02.05.2023

Ein digitaler Zwilling für die Endlagerung

Wie KI-Methoden bei der Bewertung möglicher Tiefenlager helfen können.

Die letzten drei deutschen Kern­kraft­werke sind abgeschaltet. Was bleibt, sind etwa 27.000 Kubikmeter hoch­radio­aktive Abfälle. Wo diese künftig sicher gelagert werden, ist noch offen. Bis 2031 sollte ursprünglich ein geeigneter Standort in Deutschland gefunden werden. Inzwischen wird eine Entscheidung in den 2040er-Jahren angestrebt. Wie Methoden der künst­lichen Intelligenz bei der Bewertung von möglichen Tiefen­lagern helfen können, unter­suchen jetzt Wissen­schaftler der TU Braunschweig. Das Forschungs­vorhaben wird vom Bundes­ministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucher­schutz mit etwa einer Million Euro gefördert.

Ein digitaler Zwilling für die Endlagerung

Die Grundlage für die Endlager­suche bildet das Standort­auswahl­gesetz. Es sieht vor, einen genehmigungs­fähigen Standort mit der best­möglichen Sicherheit zu finden. Konkret heißt das: Radioaktive Abfälle müssen hier für einen Zeitraum von einer Million Jahre sicher gelagert werden können. Dafür kommt nur eine Lagerung tief unter der Erde, also eine tiefen­geologische Lagerung in einem Wirtsgestein wie Steinsalz, Ton oder Kristallin, infrage.

Seit 2017 überprüft die Bundesgesellschaft für Endlagerung verschiedene Regionen in ganz Deutschland auf Endlager­tauglich­keit. Dabei wird eine „Endlagerung mit Rever­si­bi­lität“ favorisiert: Das gesamte Verfahren – von der Standort­auswahl über die Planung, den Bau und den Betrieb des Endlagers bis hin zum Verschluss des Gruben­gebäudes – soll so ausgelegt sein, dass bereits getroffene Entschei­dungen zurück­ge­nommen werden können.

Ziel ist also, innerhalb des Verfahrens fort­laufend zu lernen und das möglichst selbst­lernend und selbst­korri­gierend. Hier setzt das Forschungs­vorhaben der TU Braunschweig an. Mit dem Projekt „Entwicklung einer selbstlernenden Modellierungs­methodik zu geomecha­nischen und geotech­nischen Prozessen am Beispiel der Planungs- und Auffahrungs­phase einer Einlagerungs­strecke eines Tiefen­lagers“, kurz SEMOTI, wollen die Wissen­schaftler zur Verbesserung der Planungen und Bewertung beitragen.

„Am Beispiel einer Einlagerungs­strecke wollen wir feststellen, ob wir maschinelles Lernen auch auf Prozesse der Gebirgs­mechanik anwenden können“, sagt Joachim Stahlmann von der TU Braunschweig. „Unser Bestreben ist, mit Methoden der künstlichen Intelligenz im Bereich der Geotechnik bessere Ergebnisse zu erreichen.“

Durch das Monitoring während der einzelnen Projektphasen nehmen die Kenntnisse und die Daten­grund­lagen über das Tiefen­lager­system stetig zu. Fehlent­wick­lungen können im selbst­lernenden Verfahren schneller erkannt und gegebenen­falls Konsequenzen daraus abgeleitet werden. Beispiels­weise ob das Tiefenlager in ein Endlager umgewandelt werden kann, zusätzliche Maßnahmen erforderlich werden oder sogar die einge­lagerten Abfälle rückgeholt werden müssen.

„Damit kann ein Tool entstehen, das zur weiteren Entscheidungs­findung heran­ge­zogen werden kann“, so Henning Wessels von der TU Braunschweig. „Die KI kann hier auch ein Stück weit die Subjektivität in der Nachweis­führung durch Ingenieure oder Natur­wissen­schaftler reduzieren.“ Da in Deutschland noch kein Endlager für hoch­radio­aktive Abfälle existiert, entwickeln die Wissen­schaftler für ihre Forschungs­arbeiten ein fiktives Endlager­modell, den virtuellen Demonstrator. Betrachtet wird der digitale Zwilling einer Einlagerungs­strecke eines Tiefen­lagers im Steinsalz.

„Beim jetzigen Stand der Technik ist jedoch keine voll­ständige Auto­mati­sierung der Lernverfahren zu erwarten“, so Stahlmann. „Die Expertise von Ingenieuren oder Natur­wissen­schaftlern wird weiterhin in die Entwicklung eines Tiefen­lagers einfließen.“ Doch könnten die KI-Methoden zu einer Verbesserung sowohl der Planungen beitragen als auch der Bewertung von Reaktionen auf Zustands­verände­rungen im Endlager­system. Zudem könnten durch maschinelles Lernen unerwartete Lösungen entstehen, die bei manuellen Planungen direkt ausgeschlossen werden.

TU Braunschweig / RK

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