19.02.2025

Grenzen der Stabilität

Neues Modell erklärt Verformung amorpher Festkörper.

Warum kommen Lawinen ins Rutschen? Und was spielt sich dabei im Inneren der Schneemenge ab? Physikalische Phänomene spielen sich nicht nur auf Berggipfeln und in Schneemassen ab, sondern auch im Labor auf mikroskopisch kleiner Ebene in Materialien mit ungeordneter Teilchenstruktur – in Gläsern, Granulaten oder in Schäumen. Deren Teilchen können nämlich ganz ähnlich wie Lawinen ins Rutschen kommen, wodurch die Struktur ihre Stabilität verliert und verformbar wird und das sogar unabhängig von einer Temperaturveränderung. Der Konstanzer Physiker Matthias Fuchs erforscht mit Florian Vogel und Philipp Baumgärtel diese ungeordneten Festkörper. 

Abb.: Ausbreitung von Vibrationen in ungeordneten Materialien.
Abb.: Ausbreitung von Vibrationen in ungeordneten Materialien.
Quelle: AG Fuchs, U. Konstanz

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Vor zwei Jahren lösten die Forscher ein altes Rätsel um Vibrationen in Gläsern, indem sie eine vergessene Theorie neu betrachteten. „Jetzt haben wir das Projekt weitergeführt, um die Frage zu beantworten, wann ein unregelmäßiges Kartenhaus zusammenfällt. Uns geht es darum, zu klären, wann ein amorpher Festkörper seine Stabilität verliert und wie ein Sandhaufen anfängt zu rutschen“, so Fuchs. Mithilfe der „Euclidean random matrix“ (ERM) Modelle deckten sie die Gesetzmäßigkeiten hinter diesem Stabilitätsverlust auf und entwickelten eine Theorie, um diesen Vorgang zu beschreiben und vorherzusagen. Die beobachteten Effekte sind relevant für die Herstellung von Materialien mit verbesserten Eigenschaften, insbesondere für granulare Systeme und Schäume. 

Das Innere eines Festkörpers – also seine molekulare Teilchenstruktur – lässt sich wie eine Kiste voller Bauklötze beschreiben. Die Bausteine können darin sauber in Reih und Glied gestapelt sein, so dass sie sich gegenseitig Halt geben. Das entspräche einem geordneten Festkörper. Oder die Bausteine sind einfach achtlos in die Kiste geworfen, wild durcheinander und mit Lücken dazwischen – aber dennoch ineinander verkeilt, was ihnen eine gewisse Stabilität gibt. Das entspräche einem ungeordneten Festkörper. Wenn man an der Kiste rüttelt, wird im Fall der fein gestapelten Bausteine nicht viel an Bewegung passieren. Die Bausteine sind alle fest an ihrem Platz, stabilisieren sich gegenseitig und kehren bei kleineren Rüttlern wieder an ihre Ausgangsposition zurück. 

Anders sieht es hingegen bei der unordentlichen Box aus. Die Bausteine liegen kreuz und quer, zwischen ihnen gibt es Leerräume. Die einzelnen Bausteine haben dadurch mehr Spielraum, eine andere Position einzunehmen. Mit genügend Rütteln verrutschen immer mehr der Stützpfeiler, bis irgendwann der ganze Bauklotzstapel in sich zusammenfällt. Aber ab welchem Schwellenwert passiert das und was genau geschieht dabei im Inneren der Box? Die Physiker analysierten nun, wann ungeordnete Festkörper ihre molekulare Stabilität verlieren. 

Um das Phänomen zu untersuchen, erzeugen die Forscher Vibrationen im Inneren des Teilchensystems. Sie sorgen ferner dafür, dass keine Schwerkraft wirkt, die die instabile Struktur zerstören könnte, und überprüfen die räumliche Ausdehnung steifer Bereiche. „Unsere Analysen zeigen, dass die Stabilität des Systems an einem Punkt verloren geht, an dem Vibrationen mit niedriger Frequenz nahe Null auftreten. Die Schallgeschwindigkeit verschwindet dort“, sagt Florian Vogel. „Die Materialstruktur wird nun verformbar: Unter Krafteinwirkung kehren die Teilchen nicht länger elastisch an ihre Ausgangsposition zurück, sondern kommen ins Rutschen. In diesem losen Zustand bewegen sich die Teilchen in Clustern von wachsender Größe.“

Temperaturveränderungen spielen bei diesem Vorgang übrigens keine Rolle. Es geht hier also nicht etwa darum, dass ein Festkörper durch Erhitzung einen flüssigen Aggregatzustand erreicht. Der Stabilitätsverlust spielt sich vielmehr bei gleichbleibender Temperatur ab und wird durch Verdünnung der stabilisierenden Verbindungen hervorgerufen. Die Theorie und Simulationen der Konstanzer Forschungsgruppe betreffen also zum Beispiel molekulare Festkörper bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt oder Schüttgüter wie Sand oder Erdreich, wo thermische Fluktuationen vernachlässigbar sind.

U. Konstanz / JOL

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