24.08.2018

Heilende Unordnung

Beschädigter topologischer Isolator lässt sich durch zu­fällige Störungen wieder­hers­tellen.

Topologische Isolatoren zeigen im Inneren isolierende Eigenschaften, an der Ober­fläche sind sie jedoch außer­ordent­lich gut leitend. Und zwar so gut, dass ein einmal ein­ge­speister Elek­tronen­strom im Prinzip niemals zu fließen auf­hören würde. Das Ver­halten gleicht der Supra­leitung, funktio­niert aber nach einem ganz anderen Mecha­nismus: Die Forscher sprechen von einem topo­logisch geschützten Strom. Analog zu einem Strom von Elek­tronen, die Spin-1/2-Teil­chen sind, funktio­niert das Prinzip des topo­lo­gischen Iso­lators auch mit Photonen, die ganz­zahligen Spin auf­weisen.

Abb.: Links: Besitzen benachbarte Wellen­leiter einen unter­schied­lichen Brechungs­index (symboli­siert durch ver­schiedene Grau­stufen), werden die topo­lo­gischen Eigen­schaften des Systems zer­stört, so dass kein Licht mehr ent­lang der Ober­fläche geleitet wird. Rechts: Durch zusätz­liche Un­ord­nung in den Brechungs­indizes der Wellen­leiter werden die topo­lo­gischen Eigen­schaften des Systems wieder her­ge­stellt, so dass Licht wieder ent­lang der Ober­fläche geleitet wird. (Bild: A. Szameit & L. Maczewsky, U. Rostock)

Die Eigenschaften eines topologischen Isolators sind verhältnismäßig stabil. Bei sehr großen Störungen der regel­mäßigen Struktur ver­schwinden die leiten­den Eigenschaften an der Ober­fläche jedoch, man hat es dann mit einem normalen Iso­lator zu tun. Das bedeutet für den optischen Fall, dass über­haupt kein Licht weder durch eine solche Struktur hindurch gelangen noch an der Ober­fläche weiter­ge­leitet werden kann.

Jian Li, Rui-Lin Chu, J. K. Jain und Shun-Qing Shen hatten 2009 in einer theore­tischen Unter­suchung für einen Fest­körper recht exo­tische Eigen­schaften ange­nommen. Ausgangs­punkt ihrer Über­legungen war ein normaler Iso­lator, der keinen Strom leitet. In ihrer nume­rischen Simu­la­tion konnten die Wissen­schaftler zeigen, dass jedoch die typischen Eigen­schaften des topo­lo­gischen Iso­lators – Iso­la­tion im Innern, Quasi­supra­leitung über die Ober­fläche – durch eine zusätz­liche zu­fällige Störung der Struktur erzeugt werden können. Diese Ver­mutung konnte experi­men­tell bislang nicht bestätigt werden.

Alexander Szameit von der Uni Rostock und seinen Kollegen ist es jetzt gelungen, das ver­mutete elek­tro­nische Ver­halten des Fest­körpers für Licht­wellen nach­zu­weisen. Nach umfang­reichen theore­tischen Vor­über­legungen und numerisch auf­wändigen Simu­la­tionen wurde ein experi­men­telles Design reali­siert, mit dessen Hilfe im Experi­ment mit Licht­wellen gezeigt werden konnte, dass ein gewöhn­licher Iso­lator durch randomi­sierte Störungen plötz­lich topo­logische Eigen­schaften zeigt: Keine Licht­trans­mission durch das Innere der Struktur, wohl aber Licht­leitung über die Ober­fläche.

Die Wissenschaftler haben dazu in hochreines Kieselsäureglas per fokus­sierten Laser­pulsen mit enormen Energie­dichten im Giga­watt­bereich Wellen­leiter in das Glas­plätt­chen ein­ge­schrieben, die im Quer­schnitt eine bienen­waben­ähn­liche Graphen­struktur abbilden. Diese paral­lelen Wellen­leiter, die wie Glas­fasern das Licht leiten, werden dabei selbst nicht als Geraden, sondern als Schrauben­linie aus­ge­führt, so dass die Propa­ga­tion des Lichts in Vorwärts­rich­tung einer rechts­drehenden und in Rück­wärts­rich­tung einer links­drehenden Schraube ent­spricht. Damit wird eine Brechung der Zeit­symme­trie reali­siert. Das ist ein wesent­liches Element, um die Eigen­schaften eines topo­lo­gischen Iso­lators zu erhalten.

Im experimentellen Aufbau wird Licht eines roten HeNe-Lasers in die Wellen­leiter­struktur ein­ge­koppelt. Am anderen Ende der Wellen­leiter­struktur wird mit einem Photo­sensor detek­tiert, ob Licht durch die Struktur durch­ge­leitet oder auf der Ober­fläche weiter­ge­leitet wird. In einem ersten Ver­such wurde eine geord­nete Störung in die Wellen­leiter­struktur ein­ge­bracht, indem sich die Brechungs­indizes direkt benach­barter Wellen­leiter um zwei Zehn­tausend­stel unter­scheiden. Damit waren die leitenden Eigen­schaften der topo­lo­gischen Struktur voll­ständig zer­stört: Kein Licht konnte hinter der Struktur nach­ge­wiesen werden. Was aber passiert, wenn weitere Störungen zur beste­henden Unord­nung hinzu­gefügt werden?

In einem zweiten Versuch wurden die Wellenleiter so präpa­riert, dass zur beste­henden regel­mäßigen Störung benach­barter Wellen­leiter unregel­mäßig ver­teilte Unter­schiede der Brechungs­indizes aller Wellen­leiter hinzu­gefügt worden sind. Ent­gegen der Erwar­tung, dass bei einer weiteren Unord­nung in der topo­lo­gischen Struktur die rein iso­lie­renden Eigen­schaften erhalten bleiben sollten und es hinter der Probe dunkel bleibt, zeigte sich im zweiten Versuch Licht­leitung über die Ober­fläche. Licht konnte am Rand hinter der Probe detek­tiert werden.

Damit ist für den Fall des Lichtes der experimentelle Nachweis der Ver­mutung gelungen, die ursprüng­lich nur für Elek­tronen geäußert worden war: Topo­lo­gische Iso­la­toren können mittels Unord­nung aus normalen Iso­la­toren erzeugt werden, was dem gängigen Ver­ständnis topo­lo­gischer Iso­la­toren völlig wider­spricht. Sind die Eigen­schaften von topo­lo­gischen Materi­alien schon unge­wöhn­lich genug, ist es die Abhän­gig­keit ihrer Eigen­schaften von einer Störung in der Struktur noch umso mehr. Durch die Forschungen von Szameit und seinen Kollegen konnte das Ver­ständnis der rätsel­haften topo­lo­gischen Iso­la­toren ein gutes Stück weiter ver­tieft werden.

U. Rostock / RK

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