31.01.2022

Erdmagnetfeld als Stoppschild

Ausgeklügelter Magnetsinn lässt Vögel ihren Brutplatz wiederfinden.

Dass wenige Gramm schwere Singvögel nach einem Flug über zwei Kontinente zu ihrem Brutplatz vom Vorjahr zurückfinden, erscheint selbst Fachleuten wie ein kleines Wunder. Eine neue Studie liefert nun Hinweise darauf, wie den Vögeln dies gelingt: Magnetische Signale zeigen ihnen, wo sie ihre Wanderung beenden müssen, so das Team unter Leitung von Forschenden der Universität Oxford mit Beteiligung der Universität Oldenburg. Die Untersuchung basiert auf Beringungs­daten, die über fast achtzig Jahre in ganz Europa gesammelt wurden.

Abb.: Das Erdmagnetfeld bildet für Teichrohr­sänger ein Koordinaten­system....
Abb.: Das Erdmagnetfeld bildet für Teichrohr­sänger ein Koordinaten­system. Sie orientieren sich vermutlich an der Inklination. (Bild: T. Miller)

Wie Vögel das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung. Einer Theorie zufolge, die Forschende aus Oldenburg und Oxford gemeinsam untersuchen, registrieren Vögel Magnetfeld­linien mithilfe bestimmter chemischer Moleküle im Auge. Das Team vermutet, dass die Vögel diese Fähigkeit nutzen, um ihre Flugrichtung und vielleicht Hinweise auf ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. „Unter­suchungen machen zwar immer deutlicher, dass der Vogelzug einem festen Programm folgt, das Vögel von ihren Eltern erben. Aber wie sie Jahr für Jahr mit hoher Präzision an denselben Ort zurückkehren, ist nach wie vor ein Rätsel“, sagt Joe Wynn vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven. Er hatte zuvor an der University of Oxford geforscht und die Idee zu der Studie während eines Aufenthalts als Gast­wissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Henrik Mouritsen an der Universität Oldenburg entwickelt. „Es ist daher sehr aufregend, Hinweise darauf zu finden, dass Singvögel magnetische Signale nutzen, um ihr Zuhause wieder­zufinden“, ergänzt Wynn. 

Das Team analysierte Beringungs­daten von fast 18.000 Teichrohr­sängern, die aus der Zeit zwischen 1940 und 2018 stammen. Teichrohr­sänger sind winzige Singvögel, die jedes Jahr die Sahara überqueren und den Sommer in Europa verbringen. Sie zählen zu den Arten, die seit fast hundert Jahren mit kleinen Metall­fußringen individuell markiert werden. Sowohl die Beringungs­orte als auch die Fundorte werden für ganz Europa zentral erfasst. „Diese Daten sind ein fantas­tisches Mittel, um Fragen zum Vogelzug zu beantworten, weil sie über so viele Jahre hinweg in einem sehr großen Gebiet gesammelt wurden“, sagt Wynn. Das Team analysierte die Beringungs­daten der Teichrohr­sänger mit statis­tischen Methoden. Die Verteilung der gefundenen Ringe deutete darauf hin, dass die Vögel ein Ziel anpeilen, das nicht ortsfest ist.

Die Forschenden fanden einen sehr genauen Zusammenhang zwischen den Fundorten und der der langsamen Drift des Erdmagnet­feldes, dessen Feldlinien sich durch Bewegungen des flüssigen Eisens im Erdkern von Jahr zu Jahr um wenige Kilometer in verschiedene Richtungen verlagern können. Wie Wynn und seine Kollegen schreiben, scheinen die Vögel eine bestimmte magnetische Koor­dinate wie ein Stoppschild zu nutzen: Sobald die magnetische Inkli­nation – der Neigungswinkel zwischen Feldlinien und Erdoberfläche – einen bestimmten Wert erreicht, hören sie auf zu wandern. Andere Komponenten des Erdmagnet­feldes, etwa die Feldstärke oder die Abweichung zwischen magne­tischer und geogra­fischer Nordrichtung, spielen demnach keine Rolle.

Wynn erklärt: „An einem Ort ändert sich das Magnetfeld von Jahr zu Jahr nicht besonders stark. Daher erscheint es sinnvoll, dass die Vögel einen bestimmten Magnet­feldwert als Zielpunkt ihrer Reise wählen.“ Die Inklination bietet den Vögeln nach Meinung des Teams die besten Chancen, zum Brutplatz zurückzu­kehren, weil sie der stabilste Bestandteil des Erdmagnetfeldes ist. „Die Fähigkeit von Vögeln, die weniger als ein Teelöffel wiegen, ihren Brutplatz nach einer Reise um die halbe Welt genau zu lokalisieren, ist vielleicht einer der erstaun­lichsten Aspekte des Vogelzugs“, sagt Mouritsen. Es sei äußerst spannend, dieses Phänomen mit Hilfe von Daten zu untersuchen, die vor allem von Hobby-Vogel­beobachtern gesammelt wurden. Das Team hofft, dass diese Form der Bürgerwissenschaft noch mehr Menschen dazu inspiriert, Vögel zu beobachten und sich für die Wissenschaft zu begeistern.

U. Oldenburg / JOL

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