17.08.2018

Falten in Graphen

Feine Wolframspitze erzeugt gezielt Versetzungen auf atomarer Ebene.

Metalle lassen sich leicht verformen ohne gleich zu zerbrechen, obwohl sie eine kristalline Struktur besitzen wie sehr spröde Stoffe wie Salz oder Kandis­zucker. Erst in den 1940er Jahren haben Wissen­schaftler die Ursache für diese Plas­tizität gefunden: Verant­wortlich sind feine Kristall­baufehler auf atomarer Ebene, die Verset­zungen. Diese kann man sich wie winzige Teppich­falten vorstellen, die sich auch wie echte Teppich­falten verschieben lassen. Wenn ein Metall verformt wird, wandern Millionen und Aber­millionen solcher winzigen Falten durch den Werkstoff. Verset­zungen machen also im Grunde viele technische Prozesse wie Walzen oder Schmieden erst möglich, sie spielen aber auch im Alltag eine wichtige Rolle: So wandeln Verset­zungen in der Knautsch­zone von Autos Bewegungs­energie um, indem sie das Metall verformen.

Abb.: In Graphen lassen sich winzige Versetzungen mit Hilfe einer feinen Spitze, einem Elektronenmikroskop und hochsensitiven Roboterarmen gezielt erzeugen. (Bild: P. Schweizer, FAU)

Wissen­schaftler an der Friedrich-Alexander-Univer­sität Erlangen-Nürnberg haben nun am Beispiel von Graphen eine Möglich­keit gefunden, einzelne solcher Verset­zungen direkt anzufassen und zu bewegen. Das Team um Erdmann Spiecker vom Lehrstuhl für Mikro- und Nanostruktur­forschung ebnet damit den Weg für neuartige Ent­wicklungen in diesem Bereich mit noch unge­ahnten Möglich­keiten, Einfluss auf die Eigen­schaften des Materials zu nehmen. Schon vor fünf Jahren hatte eine inter­disziplinäre Gruppe der Univer­sität die Verset­zungen in Bilagen-Graphen gefunden. „Als wir die Verset­zungen in Graphen entdeckten, wussten wir schon, dass wir ein ideales Modell­system für die Erforschung von Plasti­zität gefunden hatten“, erklärt Spiecker. Dem Team war klar, dass es dafür nicht mehr ausreicht, die winzigen Verset­zungen nur sichtbar zu machen. Vielmehr musste ein Weg gefunden werden, direkt mit ihnen zu inter­agieren.

Um Verset­zungen abbilden zu können, steht den Forschern ein viel­seitiges Mikroskop zur Verfügung, dass die Experten im Bereich der Elektronen­mikroskopie ständig weiter­entwickeln. „Während der letzten drei Jahre haben wir unser Mikroskop mit immer neuen Möglich­keiten ausge­stattet und sozusagen zu einer Werkbank auf der Nanoskala aufgerüstet“, sagt Doktorand Peter Schweizer, der die mikro­skopischen Analysen zusammen mit seinem Kollegen Christian Dolle durch­geführt hat. „Dadurch können wir Nano­strukturen nicht nur sehen, sondern mit ihnen gleich­zeitig direkt inter­agieren. Zum Beispiel haben wir die Möglich­keit, sie mechanisch zu verschieben, definiert zu erwärmen oder ein elek­trisches Potenzial anzulegen“. Herzstück des Geräts sind kleine Roboter­arme, die mit der Genauigkeit eines Millionstel Milli­meters posi­tioniert werden können. Bestückt man diese Arme mit feinen Nadeln, können diese auf die Proben­oberfläche abgesenkt werden.

Für die Kontrolle der Roboter­arme verwen­deten die Wissen­schaftler Gamepads, wie sie auch zur Steuerung von Computer­spielen eingesetzt werden. „So einen kleinen Roboter­arm kann man nicht einfach mit der Tastatur steuern, da braucht man etwas, das intui­tiver ist“, erklärt Dolle. „Es dauert eine Weile bis man es wirklich beherrscht, aber dann ist tat­sächlich das Mani­pulieren von einzelnen Verset­zungen möglich.“

Anfänglich waren die Forscher überrascht, wie resistent Graphen gegenüber mecha­nischer Belastung ist. „Wenn man darüber nachdenkt, sind es ja nur zwei Lagen von Kohlenstoff­atomen, auf die wir da eine scharfe Spitze drücken“, sagt Peter Schweizer. Die meisten Materia­lien würden das nicht aushalten, aber Graphen ist Weltrekord­halter in mecha­nischer Bestän­digkeit. Das ermöglichte es den Forschern, die Ober­fläche des Materials mit einer feinen Wolfram­spitze zu berühren und Verset­zungen hin- und herzu­schieben. Nur mithilfe dieser Technik konnten die Wissen­schaftler grundlegende Theorien von Verset­zungen bestä­tigen, aber auch ganz neue Erkennt­nisse darüber gewinnen, wie sich Verset­zungen gegenseitig beein­flussen und mit­einander reagieren.

FAU / JOL

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