29.04.2015

Genauer als die beste Atomuhr

EU-Förderung: Thoriumkern-Uhr soll mit ihrer Genauig­keit alle heu­tigen Mess­methoden in den Schat­ten stellen.

Atomuhren sind die genauesten Messinstrumente überhaupt, sie gehen erst nach Milliarden Jahren um eine Sekunde vor oder nach. An der TU Wien möchte man aber noch einen Schritt weitergehen. Mit Hilfe von Thorium-229-Kernen soll eine Atomkern-Uhr entwickelt werden, die noch deutlich präziser und gleichzeitig einfacher und robuster ist als bisherige Atomuhren. Damit ließe sich sogar unter­suchen, ob die Natur­konstanten tatsächlich konstant sind, oder sich im Lauf der Zeit minimal verändern. Im Rahmen des Wissen­schafts­förderungs­programms Horizon 2020 fördert die EU nun das Forschungs­projekt „nuClock“ für vier Jahre mit insgesamt vier Millionen Euro, an dem neben der TU Wien auch andere Universitäten und Firmen aus, Deutschland und Finnland beteiligt sind.

Jede Uhr braucht eine möglichst konstante Schwingung, die den Takt angibt. Das kann die Schwingung eines Pendels sein, die Oszillation eines Kristalls in einer Quarzuhr – oder aber der Schwingungstakt des Lichts, das von Atomen absorbiert wird. „Nach den Gesetzen der Quantenmechanik können sich die Elektronen eines Atoms nur in bestimmten Zuständen mit bestimmter Energie befinden“, erklärt Thorsten Schumm vom Atominstitut der TU Wien. Mit einem Laser, dessen Licht­frequenz genau zur Energie­differenz zwischen zwei solchen Niveaus passt, lässt sich ein Elektron vom tieferen in das höhere Energieniveau anheben. Danach fällt es wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet wieder Licht mit derselben Frequenz aus. Mit solchen Methoden kann man den Energieunterschied zwischen zwei Quantenzuständen extrem präzise messen und damit eine Frequenz sehr genau definieren. Die Sekunde ist heute als jene Periode definiert, in der das charakte­ristische Licht des Übergangs zwischen zwei Zuständen des Cäsium-Atoms genau 9.192.631.770mal schwingt.

Abb.: Simon Stellmer (l.) und Thorsten Schumm im Labor (Bild: TU Wien)



Alle bisherigen Atomuhren nutzen Übergänge in der Elektronenhülle des Atoms. Viel besser wäre es allerdings, statt der Elektronen im Atom den Atomkern selbst zu verwenden. Der Atomkern ist tausendmal kleiner als die Elektronen­hülle und viel weniger anfällig für Störungen von außen. „In gewöhnlichen Atomuhren müssen die Atome mühsam gegen elektro­magnetischen Feldern abgeschirmt werden, unsere Atomkern-Uhr wäre viel robuster“, sagt Schumm. Die Thorium-Kerne muss man nicht einmal isoliert untersuchen, man kann sie sogar in Kristalle einbauen und wird noch immer dieselben Energiezustände messen. Für eine Atomkern-Uhr braucht man kein speziell präpariertes Labor, man könnte sie relativ kompakt bauen und dann beispiels­weise in einem Satelliten ins All schießen, für die nächste Generation des Navigations­systems GPS.

„Das Problem dabei ist allerdings, dass die Übergänge zwischen Zuständen des Atomkerns meist auf einer ganz anderen Energieskala stattfinden“, erklärt Schumms Kollege Simon Stellmer. Wenn Elektronen ihren Zustand ändern, entsteht typischer­weise Licht im Bereich von einigen Elektronen­volt, bei Zuständen des Atomkerns können es auch mal 100.000 Elektronen­volt sein. Man braucht daher einen ganz besonderen Atomkern, der zwei Zustände aufweist, die beinahe dieselbe Energie haben.

„Der beste Kandidat dafür ist Thorium-229, ein sehr seltenes Isotop, das nur künstlich hergestellt werden kann.“, sagt Schumm. Weniger als ein Milligramm davon steht der Wissenschaft heute weltweit zur Verfügung. „Es gibt derzeit viele Hinweise darauf, dass der Kern von Thorium-229 einen angeregten Zustand besitzt, der bloß etwa sieben Elektronen­volt oberhalb des Grund­zustands liegt.“ Für kernphysi­kalische Verhältnisse ist das eine winzige Energie­differenz. Die Lebensdauer dieses Zustands ist extrem lang: Erst nach tausenden Sekunden kehrt der Atomkern vom angeregten Zustand wieder in den Grund­zustand zurück – meist hat man es in der Quantenphysik mit Lebensdauern von winzigen Sekundenbruchteilen zu tun.

„Quantenphysikalisch ist die Lebensdauer mit der Präzision der Messung verknüpft“, sagt Stellmer. „Je länger der angeregte Zustand lebt, umso präziser ist die Energie der dazuge­hörigen Strahlung definiert.“ Einerseits ist das sehr positiv: Das Licht, das dem Übergang zwischen den beiden Thorium-Kern­zuständen entspricht, soll schließlich eine möglichst genau definierte Frequenz haben, damit man einen möglichst genauen Taktgeber für die Zeitmessung zur Verfügung hat. Allerdings ist damit auch ein großes Problem verbunden: Ebenso genau muss man nämlich die richtige Frequenz treffen, um den Übergang überhaupt zu finden.

„Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Schumm. „Man muss den Thoriumkern mit genau der richtigen Licht­frequenz bestrahlen, dann absorbiert er die Strahlung, geht in den etwas höheren Energie­zustand über, wechselt dann ein paar tausend Sekunden später wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet dabei wieder Licht aus, das wir messen können. Doch wegen der extrem hohen Genauigkeit, die man hier braucht, ist es sehr schwierig, den Übergang tatsächlich zu finden und seine exakte Frequenz zu bestimmen.“ Jede mögliche Frequenz auszuprobieren würde unüber­schaubar lange dauern, daher arbeitet das Team an verschiedenen Möglichkeiten, der exakten Thoriumkern-Frequenz auf die Spur zu kommen.

Abb.: Eine Scheibe, die Thorium-229-Kerne enthält, soll in künftigen Kern-Uhren den Takt angeben. (Bild: TU Wien)

„Wenn wir den gesuchten Kernübergang erst mal zweifelsfrei identifiziert haben, dann kann man eine ganze Menge damit machen“, ist sich Stellmer sicher. „Alle nötigen Technologien zur technischen Nutzung dieses Phänomens sind mittlerweile verfügbar – grundsätzlich haben wir nun ein gutes Verständnis davon, was zu tun ist.“

Wenn die Atomkern-Uhr erst funktioniert, wird es viele spannende Anwendungs­möglichkeiten geben. „Man wird damit nicht nur Zeit messen, man möchte auch überprüfen, ob die grund­legenden Konstanten der Physik wirklich konstant sind. Es gibt Theorien, die nahelegen, dass sich gewisse physikalische Größen, wie etwa die Stärke der elektro­magnetischen Wechsel­wirkung, im Lauf der Zeit langsam verändern“, sagt Schumm. „Wenn sich herausstellt, dass sich die Naturkräfte über Milliarden Jahren wandeln, dann würde das unser Verständnis vom frühen Universum völlig umkrempeln.“ Atomkern-Uhren wären so empfindlich, dass man solche Verän­derungen, sollte es sie tatsächlich geben, bereits im Lauf einiger Jahre messen könnte.

Die Entwicklung der Atomkern-Uhr ist eine hochkomplexe Aufgabe, sie benötigt die besten experimen­tellen Techniken, Detektoren und Laser aus ganz unterschiedlichen Forschungs­bereichen. Daher holte sich das Team der TU Wien noch eine ganze Reihe von Partnerorganisationen an Bord. Im Projekt „nuClock“ sind in den nächsten vier Jahren nun im Rahmen der FET-Open-Ausschreibung der EU die PTB in Braunschweig, die Münchner LMU, das MPQ in München und das MPIK in Heidelberg, dazu noch das Kirchhoff-Institut für Physik in Heidelberg und die Firma Toptica Photonics mit an Bord.

TU Wien / OD

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