02.01.2014

Effizienzsprung oder Gleichschaltung?

Die russische Akademie der Wissenschaften steht vor einem massiven Umbau.

Russlands Wissenschaft steht am Scheideweg: Anders als in West- und Südeuropa, wo die Finanzkrise das beherrschende Thema ist, geht es dabei um die grundlegende Struktur des Wissenschaftssystems. Im Sommer brachte die Regierung ein Reformpaket für die Russische Akademie der Wissenschaften (RAN) ein, das u. a. vorsieht, die Akademie mit zwei kleineren Einrichtungen zu fusionieren und die „neue“ Akademie einer staatlichen Aufsichtsbehörde zu unterstellen. „Ineffektive“ Ins­titute sollen geschlossen oder fusioniert werden, der Etat der Akademie sich auf „effektive“ Einrichtungen konzentrieren und dabei stark schrumpfen. Außerdem sollen anstelle der bisher strikt getrennten RAN-Institute (für die Forschung) und Universitäten (für die Lehre) regionale Forschungsuniversitäten entstehen und sich durch Fusionen zu „Global Playern“ entwickeln.

Die Zentrale der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau wird im Volksmund „goldenes Hirn“ genannt. (Foto: Nataliya Sadovskaya / Wikimedia Commons)


Seit ihrer Gründung durch Peter den Großen hat die Russische Akademie keine solche Umgestaltung erlebt. Nicht nur aus Traditionsbewusstsein oder der Sorge um rund 50 000 Arbeitsplätze gibt es seit dem Sommer massive Proteste. Die russische Community befürchtet vor allem, dass die relative Unabhängigkeit bei der inneren Organisation und der Auswahl der Forschungsthemen verschwinden sollen. Zudem besitzt die Akademie Immobilien im Wert von geschätzt sieben Milliarden Euro, deren Vermietung dazu beiträgt, die Ausstattung zu finanzieren und die sehr niedrigen Gehälter aufzustocken. Die Kritiker werfen der Putin-Administration daher vor, mit der Reform die Kontrolle über den Grundbesitz der Akademie erlangen und diesen zumindest teilweise privatisieren zu wollen – mit entsprechenden Folgen wie in den 1990er-Jahren –, ohne die Mittel für die russische Wissenschaft entsprechend zu erhöhen.

Ungeachtet aller Einwände und Proteste beschloss die russische Staatsduma im Herbst das Reformpaket. Kurz darauf verkündete allerdings Präsident Putin ein einjähriges Moratorium bei der Umsetzung der Beschlüsse. Dieter Bimberg, Professor am Institut für Festkörperphysik der TU Berlin und langjähriger Kenner der russischen Forschungsszene, schätzt die derzeitige Lage als unübersichtlich ein, noch sei nicht bekannt, auf welche Teile der Reform sich das Moratorium beziehe. Aller­dings sei der Reformbedarf des Akademiesystems nicht zu übersehen. „Seit den Tagen von Peter dem Großen oder Stalin und Berija haben sich die Anforderungen fundamental geändert, die Strukturen jedoch nicht. Ein Manko ist auch, dass die meisten Institute sehr groß sind und ein breit aufgefächertes Themenspektrum haben“, sagt er. Thematisch konzentrierte Einrichtungen wie bei der Max-Planck- oder der Fraunhofer-Gesellschaft könnten wesentlich effektiver arbeiten, ist Bimberg überzeugt.

Die Reformbemühungen beschränken sich nicht nur auf den Umbau der RAN. Mit dem „Innovationszentrum Skolkowo“ soll seit 2010 in einem Moskauer Vorort eine russische Version von „Silicon Valley“ und Stanford University entstehen und zur wissenschaftlichen Weltelite aufschließen, ohne auf die Reform des schwerfälligen Akademiesystems zu warten. Die Pläne sind sehr ehrgeizig: Vor allem dank internationaler Konzerne soll vielen ins Ausland abgewanderten Spitzenforschern eine finanzielle Perspektive in der Heimat geboten und damit die übrige Wissenschaft belebt werden. Den fünf Clus­tern zu Informationstechnologie, Energie, Raumfahrt, Biomedizin und Nukleartechnik sollen sich spezialisierte staatliche und private Forschungseinrichtungen sowie eine Universität für die Graduiertenförderung ebenso widmen wie ein Netzwerk von Ausgründungen und Start-ups, die finanziell und durch Infrastrukturmaßnahmen gefördert werden. Weitere „Skolkowos“ könnten in anderen Landesteilen folgen.

Skolkowo geht zurück auf eine Initiative des damaligen Präsiden­ten Dmitri Medwedjew. An der Spitze der „Stiftung für die Entwicklung der Innograd Skolkowo“ steht der russisch-schweizerische Milliardär Wiktor F. Wekselberg, als Vorsitzende des Scientific Advisory Committees fungieren die Nobelpreisträger Schores Alferow (Physik) aus St. Petersburg und Roger Kornberg (Chemie) aus Stanford. Im Stiftungsrat sitzt u. a. Eric ­Schmidt, Chairman/CEO von Google. Zu den Mietern des ersten Gebäudes, des „Hypercube“, zählen Cisco und Siemens.

Kritiker bemängeln das große Gefälle zwischen der Ausstattung des Vorzeigecampus und der Universitäten und Institute in der Provinz. Auch wurden Korruptionsvorwürfe laut. Bimberg, der im Scientific Advisory Committee von Skolkowo sitzt, hält es angesichts des international erfahrenen Managements für sehr unwahrscheinlich, dass das Projekt an Korruptionsproblemen scheitern könnte. Für das Wissenschaftssystem insgesamt zieht er Parallelen zu den „extrem erfolgreichen“ Berliner Forschungszentren in Adlershof und Buch, die nach der Wende aus ehemaligen Standorten der Akademie der Wissenschaften der DDR entstanden sind. „Deren Transformation in ein System aus kleineren, themenzentrierten Instituten und privatwirtschaftlichen Forschungsfirmen ist nicht nur für Skolkowo ein Managementmodell, sondern auch für das russische Akademiesystem“, ist Bimberg überzeugt.

Matthias Delbrück

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