorphem Silizium zeigen drei verschiedene Phasen.
Erstmals hat ein Team am HZB mit Röntgen- und Neutronenstreuung an BESSY II und BER II in amorphem Silizium mit einer Auflösung von 0,8 Nanometern atomare Substrukturen identifiziert. Solche a-Si:H-Dünnschichten werden bereits seit Jahrzehnten in Solarzellen, TFT-Displays und Detektoren eingesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich drei unterschiedliche Phasen innerhalb der amorphen Matrix bilden, die Qualität und Lebensdauer der Halbleiterschicht dramatisch beeinflussen.
Silizium muss nicht kristallin sein, sondern lässt sich auch als amorphe Dünnschicht herstellen. Dabei ist der Atomverband ungeordnet wie in einer Flüssigkeit oder einem Glas. Wird bei der Entstehung dieser Dünnschichten zusätzlich Wasserstoff eingelagert, entstehen a-Si:H-Schichten. „Solche a-Si:H-Dünnschichten sind schon seit Jahrzehnten bekannt und werden für verschiedene Anwendungen eingesetzt, zum Beispiel als Kontaktschichten in unseren Weltrekord-Tandemsolarzellen aus Perowskit und Silizium“, erklärt Klaus Lips vom HZB. „Aber erst mit dieser Studie konnten wir zeigen, dass das a-Si:H-Netzwerk keineswegs homogen amorph ist, sondern dass die amorphe Matrix von nanometergroßen Bereichen durchsetzt ist, die unterschiedliche lokale Dichte aufweisen, von Hohlräumen bis hin zu Bereichen mit extrem hoher Ordnung“ kommentiert der Physiker.
In einer Kooperation mit den Technischen Universitäten Eindhoven und Delft haben Lips und sein Team es erstmals geschafft, diese Inhomogenitäten in unterschiedlich hergestellten a-Si:H-Dünnschichten experimentell zu beobachten und quantitativ zu vermessen. Dafür kombinierten sie die Ergebnisse aus komplementären Messmethoden zu einem Gesamtbild.
„Wir konnten mit Röntgenstreuung an BESSY II eine nanoskopische Ordnung in der Unordnung der a-Si:H Schichten identifizieren und quantifizieren. Die Verteilung der Wasserstoffatome im amorphen Netzwerk konnten wir dann mit Neutronenstreuung am früheren Forschungsreaktor BER II am HZB-Standort Wannsee bestimmen“, sagt Eike Gericke, Doktorand und Erstautor der Arbeit. Weitere Einsichten lieferten Untersuchungen unter dem Elektronenmikroskop am CCMS-Corelab sowie Messungen der Elektronenspinresonanz (ESR).
„Auf der Nanometerskala konnten wir zum einen Hohlräume entdecken, die durch etwas mehr als zehn fehlende Atome entstehen. Diese Hohlräume ordnen sich wiederum in einem Abstand von etwa 1,6 Nanometern zu Clustern“, erklärt Gericke. Diese Leerstellen sind in erhöhter Konzentrationen zu finden, wenn die a-Si:H-Schicht rasch abgeschieden wurde.
Außerdem fanden die Forscher nanometergroße Regionen, in denen Silizium-Atome besser geordnet vorlagen, verglichen mit dem umgebenden ungeordneten Material. Diese dicht geordneten Domänen (DOD) enthalten kaum Wasserstoff. „Die DOD bilden Aggregate mit bis zu 15 Nanometern im Durchmesser und finden sich weitgehend in allen hier betrachteten a-Si:H-Materialien“, erläutert Gericke.
„Die DOD-Regionen, die zum ersten Mal 2012 in der Fachzeitschrift Science theoretisch vorhergesagt wurden, können mechanische Spannungen im Material reduzieren und so zur Stabilität der a-Si:H-Dünnschicht beitragen. Die Leerstellen dagegen könnten die Alterung der Halbleiterschichten begünstigen, darauf deuten die ESR-Messungen hin“, sagt Klaus Lips.
Gezielte Optimierungen der Herstellungsverfahren hinsichtlich der nun entdeckten Substrukturen könnten neue Anwendungen ermöglichen, beispielsweise in der Entwicklung von Lichtwellenleitern für programmierbare photonische Systeme und im Bereich der Silizium-Batterietechnologie. Die Erkenntnisse werden aber auch helfen, dem Mechanismus der lichtinduzierten Alterung der Solarzellen aus amorphen Silizium endlich auf die Spur zu kommen, der seit über vierzig Jahren unverstanden ist.
HZB / DE