30.03.2010

Eine Schwäche für gewisse Symmetrien

Forscher untersuchen mit Kolloidteilchen und Laserfeldern, warum Atome in Festkörpern bestimmte Anordnungen bevorzugen.

Forscher untersuchen mit Kolloidteilchen und Laserfeldern, warum Atome in Festkörpern bestimmte Anordnungen bevorzugen.

  

Manche Symmetrien mag die Natur, andere offenbar nicht. Oft weisen geordnete Festkörper eine sogenannte sechszählige Rotationssymmetrie auf. Dabei umgeben sich die Atome in einer Ebene jeweils mit sechs Nachbarn, wie man dies von Bienenwaben kennt. Geordnete Materialien mit sieben, neun- oder elfzähliger Symmetrie scheinen in der Natur dagegen nicht vorzukommen. Den Grund hierfür haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Metallforschung, der Universität Stuttgart und der TU-Berlin gefunden, als sie versuchten einer Lage geladener Kolloidteilchen, mit starken Laserfeldern eine siebenzählige Symmetrie aufzuzwingen: Für die Entstehung geordneter Strukturen sind demnach Keimzellen erforderlich, an denen sich die Atome mit der entsprechenden Symmetrie anlagern können. In den Symmetrien, die die Natur bevorzugt, finden sich besonders viele solcher Keimzellen, dagegen treten sie in Mustern mit siebenzähliger Symmetrie nur sporadisch auf.

Abb.: Symmetrie treibt Blüten: Solche Lichtmuster erzeugen die Stuttgarter Forscher, indem sie mehrere Laserstrahlen überlagern. In den Laser-Reliefen bilden sich dabei blütenförmige Strukturen, die als Keimzellen für die Ordnung dienen. Im siebenzähligen Muster (unten links) treten sie aber sehr selten auf - in der Natur finden sich daher keine Materialien mit siebenzähliger Symmetrie. (Bild: Jules Mikhael, Universität Stuttgart)

Was sich sperrig anhört, ist eigentlich ganz einfach: Ein Material besitzt eine sechszählige Rotationssymmetrie, wenn die Anordnung seiner Atome bei einer Drehung um 60 Grad - einem Sechstel eines ganzen Kreises - unverändert bleibt. Auf diese Weise ordnen sich häufig die Atome in Metallen an. Daneben existieren aber auch andere, kompliziertere Strukturen, etwa mit fünf-, acht- oder zehnzähliger Rotationssymmetrie. "Bemerkenswert ist, dass Materialien mit sieben-, neun- oder elfzähliger Symmetrie in der Natur noch nie beobachtet wurden", sagt Clemens Bechinger, Fellow am Max-Planck-Institut für Metallforschung und Professor an der Universität Stuttgart: "Dies ist umso erstaunlicher, als dass sich Muster mit beliebiger Rotationssymmetrie problemlos auf ein Blatt Papier zeichnen lassen." Wurden solche Materialien bisher einfach übersehen oder hat die Natur etwa eine Abneigung gegen gewisse Symmetrien?

Die Forscher gingen dieser Frage nach. "Die Antwort interessiert uns zum einen natürlich grundsätzlich, zum anderen könnte sie auch helfen Materialien für technische Anwendungen nach Maß zu schneidern", sagt der Physiker. Denn die Eigenschaften eines Materials hängen generell stark von seiner Rotationssymmetrie ab. Graphit und Diamant etwa bestehen beide aus Kohlenstoffatomen und unterscheiden sich ausschließlich in der Kristallsymmetrie.

Um Materialien mit siebenzähliger Symmetrie herzustellen, die es in der Natur eigentlich gar nicht gibt, greifen die Forscher zu einem besonderen Trick: Sie überlagern sieben Laserstrahlen und erzeugen so ein Lichtmuster mit siebenzähliger Symmetrie. In das Laserfeld bringen sie anschließend eine Lage von etwa drei Mikrometer großen Kolloidteilchen ein. Das elektromagnetische Feld des Lichtmusters wirkt auf die Teilchen wie eine Gebirgslandschaft, in der sie sich bevorzugt in die Täler setzen. Die Kolloidteilchen, die sich aufgrund ihrer elektrischen Ladungen gegenseitig abstoßen, versuchen ihrerseits eine Anordnung mit sechszähliger Symmetrie zu bilden.

Keimzellen der Symmetrie

 

Indem die Forscher die Intensität der Laser nun allmählich erhöhen, geben sie der Licht-Landschaft immer mehr Profil. So üben sie immer mehr Zwang auf die Kolloidteilchen aus, statt der sechszähligen eine siebenzählige Symmetrie zu bilden. "Auf diese Weise können wir herausfinden, bis zu welcher Laserintensität sich die Teilchen der siebenzähligen Symmetrie widersetzen und ihre sechszählige Symmetrie beibehalten" sagt Jules Mikhael, ein Projektmitarbeiter.

Auf dieselbe Weise pferchen die Physiker die Teilchen anschließend in ein fünfzähliges Lichtgitter - und beobachten einen deutlichen Unterschied: Ganz offensichtlich vermeiden die Teilchen eine siebenzählige Symmetrie, während sie die fünfzählige Symmetrie bereits bei relativ geringen Laserintensitäten annehmen. Insofern zeigt sich der Widerwille der Natur gegen siebenzählige Symmetrien auch in dem Modellfestkörper der Stuttgarter Forscher.

"Entscheidend ist aber, dass unser Experiment auch den Grund enthüllt, warum die Teilchen sich einer siebenzähligen Anordnung hartnäckig verweigern", sagt Clemens Bechinger. Während die Physiker nämlich die Laserintensität erhöhen, nehmen die Teilchen zunächst nur an ganz vereinzelten Stellen eine siebenzählige Symmetrie an. Erst bei einer weiteren Intensitätserhöhung breitet sich die Ordnung dann über die gesamte Probe aus. Als Ausgangspunkte für die siebenzählige Symmetrie haben die Forscher bestimmte Strukturen im Lichtmuster identifiziert. Diese bestehen aus einem zentralen Lichtpunkt, der von einem Kranz weiterer Lichtpunkte umgeben ist und damit stark an eine Blüte erinnert.

"Im Lichtmuster mit fünfzähliger Symmetrie finden wir gut 100 Mal mehr von diesen blütenförmigen Zentren als im siebenzähligen Muster", so Michael Schmiedeberg. Offensichtlich spielt die Dichte dieser Keimzellen die entscheidende Rolle. Je höher sie ist, desto weniger Zwang müssen die Forscher ausüben, um Strukturen der entsprechenden Rotationsymmetrie zu erzeugen. Dann reicht schon eine geringe Lichtintensität, damit sich die jeweilige Ordnung von dem Zentrum ausbreitet.

Ein Weg zu ungewöhnlichen Symmetrien

Allein die Unterschiede in der Dichte der blütenförmigen Keimzentren erklären nun auch, warum acht- und zehnzählige Symmetrien in der Natur vorkommen, neun- und elfzählige dagegen nicht. "Das Resultat ist gerade deshalb so überraschend, weil es sich um ein einfaches geometrisches Argument handelt", sagt Bechinger: "Es ist völlig unabhängig von der speziellen Art der Wechselwirkung zwischen den Teilchen und gilt somit sowohl in unseren kolloidalen als auch in atomaren Systemen."

Die Experimente erklären einerseits, warum es kein Zufall ist, dass Materialien mit bestimmten Symmetrien in der Natur nicht gefunden werden. Andererseits zeigen sie einen konkreten Weg auf, wie sich solche Strukturen in kolloidalen Systemen künstlich realisieren lassen - nämlich mit Hilfe äußerer Felder. Das könnte nützlich sein, um photonische Kristalle mit ungewöhnlicher Symmetrie herzustellen, bei denen zum Beispiel einzelne Lagen von Kolloiden mit siebenzähliger Rotationssymmetrie übereinander gestapelt sind. Photonische Kristalle bestehen aus Mikrostrukturen, die auf Lichtwellen ähnlich wirken wie Kristallgitter auf Elektronen. Wegen der höheren Rotationssymmetrie würden die optischen Eigenschaften von siebenzähligen photonischen Kristallen weniger stark von der Einfallsrichtung eines Lichtstrahls abhängen als dies bei den bereits existierenden photonischen Kristallen mit sechszähliger Symmetrie der Fall ist.

Darüber hinaus besitzen Materialien mit unkonventionellen Symmetrien noch weitere interessante Eigenschaften, etwa einen sehr kleinen Reibungswiderstand. Daher können sie in Form dünner Beschichtungen die Gleitfähigkeit beweglicher Teile verbessern. "Insgesamt ist die Suche nach Materialien mit ungewöhnlicher Rotationssymmetrie von großem Interesse", sagt Clemens Bechinger: "Unsere Ergebnisse können helfen, genau diejenigen Symmetrien zu identifizieren, nach denen sich zu suchen auch lohnt."

Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V./KP

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