Ein digitaler Zwilling für die Endlagerung
Wie KI-Methoden bei der Bewertung möglicher Tiefenlager helfen können.
Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke sind abgeschaltet. Was bleibt, sind etwa 27.000 Kubikmeter hochradioaktive Abfälle. Wo diese künftig sicher gelagert werden, ist noch offen. Bis 2031 sollte ursprünglich ein geeigneter Standort in Deutschland gefunden werden. Inzwischen wird eine Entscheidung in den 2040er-Jahren angestrebt. Wie Methoden der künstlichen Intelligenz bei der Bewertung von möglichen Tiefenlagern helfen können, untersuchen jetzt Wissenschaftler der TU Braunschweig. Das Forschungsvorhaben wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz mit etwa einer Million Euro gefördert.
Die Grundlage für die Endlagersuche bildet das Standortauswahlgesetz. Es sieht vor, einen genehmigungsfähigen Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Konkret heißt das: Radioaktive Abfälle müssen hier für einen Zeitraum von einer Million Jahre sicher gelagert werden können. Dafür kommt nur eine Lagerung tief unter der Erde, also eine tiefengeologische Lagerung in einem Wirtsgestein wie Steinsalz, Ton oder Kristallin, infrage.
Seit 2017 überprüft die Bundesgesellschaft für Endlagerung verschiedene Regionen in ganz Deutschland auf Endlagertauglichkeit. Dabei wird eine „Endlagerung mit Reversibilität“ favorisiert: Das gesamte Verfahren – von der Standortauswahl über die Planung, den Bau und den Betrieb des Endlagers bis hin zum Verschluss des Grubengebäudes – soll so ausgelegt sein, dass bereits getroffene Entscheidungen zurückgenommen werden können.
Ziel ist also, innerhalb des Verfahrens fortlaufend zu lernen und das möglichst selbstlernend und selbstkorrigierend. Hier setzt das Forschungsvorhaben der TU Braunschweig an. Mit dem Projekt „Entwicklung einer selbstlernenden Modellierungsmethodik zu geomechanischen und geotechnischen Prozessen am Beispiel der Planungs- und Auffahrungsphase einer Einlagerungsstrecke eines Tiefenlagers“, kurz SEMOTI, wollen die Wissenschaftler zur Verbesserung der Planungen und Bewertung beitragen.
„Am Beispiel einer Einlagerungsstrecke wollen wir feststellen, ob wir maschinelles Lernen auch auf Prozesse der Gebirgsmechanik anwenden können“, sagt Joachim Stahlmann von der TU Braunschweig. „Unser Bestreben ist, mit Methoden der künstlichen Intelligenz im Bereich der Geotechnik bessere Ergebnisse zu erreichen.“
Durch das Monitoring während der einzelnen Projektphasen nehmen die Kenntnisse und die Datengrundlagen über das Tiefenlagersystem stetig zu. Fehlentwicklungen können im selbstlernenden Verfahren schneller erkannt und gegebenenfalls Konsequenzen daraus abgeleitet werden. Beispielsweise ob das Tiefenlager in ein Endlager umgewandelt werden kann, zusätzliche Maßnahmen erforderlich werden oder sogar die eingelagerten Abfälle rückgeholt werden müssen.
„Damit kann ein Tool entstehen, das zur weiteren Entscheidungsfindung herangezogen werden kann“, so Henning Wessels von der TU Braunschweig. „Die KI kann hier auch ein Stück weit die Subjektivität in der Nachweisführung durch Ingenieure oder Naturwissenschaftler reduzieren.“ Da in Deutschland noch kein Endlager für hochradioaktive Abfälle existiert, entwickeln die Wissenschaftler für ihre Forschungsarbeiten ein fiktives Endlagermodell, den virtuellen Demonstrator. Betrachtet wird der digitale Zwilling einer Einlagerungsstrecke eines Tiefenlagers im Steinsalz.
„Beim jetzigen Stand der Technik ist jedoch keine vollständige Automatisierung der Lernverfahren zu erwarten“, so Stahlmann. „Die Expertise von Ingenieuren oder Naturwissenschaftlern wird weiterhin in die Entwicklung eines Tiefenlagers einfließen.“ Doch könnten die KI-Methoden zu einer Verbesserung sowohl der Planungen beitragen als auch der Bewertung von Reaktionen auf Zustandsveränderungen im Endlagersystem. Zudem könnten durch maschinelles Lernen unerwartete Lösungen entstehen, die bei manuellen Planungen direkt ausgeschlossen werden.
TU Braunschweig / RK
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