13.08.2024

EU-Projekt treibt skalierbare Quantensysteme voran

36 Partner optimieren die Infrastruktur für kryogene Quantenprozessoren.

Um Quantencomputer nutzbar zu machen, ist die Entwicklung der Ansteuerung für skalierbare Systeme essenziell, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Das Projekt „Arctic“ bringt 36 inter­nationale Partner aus Industrie, Wissenschaft und führenden Forschungs­einrichtungen zusammen, um eine vollständige und umfassende europäische Lieferkette für eine skalierbare, zuverlässige und innovative Steuerungs­infrastruktur für kryogene Quantenprozessoren aufzubauen. Die Institute Fraunhofer IPMS und Fraunhofer IAF bringen dabei ihre umfangreiche Kompetenz in der Charak­terisierung von elektro­nischen Kompo­nenten ein. Die EU finanziert das Projekt mit über elf Millionen Euro für eine Laufzeit von drei Jahren.

Abb.: Experiment zur Charakterisierung von Quantensystemen unter kryogenen...
Abb.: Experiment zur Charakterisierung von Quantensystemen unter kryogenen Bedingungen.
Quelle: Fh.-IPMS

Quantencomputer haben das Potenzial zur effizienten Lösung von Problemen, die für klassische Computer völlig unerreichbar sind. Sie erfordern jedoch einen enormen Aufwand an Steuerung und Schnittstellen, um zu funktionieren. Bei Quanten­computern basierend auf Qubits, die in einem Kryostaten nahe dem absoluten Nullpunkt betrieben werden, ist die Anzahl der möglichen Signalleitungen, die von den Steuergeräten in die Kryostaten geführt werden können, jedoch limitiert. Dies bedingt sich durch den begrenzten Raum, die durch die Drähte transportierte Wärme und die durch die nötige Signal­integrität begrenzte Länge der vorhandenen Drähte. 

„Die Leistungs­anforderungen an elektronische Geräte und Schaltungen bei kryogenen Temperaturen sind ganz anders als bei Raumtemperatur. Insbesondere bei sehr empfindlichen Anwendungen wie Quanten­prozessoren müssen alle Aspekte der mikro­elektronischen Technologien optimiert werden“, sagt Projekt­leiter Alexander Grill am belgischen Forschungs­zentrum imec. Die erwarteten Projekt­ergebnisse werden als wichtige Weichenstellung für stark nachgefragte Techno­logien angesehen, die bestehende Probleme in Bereichen wie der computer­gestützten Chemie, den Biowissenschaften sowie der für den Datenschutz und die Cyber­sicherheit erfor­derliche Krypto­graphie lösen können.

Um die bisherigen Hindernisse zu überwinden, bringt das Projekt 36 Partner zusammen, um eine vollständige und umfassende europäische Lieferkette für kryogene Photonik, Mikroelektronik und Kryo-Mikrosysteme rund um die aufstrebende Quanten­computing-Industrie und verschiedene kryogestützte IKT-Anwendungen aufzubauen. Der Schwerpunkt der Fraunhofer-Institute im Projekt liegt auf der Charak­terisierung von Bauelementen in kryogenen Umgebungen und auf Wafern in Industrie­größe für kryogene Quanten­computer-Prozessoren, sowie auf der Analyse des elektrischen Verhaltens von Transistoren und Speicher­bauelementen bei untypisch tiefen Temperaturen.

Das Center Nanoelectronic Technologies (CNT) am Fraunhofer IPMS beschäftigt sich mit der Charak­terisierung und Modellierung von bipolaren und CMOS-Transistoren sowie Speicherelementen bei kryogenen Temperaturen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Hochfrequenz-, Rausch- und Defekt­charakterisierung und Modellierung kommerzieller Transistoren innerhalb der 22FDX FDSOI-Technologie sowie der Entwicklung optimierter nichtflüchtiger ferro­elektrischer Speicher. Hierfür ist es entscheidend, die Charakterisierungs­methoden in kryogener Umgebung und auf ganzen Wafern zu verbessern und ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich Feldeffekt­transistoren und Speicher­bauelemente bei untypisch niedrigen Temperaturen verhalten. 

„Wir wollen neue Erkenntnisse über die energetische Position und die Anzahl der elektrischen Defekte in den Transistoren gewinnen. Dies wird es der Industrie ermöglichen, neue Kryo-Produkte anzubieten und Fraunhofer kann dazu einzigartige Charak­terisierungs­methoden anbieten. Die Reduzierung des defekt­induzierten Rauschens in der Elektronik ist ein wichtiger Faktor für die Erhöhung der Kohärenzzeit von Qubit-Zuständen, weshalb die entwickelten Methoden unmittelbar für kryogene Quanten­computing-Ansätze relevant sind. Bei den nichtflüchtigen Speichern ist es außerdem wichtig, die Leistungsaufnahme der Speicher­elemente zu minimieren, da die Kühlleistung in Kryostaten sehr begrenzt ist“, erklärt Maik Simon, Forscher in der Gruppe Quantum Techno­logies am CNT in Dresden.

Ein weiterer Kompetenz­schwerpunkt des Fraunhofer IPMS ist die Untersuchung der Anwendbarkeit nichtflüchtiger ferroelektrischer Speicher für eine kryogene Umgebung durch elektrische Charakterisierung und physikalische Modellierung. Diese bahnbrechende Studie wird zeigen, wie die Bauelemente bei niedrigen Temperaturen funktionieren und welche Parameter verändert werden können, um die Schalt­eigenschaften, die Integrations­dichte und die Zuverlässigkeit zu verbessern. 

Die Charak­terisierung von elektronischen Komponenten ist ebenso wichtig wie zeitaufwändig, insbesondere wenn es um kryogene Messungen und Charakterisierungen mit langen Abkühl- und Aufwärmzeiten geht. Das Fraunhofer IAF spielt eine wesentliche Rolle im Projekt, indem es die Charak­terisierung von Peripherie-Bau­elementen für kryogene Quanten­prozessoren auf Wafern in Industriegrößen mit einem automatisierten kryogenen Full-Wafer-Prober ermöglicht. Neben dem umfangreichen Wissen über Charakterisierungs­methoden für Halbleiter­bauelemente für F&E-Zwecke bis hin zu industriellen Tests von 200- und 300-Millimeter Wafern ist das Fraunhofer IAF einer der wenigen europäischen Anbieter eines solchen Tief­temperatur-Testaufbaus bei unter zwei Kelvin. Dieses Wissen über die Charak­terisierung von kryogenen Komponenten und die statistische Variabilität von Schlüssel­technologien wird ein wesentlicher Bestandteil von Arctic sein und dazu beitragen, die industrielle Erprobung von kryogenen Technologien zu beschleunigen, die für die Skalierung von Quanten­computern notwendig sind.

Fh.-IPMS / JOL

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