Eine Heimat für das „neue Kelvin“
Richtfest für ein neues Tieftemperaturlabor der PTB in Berlin.
Walther Meißner, der Pionier der Tieftemperaturforschung, ist der Namenspatron des neuen Gebäudes, das die Physikalisch-Technische Bundesanstalt PTB auf ihrem historischen Gelände in Berlin-Charlottenburg bekommt. Es wird seit dem Jahr 2017 vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) errichtet. Jetzt naht die Fertigstellung des hochspezialisierten Wissenschaftsbaus, in dem es unter anderem um die Forschung rund um SQUIDs gehen wird – eine Spezialität der PTB, bei der sie seit Jahrzehnten in der Forschung eine internationale Spitzenstellung einnimmt. Auch das „neue Kelvin“ bekommt hier eine Heimat. Richtfest des neuen Walther-Meißner-Baus ist am 28. Mai.
Walther Meißner nahm bereits 1927 auf dem demselben Areal, auf dem jetzt der Forschungsneubau entsteht, ein Tieftemperaturlabor in Betrieb. Damals gehörte das Ganze noch zur direkten Vorgängerin der PTB, der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR). Meißner machte dort bahnbrechende Entdeckungen: Er fand neue supraleitende Elemente und erforschte deren Verhalten. Zwar wurde das Laboratorium im zweiten Weltkrieg zerstört, aber der Grundstein war gelegt für einen Forschungsschwerpunkt, bei dem die heutige PTB zur Weltspitze gehört: Seit den 1980er Jahren ist die Entwicklung und Herstellung von höchstempfindlichen supraleitenden Quanteninterferenz-Detektoren (SQUIDs) hier ein großes Thema. SQUIDs dienen als Sensoren zur Messung von unvorstellbar kleinen Magnetfeldern, etwa des menschlichen Herzens oder Gehirns. Mit ihnen sowie ihren teilweise weltweit einzigartigen Apparaten und magnetisch geschirmten Räumen ist die PTB international führend bei der Entwicklung neuer Diagnoseverfahren für Herz- und Hirnaktivität, aber auch in der physikalischen Grundlagenforschung wie etwa der Untersuchung von Eigenschaften magnetischer Nanoteilchen.
Aber auch auf anderen Forschungsgebieten bietet der neue Walther-Meißner-Bau einmalige Umgebungsbedingungen: etwa für die Kryostaten-Systeme zur Thermometrie, die ebenfalls weltweit herausragend sind. Mit ihnen kann die PTB der überwiegend mittelständisch geprägten deutschen Thermometer-Industrie die Kalibrierung ihrer Produkte über einen sehr weiten Temperaturbereich aus einer Hand gewährleisten. Außerdem wird die PTB in dem Gebäude das „neue“ Kelvin bereitstellen: Ab dem 20. Mai dieses Jahres wird die SI-Basiseinheit der Temperatur, das Kelvin, nicht mehr über den Tripelpunkt von Wasser, sondern über eine Konstante der Natur, die Boltzmann-Konstante, definiert. In dem Neubau wird die PTB das „neue“ Kelvin direkt darstellen. Dazu dient ein Rauschthermometer, ein quantengestütztes Temperaturnormal. Mit ihm misst die PTB das Kelvin, indem sie eine Spannung direkt rückführbar auf ein Josephson-Normal misst. So kann die PTB ihre Spitzenstellung auch auf dem Gebiet der Primärthermometrie weiter ausbauen.
Zudem wird in dem neuen Gebäude die Entwicklung innovativer Präzisionselektronik für metrologische Anwendungen weitergeführt. Auch werden in den Laboratorien zukünftig Forschungsarbeiten zur optischen Einzelphotonen-Radiometrie durchgeführt werden, als ein Teil des neuen Quantentechnologie-Zentrums. Außerdem werden die neuen Räumlichkeiten im Rahmen des Technologietransfers zur Beratung und zum Anwendertraining für industrielle und wissenschaftliche Kooperationspartner genutzt.
Insgesamt beherbergt der Walther-Meißner-Bau Labor-, Mess- und Reinräume mit einer gesamten Nutzfläche von 2325 Quadratmetern, zusätzlich 555 Quadratmeter Büroflächen für die dort beschäftigten 33 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker. Das Gebäude erfüllt höchste Anforderungen hinsichtlich Schwingungsfreiheit und Temperaturkonstanz der Labore sowie an die infrastrukturellen Bedingungen in den Reinräumen der Klassen 4 und 6. Die Baukosten wurden mit gut 36 Millionen Euro angesetzt. Das Gebäude soll Ende 2020 fertiggestellt werden, sodass der Forschungsbetrieb 2021 beginnen kann.
Die architektonische Gestaltung des Neubaus fügt sich bei aller aktueller Eigenständigkeit in das denkmalgeschützte historische Ensemble des Campus Charlottenburg der PTB ein. Sie stammt von Rohdecan Architekten, die aus einem vom BBR ausgelobten Architektenwettbewerb siegreich hervorgingen. Der neue Walther-Meißner-Bau wird den Campus architektonisch bereichern und fachlich dazu beitragen, dass die PTB auch zukünftig eine führende Rolle in der Kryosensorik, Thermometrie und Quantentechnologie einnehmen und die Wünsche von Kunden und Kooperationspartnern aus Industrie und Forschung erfüllen kann.
PTB / JOL