29.05.2019

Einstein im Licht der Finsternis

Die Beobachtungen der Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 bestätigten Einsteins Vorhersagen zur Lichtablenkung und machten ihn über die Physik hinaus weltberühmt.

Keine andere totale Sonnenfinsternis dürfte eine solch weitreichende Bedeutung haben wie diejenige, die am 29. Mai 1919 von Südamerika über den Atlantik bis Zentralafrika zu sehen war. Denn damit ließ sich die Lichtablenkung, wie sie aus Einsteins Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie folgte, erstmals nachweisen.

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Einstein hatte sich bereits 1907 damit beschäftigt, wie die Schwerkraft den Weg des Lichts beeinflusst. Für einen Lichtstrahl, der die Sonne streift, berechnete er eine Ablenkung von 0,875 Bogensekunden. Rasch war klar, dass sich diese Vorhersage während einer totalen Sonnenfinsternis überprüfen lassen sollte, wenn die Positionen der Sterne nahe des Sonnenrandes während der Finsternis mit denen am Nachthimmel verglichen werden.

Eine argentinische Expedition unternahm in Brasilien einen ersten Versuch, Einsteins Vorhersagen bei der Sonnenfinsternis am 10. Oktober 1912 zu überprüfen. Doch dieser Versuch fiel wegen Regens buchstäblich ins Wasser. Der englische Astronom Arthur Eddington, der von Einsteins Vorhersagen zu dieser Zeit noch nichts wusste, befand sich ebenfalls in Brasilien, um die Sonnenfinsternis zu beobachten.

Die Verfinsterung am 21. August 1914 stand erst recht unter keinem guten Stern, denn sie fand drei Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs über Russland statt. Eine deutsche Expedition unter Leitung des Astronomen Erwin Freundlich wurde von den Russen gefangen genommen und interniert. Freundlich hatte sich bereits ab 1911 intensiv damit beschäftigt, wie sich die Vorhersagen der Relativitätstheorie experimentell bestätigen lassen könnten. Südlich von Kiew hatten amerikanische Astronomen um William Campbell Stellung bezogen. Sie blieben zwar unbehelligt vom Krieg, konnten das Himmelsereignis allerdings nur bei bedecktem Himmel erleben.

1915 erweiterte Einstein seine Vorhersage, indem er zusätzlich die Krümmung des Raumes durch die Masse der Sonne berücksichtigte, wie sie aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie folgte. Die Ablenkung sollte demnach insgesamt 1,75 Bogensekunden betragen.

Der nächste Versuch, diese nachzuweisen, war erst nach Ende des Ersten Weltkriegs möglich. Am 8. März 1919 brachen von England zwei astronomische Expeditionen auf, um die totale Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 zu beobachten. Die eine Expedition führte auf die Insel Principe vor der Küste Spanisch-Guineas, die andere in die Stadt Sobral in Nordbrasilien. Sir Arthur Stanley Eddington gelangen auf Principe 16 Aufnahmen, von denen sich allerdings nur zwei als brauchbar erwiesen. Andrew Crommelin in Nordbrasilien war mit acht Fotoplatten erfolgreicher.

Diese Aufnahme von der totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 fertigte Arthur...
Diese Aufnahme von der totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 fertigte Arthur Stanley Eddington auf der Insel Principe vor der Westafrikanischen Küste an. Durch zwei Striche sind die Sterne markiert, bei denen die veränderte Position aufgrund der Schwerkraft der Sonne bestimmt wurde. (Bild: Philosophical Transactions)

Die Verschiebung der Sternpositionen durch die Schwerkraft der Sonne nachzuweisen, stellte sich in der Praxis als eine große Herausforderung heraus. Nur Crommelin konnte vor Ort Vergleichsbeobachtungen bei Nacht aufnehmen, Eddington war gezwungen, Vergleichsaufnahmen aus Oxford zu nutzen.

Die ersten vorläufigen Ergebnisse präsentierte Eddington auf einer Tagung Anfang September 1919 in Bournemouth, das endgültige Resultat verkündete Crommelin am 6. November bei einer gemeinsamen Sitzung von Royal Society und Royal Astronomical Society. Für die Verschiebung des Lichtwegs am Sonnenrand ergab sich nach der aufwändigen Auswertung für das Teleskop in Sobral 1,98  +/- 0,12 Bogensekunden, für das auf Principe 1,60  +/- 0,30 Bogensekunden. Für Eddington und seine Mitstreiter wiesen diese beiden Ergebnisse klar auf den von Einstein vorhergesagten Wert. Verbleibende Zweifel wurden sechzig Jahre später ausgeräumt, als die Fotoplatten am Royal Greenwich Observatory mit modernen Geräten erneut vermessen wurden.

In der englischen und amerikanischen Presse wurde die Bestätigung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie rasch zur Sensation. Die Londoner Times berichtete auf ihrer Titelseite am 7. November 1919 von der „Wissenschaftlichen Revolution“ und einer „neuen Theorie des Universums“. Und die New York Times titelte drei Tage später gar: „Lights all askew in the heavens“ („Lichter am Himmel alle schief“). In Deutschland berichtete die Berliner Illustrirte Zeitung erst am 14. Dezember 1919 darüber. Unter dem Foto von Einstein hieß es: „Eine neue Größe der Weltgeschichte: Albert Einstein, dessen Forschungen eine völlige Umwälzung unserer Naturbetrachtung bedeuten und den Erkenntnissen eines Kopernikus, Kepler und Newton gleichwertig sind.“

Einstein wurde somit ein halbes Jahr nach dem 29. Mai über Nacht weltberühmt. Das galt in der Physik schon deutlich früher, doch erst nach der Bestätigung der relativistischen Lichtablenkung durch Eddington und Crommelin stand er im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Die Folgen berichtete Einstein in seinen Briefen an Max Born. Am 9. Dezember 1919 beklagte er, dass er kaum mehr zu vernünftiger Arbeit komme, und am 9. September 1920 resümierte er: „Wie dem Mann im Märchen alles zu Gold wurde, was er berührt, so wird bei mir alles zum Zeitungsgeschrei“. Trotzdem hätte es ihn sicher gefreut zu erfahren, dass die Vorhersagen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie auch noch hundert Jahre später für Schlagzeilen sorgen können, wie im Falle des Nachweises der Gravitationswellen und der ersten Abbildung eines Schwarzen Lochs.

Alexander Pawlak

 

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