19.06.2020

Ein Motor aus nur 16 Atomen

Winziger molekularer Motor ermöglicht sogar Untersuchung der Energiedissipation bei Tunnelvorgängen.

Der kleinste Motor der Welt – bestehend aus nur gerade 16 Atomen: Diesen haben ein Team aus Forschern der Empa und der EPFL entwickelt. „Damit sind wir nahe am absoluten Größen­limit für molekulare Motoren“, erklärt Oliver Gröning, Leiter der Forschungs­gruppe für funktionelle Oberflächen an der Empa. Der Motor misst nicht einmal einen Nanometer – er ist also rund 100.000-mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars.
 

Abb.: Rund 50-millionenfache Vergrößerung im...
Abb.: Rund 50-millionenfache Vergrößerung im Raster­tunnel­elektronen­mikroskop des hantel­förmigen Acetylen-Rotor-Moleküls in drei verschiedenen Rotations­zuständen. (Bild: Empa)

Eine molekulare Maschine funktioniert im Prinzip ähnlich wie ihr Gegenstück in der Makrowelt: Er wandelt Energie in eine gerichtete Bewegung um. Auch in der Natur existieren solche molekularen Motoren – etwa in der Form von Myosinen. Myosine sind Motor­proteine, die in Lebewesen eine wichtige Rolle bei der Muskel­kontraktion und beim Transport von anderen Molekülen zwischen den Zellen spielen.

Wie ein Motor im Großformat besteht der aus 16 Atomen zusammen­gesetzte Motor aus einem Stator und einem Rotor, also einem fixen und einem beweglichen Teil. Der Rotor dreht sich auf der Oberfläche des Stators. Er kann dabei sechs unterschiedliche Positionen einnehmen. „Damit ein Motor tatsächlich nützliche Arbeit verrichten kann, ist zentral, dass der Stator dem Rotor erlaubt, sich nur in eine Richtung zu bewegen“, erklärt Gröning.

Da die Energie, die den Motor antreibt, aus einer zufälligen Richtung kommen kann, muss der Motor selbst die Drehrichtung vorgeben. Dies geschieht genau umgekehrt wie bei einer Rätsche in der makroskopischen Welt mit ihrem asymmetrisch gezackten Zahnrad: Währen die Sperrklinke bei einer Rätsche die flache Kante hochfährt und in Richtung der steilen Kante sperrt, braucht die atomare Variante weniger Energie, um an der steilen Kante des Zahnrads hochzufahren, als an der flachen Kante. Die Bewegung in die Sperrrichtung ist daher bevorzugt und die Bewegung in Laufrichtung viel unwahrscheinlicher. Die Bewegung ist also praktisch nur in eine Richtung möglich.

Dieses „umgekehrte“ Rätschen­prinzip haben die Forscher in einer minimalen Variante umgesetzt, indem sie einen Stator mit einer grundsätzlich dreieckigen Struktur aus je sechs Palladium- und Galliumatomen verwendeten. Der Kniff hierbei ist, dass diese Struktur zwar rotations­symmetrisch, nicht aber spiegelsymmetrisch ist.

Als Resultat kann der aus nur vier Atomen bestehende Rotor (ein symmetrisches Acetylen­molekül) fortlaufend drehen, wobei allerdings die Rotation im Uhrzeiger­sinn und gegen den Uhrzeiger unterschiedlich ablaufen müssen. „Der Motor weist deshalb eine Dreh­richtungs­treue von 99 Prozent auf, was ihn von anderen ähnlichen molekularen Motoren unterscheidet“, sagt Gröning. Damit öffnet der molekulare Motor einen Weg zur Energiegewinnung auf atomarer Ebene.

Der winzige Motor kann sowohl mit Wärmeenergie als auch mit elektrischer Energie betrieben werden. Die Wärme­energie sorgt dafür, dass die gerichtete Dreh­bewegung des Motors in Rotationen in zufällige Richtungen übergeht – bei Raum­temperatur etwa dreht sich der Rotor mit mehreren Millionen Umdrehungen pro Sekunde komplett zufällig hin und her. Dagegen kann elektrische Energie, die durch ein Elektronen­raster­mikroskop, von dessen Spitze ein kleiner Strom in den Motoren fließt, wieder gerichtete Drehungen herbeiführen. Die Energie eines einzelnen Elektrons reicht dabei aus, um den Rotoren gerade um eine Sechstel­umdrehung weiterlaufen zu lassen. Dabei gilt : Je höher die zugeführte Energie­menge, desto höher die Bewegungs­frequenz – doch zugleich wird es umso wahrscheinlicher, dass sich der Rotor in eine zufällige Drehrichtung bewegt, da er mit zu viel Energie die Sperrklinke auch in der falschen Richtung überwinden kann.

Gemäß den Gesetzen der klassischen Physik gibt es allerdings eine Mindest­energie­menge, die notwendig ist, um den Rotor gegen den Widerstand der Rätsche überhaupt erst in Bewegung zu setzen; reicht die zugeführte elektrische oder thermische Energie dafür nicht aus, müsste der der Rotor folglich stehenbleiben. Überraschenderweise konnten die Forscher aber auch unterhalb dieser Grenze – bei Temperaturen unter 17 Kelvin beziehungsweise einer angelegten Spannung von unter 30 Millivolt – eine unabhängig gleich­bleibende Rotations­frequenz in eine Richtung beobachten.

An diesem Punkt befinden wir uns am Übergang von der klassischen Physik zur Quantenphysik. Laut deren Regeln können Teilchen tunneln – das heißt, der Rotor kann die Rätsche auch dann noch überwinden, wenn seine Bewegungs­energie im klassischen Sinn nicht ausreicht. Diese Tunnel­bewegung verläuft normalerweise ohne jeglichen Energieverlust. Theoretisch müssten also in diesem Bereich beide Drehrichtungen gleich wahrscheinlich sein. Doch erstaunlicher­weise dreht der Motor weiterhin mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit in dieselbe Richtung. „Der zweite Hauptsatz der Thermo­dynamik besagt, dass die Entropie in einem abgeschlossenen System niemals abnehmen kann. In anderen Worten: Wenn beim Tunneln keine Energie verloren geht, müsste die Drehrichtung des Motors rein zufällig sein. Dass die Drehung des Motors nach wie vor fast ausschließlich in eine Richtung abläuft, deutet also darauf hin, dass auch bei der Tunnelbewegung ein Energie­verlust stattfindet“, so Gröning.

Denkt man an ein ideales System, bei dem weder Energie zugefügt wird noch verloren geht, ist es unmöglich festzustellen, in welche Richtung die Zeit läuft. Bleibt die Energie in einem System erhalten, so lässt sich die Richtung der Zeit nicht mehr feststellen. Dieses Prinzip lässt sich aber auch umkehren: Beobachten wir in einem System einen Vorgang, der klarmacht, in welche Richtung die Zeit läuft, so muss das System Energie verlieren oder Energie dissipieren – etwa durch Reibung.

Üblicherweise geht man davon aus, dass beim Tunneln keine Reibung entsteht. Gleichzeitig wird dem System aber auch keine Energie zugeführt. Wie kann es also sein, dass der Rotor immer in dieselbe Richtung dreht? Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik lässt keine Ausnahmen zu – die einzige Erklärung ist also, dass beim Tunneln ein Energie­verlust, wenn auch ein extrem kleiner, stattfindet. Gröning und sein Team haben also nicht nur ein Spielzeug für Molekularbastler entwickelt. „Der Motor könnte es uns ermöglichen, die Vorgänge und Gründe von Energie­dissipation bei Quanten­tunnel­vorgängen zu untersuchen“, so der Empa-Forscher. 

EMPA / DE
 

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