Elektronen tunneln instantan
Atto-Uhr misst Elektronenbewegung bei Ionisation durch Infrarot-Strahlung.
Wie viel Zeit benötigt ein Atom, um ein Photon zu absorbieren und ein Elektron freizugeben? Und was passiert, wenn nicht ein, sondern viele Photonen für die Ionisation nötig sind? Wieviel Zeit würde die Absorption von vielen Photonen beanspruchen? Diese Fragen liegen im Kern der Attosekunden-Spektroskopie, deren Ziel die Auflösung der Elektronenbewegung auf ihrer natürlichen Zeitskala ist.
Ionisation in starken Infrarot-Feldern lässt sich als Tunneln von Elektronen durch eine Potentialbarriere betrachten. Dabei stellt die Kombination des atomaren Potentials, welches das Elektron bindet, und des elektrischen Feldes des Laserpulses, welches das Elektron fortzieht, die Barriere dar. Daher sieht sich die Attosekunden-Spektroskopie unerwartet mit einer alten und immer noch kontrovers diskutierten Frage konfrontiert: Wie lange braucht ein Elektron, um durch eine Barriere zu tunneln?
Ein internationales Forscherteam um Lisa Torlina vom Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie sind dieser Frage mithilfe einer Atto-Uhr nachgegangen. Eine Atto-Uhr nutzt das rotierende elektrische Feld eines zirkular polarisierten Laserpulses als Uhrzeiger. Eine volle Umdrehung des Zeigers dauert eine Laserperiode, also ungefähr 2,6 Femtosekunden für Experimente mit 800 Nanometer-Pulsen eines Titan-Saphir-Lasers. Mit dem rotierenden elektrischen Feld rotiert ebenfalls die Tunnelbarriere. Daher tunneln Elektronen, die zu unterschiedlichen Zeiten tunneln, in verschiedene Richtungen. Es ist diese Verknüpfung zwischen Zeit und Richtung der Elektronenbewegung, die es ermöglicht, mit der Atto-Uhr Zeiten zu messen.
Bei jeder Uhr muss der Zeitpunkt Null festgelegt werden. Bei der Atto-Uhr geschieht dies durch die Anwendung eines sehr kurzen Laserpulses, der nur ein bis zwei Zyklen andauert. Der Tunnelvorgang findet in einem kleinen Zeitfenster statt, wenn das rotierende elektrische Feld sein Maximum durchläuft. Weiterhin muss die Atto-Uhr – wie jede andere Uhr – kalibriert werden. Man muss wissen, wie die Zeit der Elektronenemission – des Austritts des Elektrons aus der Tunnelbarriere – auf den Winkel, unter dem das Elektron detektiert wird, abgebildet ist. Die Kalibrierung der Atto-Uhr wurde nun von dem Team erreicht, ohne Ad-hoc-Annahmen zur Natur des Ionisationsprozesses oder zum zugrunde liegenden physikalischen Bild zu treffen. Mit der Kombination aus analytischer Theorie und akkuraten numerischen Experimenten, und nachdem die Atto-Uhr kalibriert wurde, konnten die Forscher schließlich einen genauen Blick auf die Verzögerungen beim Elektronentunneln werfen. Sie gelangen zu der überraschenden Antwort: Diese Zeitverzögerung kann gleich Null sein. Zumindest im Bereich der nichtrelativistischen Quantenmechanik verbringt das aus dem Grundzustand des Wasserstoffatoms tunnelnde Elektron keine Zeit in der Tunnelbarriere.
Die Situation kann sich jedoch ändern, falls das Elektron auf seinem Weg auf andere Elektronen trifft, was in anderen Atomen oder in Molekülen wichtig werden kann. Die Wechselwirkung zwischen den Elektronen kann zu Verzögerungen führen. Somit stellt die Atto-Uhr ein einzigartiges Fenster dar, nicht nur zur Tunneldynamik, sondern auch zum Wechselspiel der verschiedenen Elektronen, die am Ionisationsprozess teilnehmen, und wie die zurückbleibenden Elektronen sich dem Verlust ihrer Kameraden neu anpassen
FVB / RK