Erwartungswert für ein einzelnes Photon
Schützende Messungen experimentell realisiert.
Üblicherweise bestimmt man einen quantenmechanischen Erwartungswert, indem man ein Experiment vielfach wiederholt und dabei die entsprechende Messung durchführt. Dass schon eine einzelne „schützende“ Messung den richtigen Erwartungswert liefern kann, hat jetzt ein internationales Forscherteam gezeigt.
Abb.: Links: Bei einer herkömmlichen Polarisationsmessung an linear polarisierten Photonen (0.629|H> + 0.777|V>) verteilen sich die Ergebnisse um die beiden Extremwerte +1 und −1. Rechts: Bei einer schützenden Polarisationsmessung verteilen sie sich um den dazwischenliegenden Erwartungswert der Polarisation (markiert durch die gestrichelte Linie). Das weiße Pixel entspricht dem jeweils ersten registrierten Photon. Die Ausreißer sind Fehlsignale des Detektors. (Bild: F. Piacentini et al. / NPG)
Die Wissenschaftler um Marco Genovese vom INRIM in Turin und Lev Vaidman von der Uni Tel Aviv griffen dabei auf eine Idee von Vaidman und Yakir Aharonov zurück. Sie hatten 1993 untersucht, ob man die quantenmechanische Wellenfunktion eines Teilchens nur dadurch messen kann, dass man sie viele Male präpariert, wie es Max Borns Wahrscheinlichkeitsinterpretation fordert. Oder ob es nicht möglich ist, durch behutsame Messungen an einem einzelnen Teilchen die Wellenfunktion beliebig genau zu ermitteln.
Aharonov und Vaidman waren zu dem Schluss gekommen, dass in der nichtrelativistischen Quantenmechanik unter bestimmten Bedingungen die Wellenfunktion eines einzelnen Teilchens tatsächlich gemessen werden kann. Demnach lässt sich für ein Teilchen durch eine einzige Messung auch der Erwartungswert einer Observablen bestimmen, also gänzlich ohne die übliche Mittelwertbildung über viele Messergebnisse.
Dabei kommt es sowohl auf die Wellenfunktion des Teilchens als auch auf die Art der Messung an. Normalerweise nimmt man an, dass das Teilchen nur für kurze Zeit „impulsiv“ mit der Messapparatur wechselwirkt. Dadurch wird es so gestört, dass es sich nach der Messung mit einer durch die Wellenfunktion gegebenen Wahrscheinlichkeit in einem Eigenzustand der gemessenen Observablen wiederfindet, während das Messgerät den zugehörigen Eigenwert als Erwartungswert anzeigt.
Alternativ kann man das Teilchen und die Messapparatur sehr schwach und über eine lange Zeit miteinander wechselwirken lassen. Bei dieser schützenden Messung entwickelt sich das Teilchen adiabatisch. Ist sein Anfangszustand von den anderen Zuständen durch eine Energielücke getrennt, so befindet es sich auch nach der Messung noch in diesem Zustand. Das Messgerät zeigt auch in diesem Fall den entsprechenden Erwartungswert an.
Jetzt hat das Forscherteam um Genovese und Vaidman an einzelnen linear polarisierten Photonen den Erwartungswert der Polarisation in einer festgelegten Basis gemessen. Die Photonen wurden zunächst paarweise in einem Lithiumiodidkristall durch parametrische Abwärtskonversion erzeugt. Jeweils eines der beiden Photonen diente dazu, die Ankunft des anderen bei einer Photodetektoranordnung anzukündigen. Dieses angekündigte Photonen war in der Horizont-
Eine direkte Messung der Polarisation P = |H> <H| − |V> <V| am einzelnen Photon hätte entweder +1 oder −1 ergeben, ähnlich der Messung der Spinquantisierung beim Stern-Gerlach-Experiment. Den Erwartungswert <P> = cos(a)2 – sin(a)2 hätte man auf diese Weise erst nach Mitteldung über eine große Zahl von Polarisationsmessungen erhalten.
Die Forscher führten die Polarisationsmessung durch, indem sie einzelne Photonen durch sieben hintereinanderliegende doppelbrechende Kristalle laufen ließen. Die Kristalle lenkten die beiden Polarisationskomponenten |H> und |V> quer zur Strahlrichtung unterschiedlich stark ab. Die Photonen hätten bei dieser Messung die Detektoranordnung jeweils an einem von zwei Extrempunkten getroffen, die den Erwartungswerten +1 oder −1 entsprechen. Die Messung wurde jedoch schützend durchgeführt, indem das Photon nach jedem doppelbrechenden Kristall einen Polarisator durchlief, der es in seine ursprüngliche Polarisationsrichtung zurückprojizierte. Durch diesen Quanten-
Wurde die schützende Messung für mehrere Photonen wiederholt, so lieferte sie ein genaueres Ergebnis als die entsprechende herkömmliche Polarisationsmessung. Nach Meinung der Forscher zeigt ihr Experiment, dass unter bestimmten Bedingungen auch schon einzelnen Teilchen Erwartungswerte und eine Wellenfunktion zukommen. Für die schützende Messung musste zwar die Einstellung der sieben Polarisatoren mit der ursprünglichen Polarisationsrichtung des Photons übereinstimmen. Doch wenn Alice unbeobachtet von Bob das Photon präpariert und die Polarisatoren eingestellt hat, kann Bob dennoch die Polarisation des Photons mit Hilfe einer schützenden Messung bestimmen.
Rainer Scharf
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