08.03.2017

Fluiddynamik im Fokus

Max-Planck-Center zur Physik der Fluide im niederländischen Enschede eingeweiht.

Gemeinsam richten die Max-Planck-Gesellschaft und die Universität Twente in Enschede, Niederlande, ein wegweisendes Zentrum für die Erforschung von komplexer Fluid­dynamik ein. Beide Seiten investieren insgesamt rund zehn Millionen Euro, um Fortschritte beispielsweise in der medizinischen Diagnostik oder dem Betrieb von Windkraft­anlagen zu erreichen. Die ausgezeichneten Forschungsgruppen und die einzigartigen Labor­einrichtungen, die über das Center gemeinsam nutzbar sind, sollen zudem wissenschaftliche Talente aus aller Welt anziehen. Die Einweihung wurde am 3. März mit den Präsidenten beider Institutionen, den führenden Wissenschaftlern sowie Gästen aus der Politik mit einem Symposium an der Universität Twente gefeiert.

Abb.: Detail einer hochaufgelösten Computer-Simulation einer stark turbulenten Salz-Lösung (Bild: U. Twente)

Ohne Flüssigkeiten und Gase würde es auf der Erde kein Leben geben. Die Dynamik von Fluiden bestimmt den Wärme­haushalt der Erde oder erzeugt deren Magnetfeld, im Körper halten uns die Lunge und das Herz am Leben. Wasser, Gase und Öle werden in Pipelines und Rohren transportiert. Die Effizienz der Verbrennung wie beispiels­weise im Automotor oder auch die Herstellung von Chemikalien in groß­technischen chemischen Reaktions­anlagen hängt maßgeblich von der Dynamik der Gase und Flüssigkeiten ab. „Dieses sind nur sehr wenige Beispiele, die zeigen: Fluiddynamik bestimmt die Welt und das Universum. Und da diese Feld­theorie bis heute im Detail mathematisch noch unverstanden ist und auch Reaktionen oder Wechsel­wirkung von Fluiden mit Oberflächen tiefe Fragen aufwerfen, ist es unbedingt an der Zeit, dass sich die Physik mit den Grundlagen dieses Gebiets stark auseinander­setzt“, sagt Eberhard Bodenschatz, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbst­organisation in Göttingen (MPIDS). Er hat dieses erste niederländische Max-Planck-Center gemeinsam mit Detlef Lohse, Instituts­leiter an der Universität Twente (UT), initiiert. Von Seiten der UT sind die Forschungs­gruppen Physik der Fluide und BIOS Lab-on-a-Chip federführend, neben dem MPIDS sind von der Max-Planck-Gesellschaft zudem Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Polymer­forschung in Mainz (MPIP) beteiligt.

Der Präsident der Max- Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, sieht durch die neue Kooperation das Wissenschafts­feld der komplexen Fluide im europäischen wie internationalen Maßstab deutlich gestärkt. „In dem neuen Max Planck Center vereinen und ergänzen sich drei führende Standorte in der Erforschung des komplexen Verhaltens von Flüssigkeiten. Indem die Forschung ihre Kräfte hier bündelt, werden Fortschritte in so unterschiedlichen Gebieten wie der pharmazeutischen Diagnostik oder der Klima­modellierung möglich.“

Victor van der Chijs, Präsident der Universität Twente, ergänzt: „Die Max-Planck-Institute sind Weltklasse. In dem neuen Center können wir gemeinsam Spitzen­forschung betreiben. Zudem erbringt die erste Ansiedlung eines Max Planck Centers in den Niederlanden Forschung mit hohem Wirkungs­grad – von den Grundlagen bis hin zur Anwendung.“

Detlef Lohse, der als Leiter der Abteilung „Physics of Fluids“ an der Universität Twente einer der zwei Co-Direktoren des Centers ist, unterstreicht die Bedeutung für die Nachwuchs­förderung: „Neben der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der gemeinsame Nutzung von Forschungs­infrastruktur geht es uns auch insbesondere um die Förderung hochtalentierter junger Wissenschaftler. So wird es eine gemeinsame Ausbildung von hoch­qualifizierten Doktorandinnen und Doktoranden geben. Wir bieten einen Magneten für Toptalente.“

Der Göttinger Max-Planck-Wissenschaftler Eberhard Bodenschatz, ebenso Co-Direktor, sieht als weiteren zentralen Vorteil die gemeinsame Nutzung von Großgeräten. „Zusammen besitzen wir eine weltweit einzigartige Infrastruktur zur Untersuchung der Fluid-Physik. Diese können wir auf größtmöglich unterschiedlichen Skalen beobachten, also von einzelnen Flüssigkeits­bläschen im Nanobereich bis hin zu großskaliger Turbulenz, wie sie in der Natur in der Atmosphäre oder im Erdinneren vorkommt“, so Bodenschatz. Beispielsweise können die Fluid­forscher mit dem Taylor-Couette-System in Twente die turbulente Strömung zwischen zwei konzentrischen, schnell rotierenden Zylindern erforschen. Eine in Göttingen etablierte Infrastruktur, die wegen ihrer Form „U-Boot“ genannt wird, dient dagegen der Untersuchung hoch­turbulentem Wärme­transport zwischen einer warmen Boden- und einer kalten Deckenplatte. Mit dem Hochdruckwindkanal, der ebenfalls in Göttingen steht, werden Transport­eigenschaften des turbulenten Windes und der Einfluss der Turbulenz auf Windkraft­anlagen untersucht.

Auch auf dem Gebiet der Mikro- und Nanofluide hat das neue Max Planck Center eine hohe Expertise. So fragt eine Gruppe von Hans-Jürgen Butt, Direktor am MPIP, wie sich die Ausbreitung von Flüssigkeiten durch die Nano­strukturierung einer Oberfläche steuern lässt. Mit dieser Forschung wollen die Wissenschaftler Bio­filme oder selbst­reinigende Oberflächen herstellen oder die Vereisung eines Materials verhindern. Die Gruppe um Katharina Landfester, Direktorin am Mainzer MPIP, wiederum geht den umgekehrten Weg: Sie untersucht, wie sich durch Flüssigkeiten mit strukturierten Nano­partikeln die Fluid­dynamik beeinflussen lässt. Dadurch lassen sich zum Beispiel biologische Materialien zielgenau auf Oberflächen positionieren. Ebenso ermöglicht die Kooperation der drei Partner einen tieferen Einblick in biologische Prozesse mittels eines in Twente entwickelten Lab-on-a-Chip, einem winzigen Labor auf einer Platine, mit dem man zukünftig geringste Mengen einer Flüssigkeit wie beispielsweise Blut vor Ort analysieren kann.

MPIDS / DE

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