Große Trauer um Elemententdecker Sigurd Hofmann
Der Physiker war an der Entdeckung der Elemente Darmstadtium, Roentgenium und Copernicium beteiligt.
GSI und FAIR trauern um einen ihrer prominentesten Wissenschaftler. Mit Sigurd Hofmann ist am 17. Juni 2022 im Alter von 78 Jahren einer der weltweit führenden Elemententdecker verstorben. In seiner Zeit als Leiter des Forschungsbereichs „Schwere Elemente“ gelang die Entdeckung der Elemente Darmstadtium, Roentgenium und Copernicium. In den Jahren zuvor leistete er wesentliche Beiträge zur Synthese der Elemente Hassium, Bohrium und Meitnerium. Ebenso bemerkenswert in seinem wissenschaftlichen Leben ist die Entdeckung der Protonen-Radioaktivität, die im Jahr 1981 am Geschwindigkeitsfilter SHIP gelang.
Sigurd Hofmann wurde am 15. Februar 1944 in Böhmisch-Kamnitz, Böhmen, geboren und kam kurz nach Kriegsende nach Groß-Umstadt. Er ging in dort zur Schule und besuchte bis 1963 das dortige Max-Planck-Gymnasium. Anschließend begann er das Physik-Studium an der damaligen TH Darmstadt (heute TU Darmstadt), wo er 1969 das Diplom erlangte und 1974 bei Egbert Kankeleit promoviert wurde. Seine danach bei der GSI in Darmstadt beginnende wissenschaftliche Arbeit füllte ihn fast fünfzig Jahre lang aus. Zuletzt arbeitete er an einem Buch zum aktuellen Stand der weltweiten Schwere-Elemente-Forschung und an der Veröffentlichung einer Methode zur Energiekalibrierung von Halbleiter-Detektoren, die er bereits in den 1990er Jahren entwickelt hatte – Genauigkeit und wissenschaftliche Exaktheit waren ihm stets wichtig.
Doch zunächst widmete er sich, nachdem er 1974 zur GSI gekommen war, in der Gruppe von Peter Armbruster und zusammen mit Gottfried Münzenberg der Untersuchung von Fusionsreaktionen und radioaktiven Zerfällen. Internationale Bekanntheit erreichte Sigurd Hofmann durch die 1981 entdeckte Protonen-Radioaktivität aus dem Grundzustand von Lutetium-151, ein bis dahin unbekannter Zerfallsmechanismus. Bei der Datenanalyse kam ihm seine ausgeprägte Gründlichkeit und wissenschaftliche Neugier zugute.
Gleichzeitig hatte Sigurd Hofmann mit Arbeiten zur Synthese, zum eindeutigen Nachweis und zur Erforschung der Eigenschaften der schwersten chemischen Elemente begonnen, die sein weiteres wissenschaftliches Leben prägen sollten. Erste Höhepunkte waren die Synthese der neuen Elemente Bohrium (Bh, Z=107), Hassium (Hs, Z=108) und Meitnerium (Mt, Z=109) in den Jahren 1981 bis 1984, mit denen die GSI erstmalig – und gleichzeitig sehr prominent – das internationale Territorium dieses Forschungsgebiet betrat. Entscheidend hierbei waren die Halbleiter-Detektoren, die Sigurd Hofmann eigens dafür entwickelt hatte. Seiner Zeit damit weit voraus, werden solche Detektoren heute weltweit zur Suche nach neuen chemischen Elementen eingesetzt.
Ende der 1990’er Jahre übernahm Sigurd Hofmann die Leitung der Schwere-Elemente-Gruppe und – nach instrumentellen Verbesserungen am GSI-Linearbeschleuniger UNILAC, dem Geschwindigkeitsfilter SHIP, weiteren Detektoren sowie der Nachweiselektronik – krönte er seine wissenschaftlichen Erfolge mit der Entdeckung der chemischen Elemente Darmstadtium (Ds, Z=110), Roentgenium (Rg, Z=111) und Copernicium (Cn, Z=112) in den Jahren 1994 bis 1996. Das Konzept „SHIP-2000“, ein unter seiner Federführung entstandenes Strategiepapier aus dem Jahr 1999 zur langfristigen Schwere-Elemente-Forschung bei GSI, ist heute noch aktuell. Im Jahr 2009 wurde er zum Helmholtz-Professor ernannt und konnte sich fortan wieder ganz der wissenschaftlichen Arbeit widmen. Über viele Jahre pflegte er eine sehr intensive Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Austausch mit den internationalen Kollegen in Dubna, wo er in einem gemeinsamen Experiment Mitentdecker von Element Flerovium (Fl, Z=114) war.
Für seine herausragenden Forschungsarbeiten und Erkenntnisse erhielt er eine große Anzahl von renommierten Auszeichnungen und Preisen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden können. So war er seit 1996 Ehrendoktor der Fakultät für Mathematik und Physik der Comenius-Universität in Bratislava (Slowakei), seit 1998 Honorarprofessor der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, seit 2001 Dr. h. c. des Joint Institute for Nuclear Research (JINR) in Dubna und seit 2004 Professor Laureatus der Josef-Buchmann-Stiftung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er erhielt 1984 den Physikpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zusammen mit Gottfried Münzenberg, Willibrord Reisdorf und Karl-Heinz Schmidt, 1996 den Otto-Hahn-Preis der Stadt Frankfurt am Main zusammen mit Gottfried Münzenberg, 1997 den G.N. Flerov Preis des Joint Institute for Nuclear Research (JINR) in Dubna und 1998 die SUN-AMCO Medaille der International Union of Pure and Applied Physics; im Jahr 2011 erhielt er die Nikolaus-Kopernikus-Medaille der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau und 2011 die Medaille der Stadt Toruń und Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń.
Sigurd Hofmann war ein fleißiger Schreiber und Redner. Er war eingeladen als Sprecher bei unzähligen internationalen Konferenzen, verfasste eine große Anzahl von Übersichtsartikeln, Büchern und Buchkapiteln, von vielen vielzitierten Veröffentlichungen. Ebenso hielt er gerne populärwissenschaftliche Vorträge bei öffentlichen Anlässen, u.a. als „Bekennender Heiner“ in der Darmstädter Ziegelhütte. Dabei konnte er ein mitreißendes Bild der modernen Physik, aber auch der großen Fragestellungen der Kosmologie und der Elementsynthese in Sternen entwickeln, ebenso konnte er sehr anschaulich vermitteln wie man Atome „sichtbar“ machen kann. Viele Kapitel seines zeitgenössischen wissenschaftlichen Lebens sind in seinem 2002 erschienenen Buch „On Beyond Uranium“ festgehalten.
Bemerkenswert waren seine Bescheidenheit und sein freundliches Wesen. Man konnte sich stets auf ihn verlassen. Seine Sorgfalt, Genauigkeit und Umsicht bei allen Arbeiten waren herausragend. Seine Beharrlichkeit war eine der Grundlagen für die bahnbrechenden wissenschaftlichen Erfolge, die er für GSI erzielte. Stets war er im Büro oder am Experiment anzutreffen, auch spät am Abend und an Wochenenden, so dass man ihn jederzeit fragen und immer ausführliche Antworten und kompetenten Rat erhalten konnte. Es gab in der Kernphysik und bei GSI quasi nichts, was er nicht wusste.
Wir freuen uns, dass wir über so lange Jahre mit einem exzellenten Wissenschaftler und Kollegen sowie einem hervorragenden Lehrer und großartigen Menschen zusammenarbeiten durften. Nun trauern wir um Sigurd Hofmann. Seiner Familie gilt unser tiefes Mitgefühl. Wir werden ihn in bester Erinnerung behalten.
GSI / JOL