12.03.2007

EU prescht beim Klimaschutz vor

Europa setzt im Kampf gegen den Klimawandel neue Maßstäbe. Die erneuerbaren Energien sollen massiv ausgebaut und der Ausstoß gefährlicher Treibhausgase drastisch verringert werden.

Brüssel (dpa) - Europa setzt im Kampf gegen den Klimawandel neue Maßstäbe. Der erste EU-Gipfel unter Vorsitz von Bundeskanzlerin Angela Merkel beschloss am Freitag in Brüssel, die erneuerbaren Energien massiv auszubauen und den Ausstoß gefährlicher Treibhausgase drastisch zu verringern. Merkel erwartet so die globale Führung der EU beim Klimaschutz und neue Jobs durch Milliarden-Investitionen in Umwelttechnologien. Für die schwierigen Verhandlungen bekam sie Lob von Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Großbritanniens Premier Tony Blair.

Bis 2020 will die EU den Ausstoß der gefährlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um ein Fünftel kappen. Der Anteil von Energie aus Sonne, Wasser, Wind und Biomasse soll bis dahin mit 20 Prozent verdreifacht werden. Streit gab es vor allem um die Rolle der Atomkraft, die unter anderem vom Frankreich als «saubere» Energiequelle propagiert wurde. Die EU-Kommission erhielt Aufträge, Berichte zur möglichen Einführung einer Steuer für Flugbenzin sowie einer Abgabe auf Flugtickets und einer schadstoffabhängigen Autobesteuerung vorzulegen.

Der Gipfel beauftragte die Kommission auch, bis 2008 Vorschläge für einen flächendeckenden Einsatz von Energiesparlampen anstelle herkömmlicher Glühlampen auf Straßen und in Haushalten zu erarbeiten.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kündigte an, den Mitgliedstaaten schon im Herbst Vorschläge für die konkrete Umsetzung der Beschlüsse vorzulegen.

Merkel würdigte - trotz der harten Debatten - die Atmosphäre bei dem zweitägigen Treffen. Sie hofft nun, bei den Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der Europäischen Union am 24. und 25. März in Berlin in ähnlichem Geist eine Aufbruchstimmung zu erreichen und die EU aus der Verfassungskrise führen zu können. Angesichts des Klima-Erfolgs wollen die Staats- und Regierungschefs die Bürger in einer «Berliner Erklärung» überzeugen, dass die EU ihnen bei den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beisteht.

Blair und Barroso nannten das Erreichte ein «historisches Ergebnis». Merkel sagte: «Wir haben die Tür aufgestoßen zu einer vollkommen neuen Dimension der Kooperation in der Klimapolitik.» Sollten andere große Wirtschaftsblöcke in Asien und Amerika folgen, will die EU die CO2-Emissionen bis 2020 sogar um 30 Prozent reduzieren.

Bei den Beratungen zeigte sich, dass Frankreich, Tschechien und Bulgarien auf den Einsatz ihrer Atomkraft im Kampf gegen die Erderwärmung beharren. Sie argumentierten, dass Kernenergie eine weitere CO2-Belastung vermeide. Die Kommission muss nun die unterschiedlichen Ausgangslagen zu Grunde legen, um das Ziel für erneuerbare Energien je Land festzulegen. Dabei müssten das bestehende Niveau der Öko-Energien, aber auch der nationale Energiemix einbezogen werden, lautete die Kompromissformel, um auch Kernenergie zu berücksichtigen.

Über diese Fragen habe man «sehr gerungen», sagte Merkel. Es könne jetzt aber mit dem verbindlichen Ziel für erneuerbare Energien zu einem «wirklichen Technologie- und Innovationsschub in Europa» kommen.

Mit Blick auf das Treffen der sieben führenden Industriestaaten und Russlands (G8) im Juni im Ostseebad Heiligendamm will Merkel als amtierende Vorsitzende der Runde den Klimaschutz weiter vorantreiben. «Die EU hat Handlungsfähigkeit bewiesen», sagte sie.

Chirac zeigte sich auf seinem vermutlich letzten offiziellen EU-Gipfel von Merkel beeindruckt. «Das war nicht einfach zu bewerkstelligen: Frau Merkel hat das mit Intelligenz und Eleganz gemacht», sagte Chirac, der vermutlich am Sonntag erklären wird, nicht noch einmal im Präsidentschaftswahlkampf antreten zu wollen. Das «ökologische Europa» werde das «Leben des gesamten Planeten prägen».

Die Klima-Diskussion drängte andere Themen in den Hintergrund. Dennoch beschlossen die Staats- und Regierungschefs die milliardenschweren Bürokratiekosten für die Industrie um ein Viertel bis 2012 abzubauen. Die Regierungschefs verpflichteten sich ihrerseits, ähnliche Anstrengungen in ihrer Heimat zu unternehmen.

Hintergrund - Deutschland als Klima-Vorreiter in der EU

Deutschland hat sich bereits vor den Beschlüssen des Brüsseler EU-Gipfels als Vorreiter beim Klimaschutz präsentiert. Die Pläne im Einzelnen:

ZIELVORGABEN:

  • Bis 2020 sollen die Kohlendioxid-Emissionen europaweit um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zurückgehen. Deutschland will den CO2-Ausstoß um 30 Prozent verringern. Die internationale Kyoto-Vereinbarung 2008 bis 2012 sieht für die EU minus 8 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990 vor. Davon sind bisher erst 1,2 Prozent europaweit erreicht, während das Ziel für Deutschland von 21 Prozent mit gut 19 Prozent bereits fast abgearbeitet ist. Damit hatte die Bundesrepublik einen EU- Lastenanteil von rund 75 Prozent übernommen.

UMSETZUNG:

  • Erneuerbare Energien: Die neuen EU-Ziele bis 2020 sollen erreicht werden vor allem durch vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien, deren Anteil an der Gesamtenergieversorgung auf 20 Prozent ansteigen soll. Dies betrifft die drei Bereiche Strom, Wärme/Heizung und Kraftstoffe zusammen, während in Deutschland eher nur beim Strom an etwa 20 Prozent bei erneuerbaren Energien gedacht wird im Vergleich zu jetzt 12 Prozent. In den anderen beiden Bereichen ist der Anteil der erneuerbaren Energien bei starker Öl- und Gasabhängigkeit klar geringer. 2006 lag der Anteil an erneuerbaren Energien am Primärenergieanteil in der EU bei 6,5 und in Deutschland bei 5,3 Prozent.

  • Energieeffizienz: Hier geht es um Energieeinsparungen - durch das Verbrauchsverhalten der Konsumenten und technologischen Fortschritt - vom Verzicht auf stromfressende «stand by»-Schaltungen oder Ersatz von Glühbirnen durch Energiesparlampen bis hin zur Gebäudesanierung mit Wärmedämmung und Solaranlagen sowie spritsparende Automotoren. In der EU und in Deutschland wird bis 2020 von einer Verbesserung um ein Fünftel im Vergleich zu bisherigen Prognosen ausgegangen.

  • Emissionshandel: Durch restriktivere Genehmigung von CO2-Zertifikaten soll der Emissionshandel für die Industrie und Kraftwerksbetreiber effizienter werden. Der Flugverkehr soll in dieses System erstmals einbezogen werden. Die von der SPD unterstützte Einführung einer Kerosinsteuer gilt derzeit in der EU als nicht durchsetzbar. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) will stattdessen höhere Start- und Landegebühren für Airlines mit älteren und emissionsstarken Maschinen einführen.

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