Geheimnisse der Proteinfaltung
Nobelpreisträger Ahmed H. Zewail berichtet in den Annalen der Physik über erste Schritte bei der Modellierung von Proteinfaltungen.
Lebewesen sind extrem komplexe Gebilde, dabei sind sie erstaunlich robust und anpassungsfähig. Ihr Erfolgsgeheimnis sind Proteine, die die Zellen der Organismen aufbauen und reinigen, Botschaften übermitteln und Stoffe transportieren, als Motoren fungieren und vieles andere mehr. Wie Proteine genetisch codiert und ihre linearen Aminosäureketten synthetisiert werden, ist im Prinzip bekannt. Damit ist es aber noch nicht getan, erst muss diese Kette korrekt gefaltet werden, denn bei Proteinen entscheidet die Form über die Funktion. Falsch gefaltete Proteine können Krankheiten verursachen. Sie können zu Amyloid-Plaques aggregieren, die z.B. als Ursache für die Alzheimer-Krankheit angesehen werden.
Abb.: Das „Wunder“ der Proteinfaltung: Aminosäureketten (grün), sind die Nanomaschinen des Lebens. Manche transportieren Sauerstoff (rot). Basierend auf ihren Aminosäuresequenzen können viele Proteine sich spontan in eine einzigartige dreidimensionale Gestalt bringen, die ihre funktionsweise bestimmt. Trotz der Komplexität des Vorgangs basiert er auf einfachen physikalischen Gesetzmäßigkeiten. (Bild: M. M. Lin & A. H. Zewail)
Bisher ist es unmöglich, anhand einer Aminosäuresequenz vorherzusagen, wie das fertige Protein sich falten wird. Neue Erkenntnisse über die Prinzipien der Proteinfaltung könnten helfen, Amyloid-basierte Krankheiten besser zu verstehen, zudem ließen sich leichter Protein-Pharmaka „am Reißbrett“ entwerfen, die dann perfekt zu ihren Zielmolekülen passen.
Chemie-Nobelpreisträger Ahmed H. Zewail und sein Mitarbeiter Milo M. Lin fassen ihre Erkenntnisse der physikalischen Hintergründe der Proteinfaltung im Rahmen der Einstein Lectures in der neuesten Ausgabe der Annalen der Physik zusammen. Diese Beitragsserie wurde 2005 im Zuge des Einstein-Jahres eingeführt und umfasst Artikel namhafter Wissenschaftler, etwa der Nobelpreisträger Theodor Hänsch, Roy Glauber und Peter Grünberg.
Viele Proteine sind in der Lage, sich selbst ganz ohne Hilfe einer zellulären „Faltungsmaschinerie“ in die richtige, oft komplizierte Form zu bringen – rasch und zuverlässig. Wie sie das schaffen, ist noch immer ein Rätsel. Neben der Thermodynamik, die die Stabilität der möglichen Proteinkonformere bestimmt, spielt die Kinetik eine entscheidende Rolle, denn sie legt die Mechanismen und Zeitskalen für die Faltung fest. Würde eine Polypeptidkette einfach alle Konformationen „ausprobieren“, würde sie länger als das Alter des Universums brauchen, um ihre native Faltung zu finden – in der Realität dauert die Faltung maximal einige Sekunden. Zewail und Lin vom California Institute of Technology in Pasadena (USA) gehen dieses „Proteinfaltungs-Problem“ an, indem sie versuchen, die grundlegende Physik hinter der komplexen Welt der Proteinfaltung zu entschlüsseln. Mithilfe ultrakurzer Laserpulse konnte Zewails Team die Geschwindigkeit für die Bildung der ersten Windung einer alpha-Helix experimentell ermitteln. Untersuchungen chemischer Reaktionen in Echtzeit mit Hilfe ultrakurzer Laserblitze sind Zewails Spezialität, für die er 1999 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Die Faltung der ersten Helix ist der schnellste Schritt bei der Proteinfaltung – und bestimmt damit das generelle Limit der Faltungsgeschwindigkeit. Ohne die Details der beteiligten Mechanismen kennen zu müssen, gelang es den Wissenschaftlern, mithilfe einfacher analytischer Modelle dieses Limit auch rechnerisch abzuschätzen.
Basis der Modelle ist eine Betrachtung der Drehwinkel des Proteinrückgrates in einem „ Ramachandran-Diagramm“, wobei sterisch verbotene, eingeschränkte und freie Regionen berücksichtigt werden. Zudem wird die Polypeptidkette als dreidimensionales Gitter berechnet, mit dem Ziel, die Aminosäuren so anzuordnen, dass Kontakte zwischen hydrophoben Seitengruppen maximiert sind, was einem Abschirmen gegenüber der physiologischen wässrigen Umgebung entspricht, während die polarer Seitengruppen nach außen gerichtet sein sollen. Dies ist das natürliche Erscheinungsbild von Proteinen.
Anhand der Modellbetrachtungen kamen Zewail und seine Mitstreiter zur Erkenntnis, dass bereits die Wechselwirkungen zwischen den hydrophoben Seitenketten ausreichen würden, um eine Polypeptidkette in einer vernünftigen Zeit korrekt zu falten. Aber nur, wenn die Kette nicht länger als etwa 200 Aminosäuren ist. Dies könnte die Erklärung für die beobachtete Einteilung von Proteinen in Domänen sein: Auch wenn Proteine aus mehr als 1000 Aminosäuren bestehen, setzen sie sich oft aus mehreren einzelnen Domänen zusammen – unabhängig voneinander faltenden Bereichen, die im Mittel etwa 100 Aminosäuren lang sind. Die meisten sind kürzer als 200 Aminosäuren, was der theoretisch ermittelten maximalen Länge für eine rasche Faltung über hydrophobe Wechselwirkungen entspricht.
Kristin Mädefessel-Herrmann
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