09.11.2011

Geodynamo des Mondes: Kurz oder lang?

Zwei Forscherteams beschreiben gänzlich unterschiedliche Ursachen für das globale Magnetfeld, das der Mond vor langer Zeit besessen hat.

Der Erdtrabant ist noch immer rätselhaft. Unter den festen Schichten von Kruste und Mantel verbirgt sich ein kleiner und teilweise flüssiger Eisenkern, der anders als der Erdkern kein dipolares Magnetfeld erzeugen kann. Trotzdem brachten die Apollo-Astronauten Mondgestein mit zur Erde, das vereinzelt stark magnetisiert war. Diese wenigen Messdaten wurden später von den Raumsonden Lunar Prospector und Kaguya mit globalen Karten des lunaren Magnetfelds ergänzt. Sie bestätigten ein bis heute nicht ganz verstandenes Bild: Der Mond muss in seiner Vergangenheit ein globales Magnetfeld besessen haben, das nur bestimmte Gesteine magnetisierte.

Abb.: Das Mare Crisium ist ein Einschlagbecken nordöstlich des Mare Tranquillitatis. (Bild: Rob Glover / Flickr / CC-BY-SA 2.0 Generic)

Ein französisch-belgisches Forscherteam um Michael Le Bars hat nun berechnet, wie sich besonders schwere Meteoriteneinschläge auf den inneren Kern des Mondes und sein Magnetfeld ausgewirkt haben. Sie betrachteten sechs stark magnetisierte Einschlagbecken aus der nektarischen Periode der Mondgeschichte vor über vier Milliarden Jahren. Die Physiker vermuten, dass die Einschläge kurzzeitig einen lunaren Geodynamo anwerfen konnten. Noch bevor die Gesteinsschmelze in den Kratern unter die Curie-Temperatur abkühlte, wurden die magnetischen Dipole entlang dieses Magnetfelds ausgerichtet und das Gestein somit remanent magnetisiert.

Der globale Geodynamo sprang laut den Wissenschaftlern an, weil der Einschlag die Bahnbewegungen des Mondes sehr stark störte. Dadurch könnte er etwa seine gebundene Rotation um die Erde kurzzeitig aufgegeben haben: Der deutlich masseärmere Trabant weist der Erde normalerweise immer das gleiche Antlitz zu. Ursache ist die Gezeitenreibung. Wird ein so eingebremster Körper durch einen Einschlag beschleunigt oder abgebremst, beginnen zumindest die festen Gesteinsschichten nun schneller oder langsamer um die eigene Achse zu rotieren. Der flüssige Kern konnte damit nicht sofort mithalten und passte sich dem neuen Rotationsregime nur langsam an. Dadurch nahm die innere Gezeitenreibung so lange zu, bis der Mond in die gebundene Rotation zurückgefunden hatte. In dieser Zeitspanne begann der flüssige Mondkern sich differentiell, also abhängig vom Breitengrad, zu drehen. Dadurch bewegte sich die Gesteinsschmelze des Kerns turbulent und der Mond konnte über wenige Jahrtausende ein globales Magnetfeld ausbilden. Danach normalisierten sich die lunaren Bahnparameter wieder und mit ihnen nahm auch das Magnetfeld wieder ab.


Überflug der japanischen Raumsonde Kaguya über das Mare Crisium.

US-Geophysiker kommen zu einem abweichenden Ergebnis: Die Gruppe um Christina Dwyer von der Universisy of California in Santa Cruz betrachtete die gesamte geodynamische Vergangenheit des Mondes. Frühere Studienergebnisse hatten darauf hingedeutet, dass der Erdtrabant über mehr als 400 Millionen Jahre ein persistentes Magnetfeld besessen haben könnte. Diese Hypothese versuchten die Forscher nun mit den neuen Beobachtungsdaten und einem eigenen Modell des Mondinnern zu untermauern. Demnach war der Mond nach seiner Entstehung deutlich stärkeren Gezeitenkräften ausgesetzt als heute, weil er sich noch näher an der Erde befand. In dieser Zeit präzedierten Kern und Mantel des Mondes um die gleiche Achse. Mit wachsendem Abstand entkoppelten sich diese Taumelbewegungen und führten dadurch zu turbulenten Fluidströmungen im Kern. Erst als der Abstand zur Erde noch größer wurde, verlor der Mond seinen Geodynamo schließlich vor 2,7 Milliarden Jahren.

Die Ergebnisse der beiden Forscherteams widersprechen sich vor allem in der Dauer und den möglichen Ursachen des Geodynamo-Effekts, obwohl die physikalischen Prozesse im Kern auf ähnlichen Modellen beruhen. Jedoch sind beide Ansätze weiterhin anfechtbar: Ein durch Einschläge hervorgerufener kurzzeitiger Geodynamo scheint nämlich nur in manchen Beckenstrukturen magnetisiertes Gestein hinterlassen zu haben, darunter das 420 Kilometer breite Mare Crisium. Deutlich größere und ebenfalls durch Asteroiden entstandene Becken wie das Mare Imbrium und das Mare Orientale besitzen dagegen keine nennenswerten magnetischen Anomalien. Doch auch das Modell eines lange stabilen lunaren Magnetfelds lässt sich nur unzureichend mit den eher spärlichen Messdaten in Einklang bringen. Beide Forscherteams setzen deshalb darauf, ihre Hypothesen in Zukunft an neuen Proben besonders alter Mondgesteine zu überprüfen.

Karl Urban

PH

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Meist gelesen

Themen