Forschung für den Frieden
Vor 70 Jahren wurde das CERN gegründet – als ein Friedensprojekt für exzellente Forschung in Europa.
Maike Pfalz
Im September 1954 – nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – wurde das CERN gegründet – das Conseil européen pour la recherche nucléaire –, um Spitzenforschung nach Europa zurückzubringen und die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Nationen zu fördern. Aus diesem Grund verankerte das CERN von Beginn an das Prinzip „Science for Peace“ als Ziel in der Konvention. In diesem Monat kann das CERN also auf eine 70-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken. In Berlin fanden Anfang September eine Reihe von Festveranstaltungen statt, um diesen runden Geburtstag auch in Deutschland zu würdigen.
Beim abendlichen Festakt im Futurium am 3. September, zu dem zahlreiche Prominenz aus Politik und vor allem Wissenschaft eingeladen war, bezeichnete BMBF-Staatssekretärin Judith Pirscher das CERN als historischen Glücksfall für Deutschland: „Wir waren eines von 12 Gründungsmitgliedern – das war keine Selbstverständlichkeit damals nur neun Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Nachkriegseuropa war das CERN die erste internationale Organisation, die Deutschland aufnahm“, betonte sie.
Festakt im Futurium in Berlin
In den vergangenen 70 Jahren hat das CERN exzellente Grundlagenforschung geleistet, Antworten auf Fragen zu den Grundkräften der Natur und zu Elementarteilchen geliefert und auch für spektakuläre Entdeckungen gesorgt: Insgesamt 59 Hadronen wurden dort entdeckt – am meisten Aufmerksamkeit erlangte sicherlich der Nachweis des Higgs-Bosons im Jahr 2012 am Large Hadron Collider. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die internationale Zusammenarbeit: „CERN ist der Inbegriff dafür, dass Wissenschaft verbindet“, brachte es Judith Pirscher auf den Punkt.
Beate Heinemann, Forschungsdirektorin für den Bereich Teilchenphysik am DESY, blickte in einem kurzweiligen Vortrag auf die 70-jährige Entdeckungsgeschichte des CERN zurück. Gegründet wurde es, als von den vier Grundkräften nur zwei verstanden waren. So war die Entdeckung der schwachen neutralen Ströme bahnbrechend, weil sie das Verständnis der schwachen Wechselwirkung ermöglichte. Auch damals schon haben mehr als 50 Personen international dabei zusammengearbeitet.
„Ohne CERN hätten wir nicht das Modell der fundamentalen Teilchen in unserem Universum oder die Formeln, denen sie gehorchen“, bekräftigte Heinemann. Als größter Teilchenbeschleuniger der Welt erlaube es der Large Hadron Collider, in eine Zeit zu blicken nur eine Milliardstel Sekunde nach dem Urknall. Besonders hob Beate Heinemann die Entdeckung des Higgs-Bosons hervor, weil dieses für das Verständnis vieler noch offener Fragen aller Voraussicht nach ganz wesentlich ist: Wie ist Antimaterie verschwunden? Woraus besteht Dunkle Materie? Warum gibt es verschiedene Spezies von Teilchen? Hat das Higgs-Boson die Inflation getrieben? „In diesem Sinne ist eine Entdeckung immer auch der Anfang einer Reise, weil sie direkt neue Fragen aufwirft!“
Die Entdeckung des Higgs-Bosons hat ein neues Forschungsprogramm begründet, um diesen offenen Fragen auf den Grund zu gehen. Dazu gilt es zunächst, das Higgs-Boson genauer zu vermessen und etwa zu verstehen, wie es mit den anderen fundamentalen Teilchen interagiert oder auch mit sich selbst. Das Upgrade des LHC – der High-Luminosity LHC (HL-LHC) – soll zehnmal mehr Daten liefern und helfen, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Für das Upgrade gilt es unter anderem, die Detektoren zu verbessern – daran wird auch in Deutschland intensiv gearbeitet. Für Beate Heinemann wesentlich sind die Menschen hinter den Entdeckungen: „Das Elektron wurde noch von einer Person entdeckt, beim W-Boson waren es hundert und die Entdeckung des Higgs-Bosons brauchte fast 10.000 Menschen!“
Das CERN bereitet sich schon jetzt auf die Zeit nach dem HL-LHC vor und führt eine Machbarkeitsstudie durch für einen Future Circular Collider, der einen Umfang von 90 Kilometern haben und insbesondere das Higgs-Boson noch genauer untersuchen soll. „So hoffe ich, dass das CERN in den nächsten 70 Jahren ähnlich spektakuläre Entdeckungen liefern wird wie in den letzten 70 Jahren“, sagte Beate Heinemann zum Abschluss ihres Vortrags.
Heute hat das CERN 24 Mitgliedsstaaten – erst jüngst ist Estland als neues Mitglied hinzugekommen – und rund 3500 Mitarbeitende. Weitere 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt forschen am CERN, davon etwa 2500 Menschen von insgesamt 60 deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Deutschland trägt 21 Prozent des jährlichen Budgets und ist damit der größte Beitragszahler. Insgesamt sind es jährlich 270 Millionen Euro plus 30 Millionen für die Verbundforschung, etwa in den Forschungsschwerpunkten zur Erforschung von Universum und Materie (ErUM).
Alle Erkenntnisse, die am CERN gewonnen werden, stehen der Allgemeinheit frei zur Verfügung. Die bekannteste Erfindung dürfte das World Wide Web sein, das ursprünglich der besseren Kommunikation der Forschenden auf der ganzen Welt zugutekommen sollte, das heute aber unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Auch die Medizin profitiert von der Forschung und Entwicklung am CERN: So betreibt sie eigene Teilchenbeschleuniger, deren Technologie auf Entwicklungsarbeiten am CERN zurückgeht, und setzt bildgebende Verfahren wie die Computertomografie ein, die ursprünglich für Teilchendetektoren entwickelt wurden.
Die zentralen Festveranstaltungen in Berlin sind zwar vorbei, doch speziell in der Woche vom 16. bis 22. September würdigen zahlreiche weitere Veranstaltungen in ganz Deutschland das 70-jährige Jubiläum des größten Forschungszentrums der Welt: Ausstellungen, Vorträge, Workshops und vieles mehr. Der Terminkalender auf der deutschen Website listet alle Veranstaltungen auf.
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