03.07.2023

Edward Witten erhält Hamburger Preis für Theoretische Physik

Stringtheoretiker für wegweisenden Beiträge zu einer vereinheitlichten mathematischen Beschreibung fundamentaler Naturkräfte geehrt.

Der US-amerikanische Physiker Edward Witten wird mit dem Hamburger Preis für Theoretische Physik 2023 ausgezeichnet. Der emeritierte Professor am Institute for Advanced Study in Princeton wird für seine wegweisenden Beiträge zu einer vereinheit­lichten mathematischen Beschreibung funda­men­taler Naturkräfte geehrt. Mit seiner heraus­ragenden Forschung zur String- und Quanten­theorie hat Edward Witten das Verständnis von Raum, Zeit, Materie und Struktur des Kosmos nachhaltig beeinflusst. Die Impulse seiner Arbeiten reichen weit in andere Fachgebiete, insbesondere die Mathematik, hinein.

Abb.: Edward Witten, emeri­tierter Pro­fessor am Institute for Advanced Study...
Abb.: Edward Witten, emeri­tierter Pro­fessor am Institute for Advanced Study in Princeton, erhält den Ham­burger Preis für Theo­re­tische Physik 2023. Der Forscher prägte maß­geb­lich unser Ver­ständ­nis von Raum, Zeit und Struktur des Kosmos. (Bild: OFC LLC)

Der Hamburger Preis für Theoretische Physik ist einer der höchst­dotierten Wissen­schafts­preise für Physik in Deutschland und wird von der Joachim-Herz-Stiftung gemeinsam mit dem Wolfgang Pauli Centre des DESY und der Universität Hamburg, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY sowie den beiden Exzellenz­clustern „CUI: Advanced Imaging of Matter“ und „Quantum Universe“ an der Universität Hamburg verliehen. Das Preisgeld beträgt 137.036 Euro, eine Anspielung auf die Sommerfeldsche Feinstruktur­konstante, die in der Theoretischen Physik eine wichtige Rolle spielt. Die Preisverleihung findet am 8. November in Hamburg statt.

Witten zählt zu den renommiertesten und am häufigsten zitierten theoretischen Physikern unserer Zeit. Seit Jahrzehnten gibt er wichtige Impulse für die Entwicklung einer großen vereinheit­lichten Theorie der Physik, die alle Kräfte und Bausteine des Universums beschreibt. Als aussichts­reicher Kandidat dafür gilt seit den 1970er Jahren die Stringtheorie, weil sie eine Brücke zwischen zwei etablierten Grundpfeilern der Physik baut: Die Quantentheorie, die das Zusammenspiel subatomarer Partikel bestimmt, sowie der Allgemeinen Relativitäts­theorie, die Gravitation als Folge der Krümmung des Raums beschreibt und die Entwicklung von Sternen, Galaxien und schwarzen Löchern vorhersagt.

Der Stringtheorie zufolge lassen sich Quanten- und Gravitations­theorie unter dem Dach eines neuen mathematischen Formalismus vereinigen. Dabei werden Elementar­teilchen als winzige linien­förmige Objekte betrachtet, die Strings. Quarks, Elektronen und alle anderen bekannten Elementar­teilchen sind demzufolge nichts anderes als verschiedene Schwingungs­muster desselben Urteilchens. In den 1980er Jahren kristal­li­sierte sich unter maßgeblicher Mitwirkung Wittens heraus, dass sich durch diesen Paradigmen­wechsel alle vier funda­men­talen Naturkräfte – Gravitation, Elektro­magnetismus, schwache Wechsel­wirkung, starke Kernkraft – durch eine vereinheit­lichte quanten­mechanische Feldtheorie beschreiben lassen.

Ein Rätsel blieb jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt fünf mögliche Versionen der Stringtheorie bekannt waren. Wenn eine davon unser Universum beschreibt, wer lebt dann in den anderen vier Welten? Ausgehend von den Arbeiten zahlreicher Kollegen präsentierte Witten 1995 auf einer Konferenz in Kalifornien eine Lösung für dieses Problem: Wenn man quanten­mechanische Effekte vollständig berück­sichtigt, schmelzen die Unterschiede zwischen den fünf Stringtheorien dahin. Sie alle entpuppen sich als Grenzfälle einer grund­legenderen Theorie, genannt M-Theorie. Sie besagt, dass die Strings Erscheinungs­formen schwingender Membranen sind und gilt als Kandidat für die große Vereinheit­lichung der Naturgesetze.

„Mit Edward Witten zeichnen wir in diesem Jahr einen Wissenschaftler aus, dessen Arbeiten wegweisend für die Entwicklung der Stringtheorie und der Quanten­feld­theorie waren und auch weit darüber hinaus wichtige Impulse gaben. Diese Leistung und sein Wirken an der Schnittstelle zwischen Physik und Mathematik möchten wir mit dem Hamburger Preis für Theoretische Physik würdigen“, so Sabine Kunst, Vorstands­vorsitzende der Joachim-Herz-Stiftung.

Der Physikpreis ist mit einem Forschungs­aufenthalt in Hamburg verbunden. „Edward Wittens bahnbrechende Arbeiten knüpfen eng an die Science City Hamburg-Bahrenfeld an, zum Beispiel durch die Forschungs­schwerpunkte im Exzellenz­cluster Quantum Universe und insbesondere auch am Hamburger Zentrum für mathematische Physik, das DESY und Universität Hamburg seit 2004 gemeinsam aufgebaut haben. Wir blicken dem Austausch mit dieser Koryphäe daher mit großer Spannung und Vorfreude entgegen“, äußert sich Volker Schomerus, leitender Wissen­schaftler bei DESY und Sprecher des Wolfgang Pauli Centre.

Im Lauf seiner Karriere hat sich Witten nicht nur als führender String­theoretiker einen Namen gemacht. Auch in anderen Bereichen der mathematischen Physik gab er wichtige Impulse, von der Quantentheorie bis zur Physik der kondensierten Materie, teilweise mit Anwendungen in der Gravitations­theorie und Astronomie. Seine Arbeiten zur topologischen Quanten­feld­theorie beispiels­weise eröffneten Mathematikern Ende der 1980er Jahre neue Horizonte beim Verständnis der geometrischen Strukturen und Gesetzmäßig­keiten von Knoten. Wittens außer­ge­wöhnliche Fähigkeit, abstrakte Konzepte wie Richard Feynmans berühmte Pfadintegrale aus der Physik auf die Mathematik zu übertragen, macht ihn zu einer heraus­ragenden Figur an der Schnittstelle beider Disziplinen. Witten wurde vielfach ausgezeichnet, so erhielt er 1990 als erster Physiker überhaupt die Fields-Medaille. Sie gilt als höchste Auszeichnung für Mathematiker.

Edward Witten wurde 1951 in Baltimore geboren. Nach einem Bachelor-Abschluss an der Brandeis University in Massachusetts studierte er Angewandte Mathematik und Physik an der Princeton University. Der Betreuer für seine Promotion über Quanten­eich­theorien war David Gross, der für seinen Beitrag zur Theorie der starken Wechselwirkung 2004 den Nobelpreis für Physik erhielt. Nach einer Postdoc-Position an der Harvard University wurde Witten 1980 Professor an der Princeton University und 1987 Professor für Mathematische Physik am Institute for Advanced Study in Princeton.

JHS / RK

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