28.04.2009

In der Welt geht es mit rechten Dingen zu!

Evolution und Naturalismus bilden die Grundlage der Naturwissenschaft. Von Harald Lesch



Physik Journal – Evolution und Naturalismus bilden die Grundlage der Naturwissenschaft. Von Harald Lesch

2009 ist das Internationale Jahr der Astronomie, gleichzeitig feiern wir das Darwin-Jahr, denn vor 150 Jahren erschien das epochale Werk „Von der Entstehung der Arten“. Beide Anlässe eint der Begriff der Evolution. Dieser lässt sich nämlich nicht nur auf Lebewesen, sondern auf die gesamte Geschichte der Natur anwenden. Bei jedem realen Ding kann man sinnvoll fragen, wie es entstand, wie es sich verändert und wie es wohl enden wird.

Die moderne Astronomie hat sich, ausgehend von den ersten Beobachtungen Galileis im Jahre 1609, zu einer Wissenschaft vom Universum entwickelt, in der sich der Evolutionsaspekt längst klar als zentrales Merkmal herauskristallisiert hat. Sie entwirft, auf Basis der Quantenfeld- und Relativitätstheorien, das große Bild eines knapp 14 Milliarden Jahre alten Prozesses, in dem sich der Kosmos materiell entfaltet. Die dafür nötigen riesigen Zeiträume hat gewissermaßen Charles Darwin bereit gestellt, denn die Geschichte des Lebens lässt sich nur auf einer Zeitskala von Jahrmilliarden verstehen.

Ausgelöst durch ständig verfeinerte Beobachtungstechniken, kontinuierlich verbesserte theoretische Modelle und dank immer größerer Computerleistung ist es gelungen, die Entwicklung des Universums im Ganzen und im Detail zu rekonstruieren und zu erklären.

Der evolutionäre Gehalt astronomischer Forschung stellt also ihr großes Erfolgsgeheimnis dar und eröffnet völlig neue Perspektiven der wissenschaftlichen Arbeit. Dabei wissen wir, dass die jeweiligen materiellen Zustände stets vorläufig sind. Auf jede beantwortete Frage folgt unmittelbar wieder ein neues Problem, möglicherweise aus der alten Fragestellung abgeleitet, und führt das astronomische Forschungsprogramm weiter. Dabei ist es ganz gleichgültig, welcher kosmischen Objektklasse wir uns zuwenden.

Der Erfolg moderner astrophysikalischer Forschung basiert auf der philosophischen Position des Naturalismus, für den der Evolutionsbegriff konstitutiv ist: ohne Evolution keine Wissenschaft von der Natur. Die zentrale These des evolutionären Naturalismus lautet: „In der Welt geht es mit rechten Dingen zu!“ Dies garantiert gewissermaßen die Einheit der modernen Naturforschung.

Der Naturalismus liefert damit auch die Grundlage für die astrophysikalische Grundhypothese, dass die bekannten Naturgesetze überall im Universum gelten müssen. Erst damit ist Astrophysik überhaupt möglich. Sicher können noch weitere, bis jetzt unbekannte Naturgesetze existieren, sie dürfen aber den bekannten nicht widersprechen. Das, was wir wissen, stellt dabei in gewissem Sinne das Minimalprogramm dar.

Im kosmischen Gesamtbild wird auch der Mensch ein Teil der Geschichte der Natur, der sich bei der aktiven Erforschung der Natur des Wechselspiels von Theorie und Erfahrung bedient. Diese Methode ist auf Versuch und Irrtumsbeseitigung angewiesen und auf sich selbst anwendbar. Sie lässt sich immer wieder aufs Neue Tests und Kritiken unterziehen. Das stellt sicher, dass Naturwissenschaften immer besser, im Sinne von weniger falsch, werden. Dem Naturalisten ist der vorläufige Charakter seiner Tätigkeit bewusst, er macht sie sogar zur Methode. Der Verlauf der Wissenschaften bleibt damit offen, denn stets entstehen neue Fragen und Antworten.

Die moderne Astronomie steht hier als grandioses Beispiel des evolutionär geprägten Naturalismus. Gerade ihre Erfolge bei der Erforschung des Anfangs unseres Universums, seiner inneren Entwicklung bis hin zur Entstehung von Sternen und Planeten, von Leben und sogar intelligenten Lebewesen, macht sie zu einer der größten Provokationen für jede Art von dogmatischen Weltansätzen wie dem Kreationismus. Der Abgeschlossenheit idealistischer und dogmatischer Weltentwürfe steht die moderne Wissenschaft gegenüber, die als offenes, transparentes und globales Projekt versucht, die Natur mit all ihren hinreißenden Facetten zu verstehen.

Die Frage „Was ist die Welt?“ bleibt faszinierend, ja dass wir diese Frage überhaupt stellen können und zumindest Teilantworten darauf finden, ist letztlich das wahre Faszinosum unseres Forschungsdranges. Galilei und Darwin haben das Abenteuer Wissenschaft in Gang gesetzt, das nie enden wird. Und genau genommen feiern wir mit dem Internationalen Jahr der Astronomie und dem Darwin-Jahr dieses Abenteuer.




Meinung von Prof. Dr. Harald Lesch, theoretischer Astrophysiker an der Universitätssternwarte München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie. Lesch ist Träger der DPG-Publizistikmedaille und Moderator der ZDF-Sendung „Abenteuer Forschung“.


Physik Journal, Mai 2009, S. 3


AL

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