08.05.2007

Energie aus der Tiefe

Der Bundesverband Geothermie hält es für möglich, dass Erdwärme in 50 Jahren die Hälfte des Energiebedarfs deckt. Wissenschaftler sind jedoch skeptischer.

 

Potsdam (dpa) - Der Mann, der Steine brechen kann, breitet seine kräftigen Hände aus und hält sie nebeneinander in die Höhe. «Zwei senkrechte Risse haben wir mit Wasserdruck in etwa 4000 Metern Tiefe erzeugt», erklärt der Potsdamer Physiker Ernst Huenges. Natürlich vorhandenes Wasser tief unter der Schorfheide nordöstlich von Berlin soll in den Spalten des heißen Gesteins zirkulieren, 150 Grad warm an die Oberfläche strömen und die Turbinen eines 750-Kilowatt-Kraftwerks antreiben. «Dieser Energie gehört die Zukunft», ist Huenges überzeugt. Nachdem schon zigtausende Haushalte mit oberflächennaher Erdwärme heizen, stehen Forschung und Energieversorger kurz davor, auch die deutlich heißeren Schichten in mehreren Kilometern Tiefe zu nutzen - für Wärme, aber auch für Strom.

Schon im Oktober soll ein Erdwärme-Kraftwerk in Landau in der Pfalz bezahlbaren Strom liefern, kurz darauf will die Gemeinde Unterhaching bei München ihren Untergrund auch für elektrische Energie anzapfen. Eine Probeanlage in Neustadt-Glewe (Mecklenburg- Vorpommern) liefert schon seit gut drei Jahren Strom. Mit neuen Technik und höheren Preisen für Öl und Gas erreicht Deutschland, was in Gegenden mit oberflächennahen Heißwasservorkommen in Island oder Italien schon Gang und Gäbe ist: Strom aus Erdwärme, klimafreundlich und ständig verfügbar. Der Bundesverband Geothermie hält es für möglich, dass Erdwärme in 50 Jahren die Hälfte des Energiebedarfs deckt. Wissenschaftler sind jedoch skeptischer.

Sicher ist: Die Erde ist ein gewaltiges Wärmereservoir. «Ein einziger Vulkanausbruch entspricht dem Vielfachen des jährlichen Weltenergiebedarfs», erläutert Huenges. Schon in 3000 bis 4000 Metern Tiefe überschreite die Temperatur in großen Teilen Deutschlands die für die Stromerzeugung kritische Marke von 150 Grad Celsius. «Ein Drittel der Wärme stammt aus der Restenergie der Abkühlung der Erde, zwei Drittel entstehen beim natürlichen radioaktiven Zerfall in der Erdkruste», erklärt der Wissenschaftler vom Geoforschungszentrum Potsdam.

Huenges und seine Mannschaft wollen diese Wärme bei Groß Schönebeck in der Schorfheide nach oben holen. Ihr Plan: Durch ein Bohrloch pumpen sie pro Stunde 75 Kubikmeter des heißen Wassers hinauf, das im Gestein vorhanden ist. Nachdem es die Turbine passiert hat, fließt das Tiefenwasser abgekühlt durch ein zweites Bohrloch wieder in die Erde, wo es sich von Neuem erhitzt.

Unter der gesamten Norddeutschen Tiefebene gibt es Wasser führende Schichten. Damit das Wasser aber ausreichend zirkuliert, dürfen sich die künstlichen Risse im Gestein nicht wieder schließen. Unter Groß Schönebeck sollen millimeterkleine Keramikkügelchen die Spalten offen halten. «Wenn die Zirkulation auf Dauer gegeben ist, können wir Strom erzeugen», sagt Huenges.

Noch im Anfangsstadium sieht der jüngste Jahresbericht des Bundesumweltministeriums die tiefe Geothermie. Theoretisch, heißt es, könne Deuschland damit seinen Heiz- und Strombedarf mehrfach decken. Doch bis zur Mitte des Jahrhunderts verbindet das Ministerium Hoffnung vor allem mit der oberflächennahen Erdwärme in wenigen Metern Tiefe, mit deren Hilfe nach Zahlen des Bundesverbands Geothermie schon jetzt 24 000 Privathäuser, Gewerbe- und Bürogebäude erwärmt werden.

Bei der tiefen Geothermie sieht das Ministerium noch großen Forschungsbedarf, Erkundung und Bohrungen verschlängen weiterhin Millionen - auch die Kraftwerke in Unterhaching und Landau verdanken ihren Start staatlicher Förderung. «Die Hoffnungen sind etwas größer als die Realität», sagt auch der Stuttgarter Energiewirtschaftler Ludger Eltrop und verweist auf immer neue Probleme bei Bohrungen. Bei Basel hatte das Brechen von Tiefengestein kürzlich sogar Erdstöße ausgelöst.

Die Geologen vom Geoforschungszentrum sind jedoch optimistisch. In zwei Experimenten wird in diesem Jahr noch die Zuverlässigkeit der Wärmequelle geprüft. Gelingen sie, setzt der Stromkonzern Vattenfall Europe ein Kraftwerk in die Schorfheide - als Forschungseinrichtung. «Wir sind noch lange nicht am Ende bei den Schrauben, an denen man drehen kann», sagt Huenges und schätzt das Potenzial der Energie aus der Tiefe deshalb noch recht niedrig ein. «Fünf Prozent des Energiebedarfs, vielleicht auch des Strombedarfs, das kann man erreichen», sagt er und ist sicher, dass sich die Investitionen bald auszahlen müssen. «Unser Forschungsziel ist die Wirtschaftlichkeit.»

Burkhard Fraune, dpa

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