EU-Projekt treibt skalierbare Quantensysteme voran
36 Partner optimieren die Infrastruktur für kryogene Quantenprozessoren.
Um Quantencomputer nutzbar zu machen, ist die Entwicklung der Ansteuerung für skalierbare Systeme essenziell, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Das Projekt „Arctic“ bringt 36 internationale Partner aus Industrie, Wissenschaft und führenden Forschungseinrichtungen zusammen, um eine vollständige und umfassende europäische Lieferkette für eine skalierbare, zuverlässige und innovative Steuerungsinfrastruktur für kryogene Quantenprozessoren aufzubauen. Die Institute Fraunhofer IPMS und Fraunhofer IAF bringen dabei ihre umfangreiche Kompetenz in der Charakterisierung von elektronischen Komponenten ein. Die EU finanziert das Projekt mit über elf Millionen Euro für eine Laufzeit von drei Jahren.
Quantencomputer haben das Potenzial zur effizienten Lösung von Problemen, die für klassische Computer völlig unerreichbar sind. Sie erfordern jedoch einen enormen Aufwand an Steuerung und Schnittstellen, um zu funktionieren. Bei Quantencomputern basierend auf Qubits, die in einem Kryostaten nahe dem absoluten Nullpunkt betrieben werden, ist die Anzahl der möglichen Signalleitungen, die von den Steuergeräten in die Kryostaten geführt werden können, jedoch limitiert. Dies bedingt sich durch den begrenzten Raum, die durch die Drähte transportierte Wärme und die durch die nötige Signalintegrität begrenzte Länge der vorhandenen Drähte.
„Die Leistungsanforderungen an elektronische Geräte und Schaltungen bei kryogenen Temperaturen sind ganz anders als bei Raumtemperatur. Insbesondere bei sehr empfindlichen Anwendungen wie Quantenprozessoren müssen alle Aspekte der mikroelektronischen Technologien optimiert werden“, sagt Projektleiter Alexander Grill am belgischen Forschungszentrum imec. Die erwarteten Projektergebnisse werden als wichtige Weichenstellung für stark nachgefragte Technologien angesehen, die bestehende Probleme in Bereichen wie der computergestützten Chemie, den Biowissenschaften sowie der für den Datenschutz und die Cybersicherheit erforderliche Kryptographie lösen können.
Um die bisherigen Hindernisse zu überwinden, bringt das Projekt 36 Partner zusammen, um eine vollständige und umfassende europäische Lieferkette für kryogene Photonik, Mikroelektronik und Kryo-Mikrosysteme rund um die aufstrebende Quantencomputing-Industrie und verschiedene kryogestützte IKT-Anwendungen aufzubauen. Der Schwerpunkt der Fraunhofer-Institute im Projekt liegt auf der Charakterisierung von Bauelementen in kryogenen Umgebungen und auf Wafern in Industriegröße für kryogene Quantencomputer-Prozessoren, sowie auf der Analyse des elektrischen Verhaltens von Transistoren und Speicherbauelementen bei untypisch tiefen Temperaturen.
Das Center Nanoelectronic Technologies (CNT) am Fraunhofer IPMS beschäftigt sich mit der Charakterisierung und Modellierung von bipolaren und CMOS-Transistoren sowie Speicherelementen bei kryogenen Temperaturen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Hochfrequenz-, Rausch- und Defektcharakterisierung und Modellierung kommerzieller Transistoren innerhalb der 22FDX FDSOI-Technologie sowie der Entwicklung optimierter nichtflüchtiger ferroelektrischer Speicher. Hierfür ist es entscheidend, die Charakterisierungsmethoden in kryogener Umgebung und auf ganzen Wafern zu verbessern und ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich Feldeffekttransistoren und Speicherbauelemente bei untypisch niedrigen Temperaturen verhalten.
„Wir wollen neue Erkenntnisse über die energetische Position und die Anzahl der elektrischen Defekte in den Transistoren gewinnen. Dies wird es der Industrie ermöglichen, neue Kryo-Produkte anzubieten und Fraunhofer kann dazu einzigartige Charakterisierungsmethoden anbieten. Die Reduzierung des defektinduzierten Rauschens in der Elektronik ist ein wichtiger Faktor für die Erhöhung der Kohärenzzeit von Qubit-Zuständen, weshalb die entwickelten Methoden unmittelbar für kryogene Quantencomputing-Ansätze relevant sind. Bei den nichtflüchtigen Speichern ist es außerdem wichtig, die Leistungsaufnahme der Speicherelemente zu minimieren, da die Kühlleistung in Kryostaten sehr begrenzt ist“, erklärt Maik Simon, Forscher in der Gruppe Quantum Technologies am CNT in Dresden.
Ein weiterer Kompetenzschwerpunkt des Fraunhofer IPMS ist die Untersuchung der Anwendbarkeit nichtflüchtiger ferroelektrischer Speicher für eine kryogene Umgebung durch elektrische Charakterisierung und physikalische Modellierung. Diese bahnbrechende Studie wird zeigen, wie die Bauelemente bei niedrigen Temperaturen funktionieren und welche Parameter verändert werden können, um die Schalteigenschaften, die Integrationsdichte und die Zuverlässigkeit zu verbessern.
Die Charakterisierung von elektronischen Komponenten ist ebenso wichtig wie zeitaufwändig, insbesondere wenn es um kryogene Messungen und Charakterisierungen mit langen Abkühl- und Aufwärmzeiten geht. Das Fraunhofer IAF spielt eine wesentliche Rolle im Projekt, indem es die Charakterisierung von Peripherie-Bauelementen für kryogene Quantenprozessoren auf Wafern in Industriegrößen mit einem automatisierten kryogenen Full-Wafer-Prober ermöglicht. Neben dem umfangreichen Wissen über Charakterisierungsmethoden für Halbleiterbauelemente für F&E-Zwecke bis hin zu industriellen Tests von 200- und 300-Millimeter Wafern ist das Fraunhofer IAF einer der wenigen europäischen Anbieter eines solchen Tieftemperatur-Testaufbaus bei unter zwei Kelvin. Dieses Wissen über die Charakterisierung von kryogenen Komponenten und die statistische Variabilität von Schlüsseltechnologien wird ein wesentlicher Bestandteil von Arctic sein und dazu beitragen, die industrielle Erprobung von kryogenen Technologien zu beschleunigen, die für die Skalierung von Quantencomputern notwendig sind.
Fh.-IPMS / JOL