Eine neue Art von topologischem Material
Quasi-Symmetrie stabilisiert Energielücken in Cobaltsilicid über eine große, nahezu entartete Ebene.
Symmetrie ist ein Schlüsselkonzept für unser Verständnis der uns umgebenden physikalischen Welt. Die Anordnung selbstähnlicher Komponenten nach den Richtlinien der Symmetrie diktiert ihr kollektives Verhalten. Auch in der Materialwissenschaft diktieren bestimmte Symmetrien die Funktionalität eines Materials auf der Quantenebene. Ein aktueller Schwerpunkt auf diesem Gebiet ist das Verständnis, wie bestimmte Symmetrien zusammenwirken, um grundlegend neue Reaktionen in topologischen Materialien zu ermöglichen. Diese Materialien weisen unterschiedliche Oberflächen- und Volumeneigenschaften auf, was sie zu vielversprechenden Kandidaten für künftige Anwendungen in der Quantenelektronik macht.
Seit der Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts ist die Symmetrie das Leitprinzip bei der Suche nach topologischen Materialien. Jetzt hat ein internationales Forscherteam aus Deutschland, der Schweiz und den USA ein alternatives Leitprinzip, die „Quasi-Symmetrie“, eingeführt, das zur Entdeckung einer neuen Art von topologischem Material mit großem Potenzial für Anwendungen in der Spintronik und der Quantentechnologie führt. Im Gegensatz zu einer echten Symmetrie, die sich gleichmäßig auf das gesamte Objekt auswirkt, beeinflusst die Quasi-Symmetrie selektiv verschiedene Teile des Systems.
Ein vereinfachtes Beispiel ist ein unvollständiges Spiegelbild, bei dem einige Teile des Objekts gespiegelt sind, andere jedoch nicht. Theoretisch entspricht dies einem System, das eine exakte Symmetrie aufweist, wenn nur die einfachste Näherung berücksichtigt wird, während zusätzliche Näherungsterme diese Symmetrie aufheben. In der elektronischen Bandstruktur eines Festkörpers erzwingt dies endliche, aber parametrisch kleine Energielücken an einigen Punkten mit niedriger Symmetrie im Impulsraum.
Das Forscherteam konnte zeigen, dass die Quasi-Symmetrie in dem Halbmetall Cobaltsilicid winzige Energielücken über eine große, nahezu entartete Ebene stabilisiert. Das spiegelt sich in der Art und Weise wider, wie die Elektronen durch ein Magnetfeld in eine Kreisbewegung gebogen werden, also in den Quantenoszillationen. Die Anwendung von gerichteter Zugkraft in der Ebene bricht die Kristallsymmetrie, wodurch nur an den entsprechenden entarteten Punkte eine Energielücke entsteht, während die durch Quasi-Symmetrie geschützten Punkte intakt bleiben. Die Quasi-Symmetrie kann durch magnetische Tunneleffekte beobachtet werden. Die Ergebnisse zeigen eine der wichtigsten Eigenschaften der Quasi-Symmetrie: Ihre Robustheit gegenüber chemischen und physikalischen Störungen.
Die meisten topologischen Materialien, die in den letzten Jahren entdeckt wurden, erfordern eine präzise Gestaltung ihrer chemischen Zusammensetzung, damit sie für künftige technologische Anwendungen in Frage kommen. Im Gegensatz dazu entfällt bei Quasi-Symmetrien die Notwendigkeit einer solchen Feinabstimmung, da die topologischen Eigenschaften bei jedem beliebigen chemischen Potenzial gefunden werden können. Darüber hinaus sind quasisymmetriegeschützte topologische Materialien robust gegenüber physikalischen Verformungen, die die kristalline Symmetrie brechen – eine wichtige Voraussetzung für ihre technologische Anwendung mittels Dünnschichtverfahren.
Diese Eigenschaften zeigen eine neue Klasse von topologischen Materialien mit erhöhter Widerstandsfähigkeit gegen Störungen, was ihre technologische Anwendung vereinfacht. Aus Sicht des Forschungsteams stellt dieses erste Beispiel einen wichtigen Schritt zur Entdeckung topologischer Materialien jenseits der üblichen Raumgruppenklassifizierungen dar.
MPISD / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. Guo et al.: Quasi-symmetry-protected topology in a semi-metal, Nat. Physics, online 16. Mai 2022; DOI: 10.1038/s41567-022-01604-0 - Mikrostrukturierte Quantenmaterie, Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, Hamburg