12.10.2006

Eigenwillige Luftblasen

Gasbläschen in einer Flüssigkeit verhalten sich beim Abschnüren und Aufsteigen recht eigensinnig.



Gasbläschen in einer Flüssigkeit verhalten sich beim Abschnüren und Aufsteigen recht eigensinnig.

Wenn man einen tropfenden Wasserhahn beobachtet oder durch einen Strohhalm Luftblasen ins Wasser „blubbern“ lässt, sieht man eine überraschende Ähnlichkeit: Unmittelbar bevor sich ein Tropfen oder eine Blase ablöst, schnüren sie sich ein. Sie hängen dann an einer Wasser- bzw. Luftbrücke, die immer dünner wird und sich schließlich ganz abschnürt. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass sich Flüssigkeitstropfen in einer universellen Weise einschnüren, die weder von der Art der Flüssigkeit noch vom Querschnitt der Flüssigkeitssäule abhängt. Jetzt hat sich gezeigt, dass Luftbläschen im Wasser sich nichtuniversell einschnüren. Und auch beim anschließenden Aufstieg verhalten sich die Bläschen eigensinnig.

Sidney Nagel und seine Mitarbeiter von der University of Chicago haben ihre Luftblasen mit Hilfe von Düsen erzeugt, die eine millimetergroße kreisförmige Spitze hatten. Die Düsen befanden sich in einen wassergefüllten Tank und zeigten zunächst senkrecht nach oben. Wurde Luft durch eine solche Düse gepresst, so bildeten sich an der Düsenspitze einzelne Luftbläschen, schnürten sich ab und stiegen auf. Um das Abschnüren zu verfolgen, wurde eine Kamera auf die Düsenspitze gerichtet, die bis zu 130.000 Bilder pro Sekunde aufnehmen konnte. Damit ließ sich bestimmen, wie breit die sich einschnürende Luftbrücke an ihrer engsten Stelle in Abhängigkeit von der Zeit war. Diese minimale Breite h war proportional zu T a, wobei T die noch bis zum Abschnüren verbleibende Zeit bezeichnet. Für den Exponenten fanden die Forscher a = 0,56 ± 0,03. Dieses Potenzgesetz galt für Zeiten T von 1 ms bis hinunter zu 1 µs. An der Abschnürungsstelle entstand zwischen Luftblase und Düsenspitze ein zusätzliches, 5 µm großes Luftbläschen.

Bei früheren Untersuchungen zum Abschnürungsverhalten von Flüssigkeitstropfen, hatte man ebenfalls ein Potenzgesetz für die minimale Breite h der Einschnürung gefunden: h ~ T a. Allerdings war in diesem Fall der Exponent a größer als 2/3. Flüssigkeitstropfen schnürten sich demnach viel schneller ein als Luftbläschen. Verantwortlich ist dafür die Oberflächenspannung. Sie treibt das Einschnüren eines Tropfens schnell voran und sorgt dafür, dass anfängliche Unregelmäßigkeiten und Asymmetrien des Tropfens mit fortschreitender Annäherung an den Augenblick des Abschnürens ausgeglättet werden. An der Einschnürungsstelle liegt schließlich perfekte Zylindersymmetrie vor und die Einschnürung geht in universeller Weise von statten.

Beim Einschnüren von Luftbläschen spielt die Oberflächenspannung hingegen keine Rolle. Sie ist nur für die anfängliche Form und Größe der Tröpfchen verantwortlich. Die Einschnürung hat andere Ursachen, mit denen die Oberflächenspannung nicht mithalten kann: Das sind der hydrostatische Druck und – wenn die Flüssigkeit, die die Einschnürungsstelle umgibt, in Bewegung geraten ist – der Bernoulli-Druck. Sie treiben die Einschnürung jedoch so voran, dass dabei anfängliche Unregelmäßigkeiten und Asymmetrien des Tropfens nicht „vergessen“ werden. Das konnten die Forscher zeigen, indem sie den Wassertank samt Düse kurzerhand um einen Winkel von ca. 2° gegen die Senkrechte neigten. Damit war die Zylindersymmetrie der aus der Düse austretenden Tropfen zerstört.

Die aus der geneigten Düse kommenden Tropfen schnürten sich in Neigungsrichtung schneller ab als quer dazu. An der Einschnürungsstelle bildete sich ein etwa knapp 100 µm breiter Luftstreifen, der schließlich riss und zwei zusätzliche, etwa 15 µm große Luftbläschen hinterließ. Noch bizarrer sah die Abschnürung aus, als die Forscher eine Düse mit schlitzförmiger Spitze benutzten. Auch in diesem Fall bildete sich ein Luftstreifen an der Einschnürungsstelle, der sowohl von der Seite her als auch in der Mitte reißen konnte. Der singuläre Vorgang, bei dem sich die Verbindung des Tropfens zur Düse abschnürt oder einreißt hat somit eine Art von „Gedächtnis“, wie man es bisher noch nicht beobachtet hatte. Hier gibt es noch eine große Vielfalt von bislang unbekannten Singularitäten zu erforschen.

Hat sich ein Luftbläschen erst einmal losgerissen, dann strebt es zunächst auf kürzestem Weg nach oben. Doch nach etwa einem halben Meter beginnt es einer Zickzackbahn zu folgen: Beim Aufsteigen schwingt es horizontal in einer festen Ebene, wobei die Schwingungsamplitude auf etwa zwei Millimeter anwächst. Das haben Experimente von Woodrow Shew und Jean-François Pinton von der Ècole Normale Supérieure de Lyon gezeigt. Schließlich geht die Zickzackbewegung in eine Spiralbahn über, die das Bläschen im Weiteren beschreibt. Den beiden Forschern ist es gelungen, die komplizierten hydrodynamischen Gleichungen, die diesem Geschehen zugrunde liegen, auf ein System von vier gewöhnlichen Differentialgleichungen zu vereinfachen, dass man leicht numerisch lösen kann. Damit werden erstmals Vorhersagen möglich, z. B. dass Bläschen nur dann eine Zickzackbahn machen, wenn sie nicht viel größer sind als 1 mm. Warum aber auf Zickzack stets eine Spirale folgt und niemals umgekehrt, ist noch unklar. Die eigensinnigen Luftbläschen haben noch längst nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben.

Rainer Scharf

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