12.06.2013

Höchste Priorität für den LHC

Die europäischen Teilchenphysiker haben eine gemeinsame Strategie verabschiedet.

Beispiellos war der Medienrummel im vergangenen Jahr, als die Entdeckung eines Higgs-Bosons am Large Hadron Collider (LHC) verkündet wurde. Damit kam einerseits eine jahrzehntelange Suche zu ihrem erfolgreichen Abschluss, andererseits geht für die Teilchenphysiker die Arbeit in gewisser Weise erst los, denn nun gilt es, die genauen Eigenschaften des neuen Teilchens zu bestimmen. Insbesondere ist auch die Frage unbeantwortet, ob es sich dabei um das Higgs-Boson des Standardmodells oder eines von mehreren einer umfassenderen Theorie handelt. Daher sprechen sich die europäischen Teilchenphysiker in einem Strategiepapier, das der CERN-Rat Ende Mai in Brüssel beschlossen hat, mit höchster Priorität dafür aus, das volle Potenzial des LHC auszuschöpfen. Neben den derzeit durchgeführten Umbauarbeiten, die bis 2015 eine Kollisionsenergie von 14 TeV ermöglichen sollen, umfasst dies auch ein Upgrade für Beschleuniger und Detektoren, um bis 2030 eine gegenüber dem ursprünglichen Plan zehnfach höhere Zahl an Kollisionen zu erreichen. Höchste Priorität in der Strategie haben auch die Entwicklungsarbeiten für ein LHC-Nachfolgeprojekt am CERN, die europäische Beteiligung am International Linear Collider (ILC) sowie die Entwicklung eines Forschungsprogramms für die Neutrinophysik.

Der ILC wird als 30 Kilometer langer Collider von Elektronen und Positronen komplementär zum LHC sein und es erlauben, die Eigen­schaften des Higgs-Bosons und anderer Teilchen mit unerreichter Präzision zu vermessen. Die Planungsarbeiten sind weit fortgeschritten, und am 12. Juni haben die beteiligten Physiker den Technical Design Report der Öffentlichkeit vorgestellt. Zuvor war der vorläufige Report durch das Internationale Komitee für Teilchenphysik (ICFA) begutachtet worden im Hinblick auf technologische Reife sowie Kosten. „Als Quintessenz aus dem Review kann man festhalten, dass der ILC mindestens so weit fortgeschritten ist wie der LHC oder andere vergleichbare Projekte zum Zeitpunkt ihrer Genehmigung“, sagt Joachim Mnich, einer der Autoren des Strategiepapiers und Direktor für Teilchenphysik am DESY in Hamburg. Als wahrscheinlichster Standort für den ILC gilt derzeit Japan, wo sich sowohl Politiker als auch Wissenschaftler für das Projekt stark machen. Nachdem im vergangenen Jahr bereits das deutsche Komitee für Teilchenphysik (KET) diesen Vorschlag mit „enthusiastischer Unterstützung“ begrüßt hatte, erklären nun auch die europäischen Teilchenphysiker ihr Interesse daran, nach einem konkreten Vorschlag aus Japan über eine mögliche Beteiligung zu diskutieren. „Wir können nicht den Anspruch haben, dass solche großen globalen Projekte nur in Europa stehen“, begründet Mnich dieses Novum in der europäischen Strategie. 

Zigtausend elektrische Verbindungen zwischen den Magneten werden überprüft, bevor der LHC wieder in Betrieb gehen wird (Bild: M. Brice / CERN)

 

Damit Europa aber auch künftig eine Führungsrolle in der Teilchenphysik einnehmen kann, müsse es in einigen Jahren ein „ehrgeiziges Beschleunigerprojekt“ für die Zeit nach dem LHC vorschlagen können, heißt es in dem Strategiepapier, das Europa federführend an der „energy frontier“ sieht. Am CERN sollten daher Designstudien sowohl für Proton-Proton- als auch für Elektron-Positron-Collider mit deutlich höheren Energien als LHC bzw. ILC durchgeführt werden. Dazu gehört insbesondere die Weiterentwicklung des CLIC-Projekts (Compact Linear Collider), das seit längerem am CERN verfolgt wird und lange als direkte Konkurrenz zum ILC galt. Inzwischen hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass beide Projekte unterschiedliche Zeitskalen haben. „Den ILC könnten wir im Prinzip ab morgen bauen, bei CLIC sind wir aber über kleine Prototypen noch nicht hinausgekommen“, betont Mnich, der daran erinnert, dass der ILC die gleichen supraleitenden Beschleunigerkavitäten verwenden soll wie der Röntgenlaser European XFEL, der derzeit in Hamburg entsteht. Parallel zu den CLIC-Studien sei ein „energisches“ F&E-Programm für Hochfeldmagnete nötig, um in Proton-Proton-Kollisionen höhere Energien als beim LHC zu erreichen. Außer der empirischen Tatsache, dass höhere Energien grundsätzlich immer wünschenswert sind, gibt es bislang aber keine wissenschaftliche Motivation für ein solches Beschleunigerprojekt. Die Hoffnung der Physiker besteht natürlich darin, dass der LHC bei 14 TeV Resultate zutage fördert, mit denen sich eine solche Maschine überzeugend begründen lässt.

Höchste Priorität soll schließlich auch die Neutrinophysik haben, die in Europa bereits stark vertreten ist. Ergebnisse aus den vergangenen Jahren zu Neutrinooszillationen liefern eine überzeugende wissenschaftliche Begründung für Experimente, bei denen ein Neutrinostrahl auf einen über tausend Kilometer entfernten Detektor gerichtet wird. Europa solle künftig eine wichtige Rolle in solchen „long baseline“-Experimenten spielen und die Möglichkeit sondieren, sich an einem solchen Projekt in den USA oder in Japan zu beteiligen. Anders als beim ILC gibt es derzeit noch mehrere konkurrierende Projekte, darunter ein europäisches mit einem Strahl vom CERN zu einer Mine in Finnland sowie ein als besonders aussichtsreich geltendes amerikanisches mit einem Strahl vom Fermilab zur 1300 Kilometer entfernten Homestake-Mine. „Die Neutrinophysiker sind nun aufgefordert, sich auf ein Projekt zu einigen, um die Chance auf eine Realisierung zu erhöhen“, sagt Mnich.

Schließlich spricht sich das Strategiepapier unter anderem auch für ein breit gefächertes, dynamisches Theorieprogramm aus und betont die wichtige Rolle von nationalen Instituten und Universitäten für die Entwicklung neuartiger Detektoren. In voraussichtlich fünf Jahren soll die Strategie aktualisiert werden. Bis dahin liegen hoffentlich genug LHC-Ergebnisse vor, um die Weichen für die weitere Zukunft der Teilchenphysik zu stellen.

Stefan Jorda

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