03.03.2014

Ein Beschleuniger im Kornfeld

Robert Wilson, der Gründungsdirektor des Fermilab und Pionier der Protonentherapie, wäre am 4. März hundert Jahre alt geworden.

„Ich war ein sorgloser Professor an der Cornell-University, als man mich in Ermangelung eines Besseren zum Bauleiter des späteren Fermi National Accelerator Laboratory auswählte. Ich übergehe vornehm meine ersten Monate in einer unwirklichen Welt, in der ich der einzige Angestellte war und mich fragte, wer, wenn überhaupt, kommen würde, um dieses Kornfeld mit mir in ein Physik-Labor zu verwandeln“, erinnerte sich Robert Rathbun Wilson 1992 anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Fermi National Laboratory (Fermilab) in Batavia, westlich von Chicago. Das war gezielte Tiefstapelei, denn Robert Wilson galt zu jener Zeit (1967) als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der US-amerikanischen Beschleunigerphysik.

Er trat an, das weltweit ehrgeizigste Beschleuniger-Projekt zu realisieren. Und Wilson meisterte es nicht nur innerhalb der geplanten sechs Jahre, sondern blieb auch 30 Prozent unter den veranschlagten Kosten. Der kunstaffine Physiker sah sich als Nachfolger der Baumeister mittelalterlicher Kathedralen. Nicht umsonst lehnte Wilson die Architektur des Hauptgebäudes seines Forschungsgebäudes an die Kathedrale von Beauvais in Frankreich an. Diese verpflanzte er ohne zu Zögern in eine amerikanische Prärielandschaft, die er rund um das Fermilab wiederherstellte, und siedelte dort eine Bison-Herde an. Seine Kindheit hatte der am 4. März 1914 in Frontier, Wyoming, geborene Robert Wilson als Cowboy auf verschiedenen Rinderfarmen verlebt.

Robert Rathbun Wilson (1914 – 2000) (Foto: Fermilab)


Wilson war die treibende Kraft bei der Entwicklung von zwei der führenden Beschleunigerlabors in den USA: des Cornell Laboratory of Nuclear Studies und des Fermilabs. Zwar fielen die beiden Hauptleistungen des Fermilabs – die Entdeckung des b-Quarks und des Top-Quarks – nicht in seine Amtszeit als Direktor, aber er hatte auch nach seinem Ausscheiden 1978 großen Einfluss auf das Forschungsprogramm. Er bestand darauf, den Beschleuniger bei der höchsten möglichen Energie zu betreiben, obwohl seine Gegner davon abrieten, um die Verlässlichkeit der Maschine zu gewährleisten.

Begonnen hatte Wilson seine wissenschaftliche Karriere 1936 bei Ernest Lawrence am Radiation Laboratory der University of California in Berkeley, damals ein aufblühendes Zentrum für experimentelle und theoretische Physik. Dort promovierte er 1940 mit einer Arbeit über die Theorie des Zyklotrons. Weil er aber auf Dauer mit dem barschen Führungsstil von Lawrence nicht zurecht kam – dieser feuerte ihn zweimal wegen Kleinigkeiten, stellte ihn dann aber wieder ein –, wechselte Wilson an die Ostküste, wo er an der Princeton University einen Job als Physik-Dozent erhielt.

Aufgrund seiner Arbeiten an einer Methode zur Isotopentrennung wurde er 1943 zum Manhattan Project hinzugezogen. In Los Alamos ernannte Robert Oppenheimer den noch nicht Dreißigjährigen zum Leiter der Zyklotrongruppe. Er war der jüngste Leiter einer experimentellen Abteilung. Im März 1945 beauftragte Oppenheimer Wilsons Abteilung mit der Vorbereitung des Trinity-Projektes, das im Juli die erste Bombe testen sollte. Als aber Nazi-Deutschland im Mai kapitulierte und die Alliierten herausfanden, dass das deutsche Atombombenprojekt dem amerikanischen weit hinterher hinkte, hinterfragte Wilson die Fortsetzung seiner Arbeit. Bei dem leitenden Militär, General Leslie Groves, stieß er damit auf eisige Ablehnung.

In dem 1980 erschienenen Dokumentarfilm „The Day after Trinity“ bedauerte er, seinerzeit nicht aus dem Projekt ausgeschieden zu sein. Heute ist seine Person sogar als Figur in der Oper „Dr. Atomic“ zu erleben, die derzeit noch bis 25. Mai in Karlsruhe zu erleben ist. Nach dem Abwurf der Atombomben auf Japan engagierte sich Wilson gemeinsam mit Oppenheimer und anderen bedeutenden Physikern in der Association of Los Alamos Scientists, die eine Petition für die internationale Kontrolle der Atomenergie verfasste und an den amerikanischen Präsidenten überreichte.

Fruchtbare Jahre in Cornell
Nach dem Krieg nahm Wilson eine Stelle als Associate Professor in Harvard an, verbrachte aber die ersten acht Monate in Berkeley, um dort ein neues 150-MeV-Zyklotron zu entwerfen – als Ersatz für das, was 1943 nach Los Alamos transportiert worden war. Während seiner Zeit in Harvard publizierte er auch eine wegweisende Arbeit über die Krebstherapie mit Protonen und begründete damit einen neuen Zweig der Bestrahlungstherapie.

Ein Jahr später wechselte er an die Cornell University in Ithaca, New York, wo er einen Lehrstuhl erhielt. Dort war gerade ein 300-MeV-Elektronen-Synchrotron im Bau. Ziel der Forschung war es, Elementarteilchen und ihre Wechselwirkung zu erforschen. Schon bald wurde klar, dass eine Maschine mit noch höheren Energien gebraucht wurde, weshalb Wilson 1952 den Bau eines 1,4 GeV-Synchrotrons initiierte. Gegenüber seinem Geldgeber gestand er, es handle sich um ein Abenteuer: „Das Design ist in hohem Maße umstritten, da die Maschine ungewöhnlich klein und preiswert ist, für das, was sie einmal leisten soll. Insofern besteht ein hohes Risiko, dass sie überhaupt nicht funktioniert. Andererseits: Wenn wir erfolgreich sind, haben wir den größten Elektronenbeschleuniger weltweit und es werden sich neue Forschungsfelder eröffnen.“ Tatsächlich erwies sich der Beschleuniger als ein großer Erfolg. Mit ihm wurden die Quantenelektrodynamik bei kleinen Abständen überprüft, eine zweite Nukleon-Resonanz entdeckt, erste Messungen der Photoproduktion von K- und rho-Mesonen gemacht sowie präzise Messungen der Nukleon-Struktur durchgeführt.

Die letzte Maschine, die Wilson in Cornell baute, war ein 12-GeV-Elektron-Synchrotron. Der technische Fortschritt bestand darin, dass er den gesamten Ring evakuierte. So konnte er die Ablenkmagnete deutlich verkleinern, denn es war nicht mehr notwendig, eine separate Vakuumkammer einzubauen. Das Prinzip, die Magnete und damit die Apertur für den Teilchenstrahl zu verkleinern, verwendete er auch, als er die erste Proton-Maschine am späteren Fermilab baute. Auf diese Weise gelang es ihm, höhere Feldstärken und damit auch höhere Beschleunigungen bei geringeren Kosten zu erreichen. Die Nachfolgemaschine, das 1983 in Betrieb genommene Tevatron, verwendete dann supraleitende Ablenkmagnete. Diese Prinzipien wurden später auch beim HERA-Beschleuniger bei DESY in Hamburg und am Large Hadron Collider im CERN verwendet.

„Es gehört zu Wilsons Markenzeichen, dass er höhere Energien und eine größere physikalische Reichweite zu gleichen Kosten ermöglichte. Oft erschienen seine Vorschläge kühn und fantasievoll, wurden für riskant und unrealistisch gehalten. Die Tatsache, dass die meisten Prinzipien in nachfolgenden Beschleunigern übernommen wurden, ist eine weitere Anerkennung von Wilsons Weitsicht und Mut“, sagten Boyce MacDaniel und Albert Silverman in ihrem Nachruf auf den im Jahr 2000 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Kollegen.

Anne Hardy

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