23.05.2012

Jagd im Untergrund

In einer kanadischen Nickelmine, 2000 Meter unter der Erdoberfläche, könnte das kürzlich eingeweihte Untergrundlabor SNOLAB Antworten auf einige der großen Fragen der Physik liefern.

Gibt es Dunkle Materie und falls ja, woraus besteht sie? Sind Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen? Welche Eigenschaften haben die Neutrinos, die uns von der Sonne oder von Supernovae erreichen? Dies sind einige der zentralen Fragen der Kosmologie, der Astro- und Teilchenphysik. Antworten darauf verspricht nicht der Blick in den Himmel, sondern der Gang in den Untergrund: Nur Detektoren, die abgeschirmt sind von dem ständigen Bombardement der kosmischen Strahlung an der Erdoberfläche, haben eine Chance, äußerst flüchtige Teilchen wie Neutrinos oder Kandidaten für die Dunkle Materie nachzuweisen oder sehr seltene Reaktionen zu beobachten. Mit einer Tiefe von zwei Kilometern, die weltweit kein Labor übertrifft, bietet ein neues Untergrundlabor in Kanada beste Voraussetzungen, zur Beantwortung einiger der zentralen Fragen beizutragen. Am 17. Mai wurde dieses SNOLAB offiziell eingeweiht.

SNOLAB befindet sich unweit von Sudbury, rund 400 Kilometer nordwestlich von Toronto, in einer Mine, die rund zehn Prozent des weltweiten Nickelbedarfs abdeckt. In einem Stollen wurde dort bereits über viele Jahre das inzwischen stillgelegte Sudbury Neutrino Observatory (SNO) betrieben. SNOLAB besteht zusätzlich aus einem Büro- und Laborgebäude über Tag und weist unter Tag eine deutlich größere Fläche auf, sodass es mehrere Detektoren aufnehmen kann. Der größte davon befindet sich derzeit noch im Aufbau: SNO+ nutzt die alte SNO-Infrastruktur und ist im Wesentlichen eine mit 800 Tonnen Flüssigszintillator gefüllte Acrylkugel. Wenn Neutrinos darin mit einem Elektron oder einem Atomkern wechselwirken, entstehen geladene Teilchen, die einen Lichtblitz im Szintillator erzeugen. Diese Blitze weisen 10000 Photomultiplier nach, die die Acrylkugel umgeben. SNO+ soll ab Mitte 2013 zunächst niederenergetische Sonnenneutrinos und Neutrinos von Supernovae nachweisen. In einer späteren Phase soll der Szintillator mit Neodym-150 versetzt werden, um nach dem neutrinolosen doppelten Betazerfall zu suchen. Dieser Zerfall ist nur möglich, falls das Neutrino sein eigenes Antiteilchen ist. Der Detektor EXO, an dem Physiker der TU München beteiligt sind, hat ebenfalls zum Ziel, diesen Zerfall nachzuweisen, allerdings in Xenon-136.

Der Detektor SNO+ besteht aus einer großen Acrylkugel, die mit einem Flüssigszintillator gefüllt und mit Photomultipliern umgeben ist. (Quelle: SNOLAB)

Ausschließlich dem Nachweis von Neutrinos aus Supernovae soll HALO dienen. Im Gegensatz zu allen anderen Neutrinodetektoren wird HALO die Neutronen nachweisen, die nach einer Wechselwirkung eines Neutrinos mit einem Bleikern entstehen. Dadurch „sieht“ HALO nicht nur Elektron-Neutrinos, sondern auch die anderen Neutrinosorten. Sowohl HALO als auch SNO+ sind Teil des weltweiten Supernova Early Warning System. Da Neutrinos einer Supernova die Erde vor den Photonen erreichen, soll es dieses „Frühwarnsystem“ ermöglichen, rasch optische Teleskope auf eine neue Supernova auszurichten. Bereits in Betrieb sind mit COUPP und PICASSO bislang nur zwei kleinere Detektoren, die auf der Suche nach sog. WIMPs sind. Diese Weakly Interacting Massive Particles sind Kandidaten für die Dunkle Materie.

Verglichen mit dem weltweit größten Untergrundlabor Gran Sasso in den italienischen Abruzzen hat SNOLAB den Vorteil der größeren Tiefe. „Dadurch ist der Fluss an störenden Myonen um einen Faktor 100 geringer als in Gran Sasso“, erläutert Kai Zuber, der mit seiner Dresdner Arbeitsgruppe an SNO+ und HALO beteiligt ist. So ist es mit dem Borexino-Detektor im Gran Sasso zwar erstmals gelungen, die sog. pep-Neutrinos aus der Sonne nachzuweisen, erst SNO+ wird es aber ermöglichen, den Messfehler auf wenige Prozent zu reduzieren. Diesen wissenschaftlichen Vorteil erkaufen sich die beteiligten Wissenschaftler aber mit logistischen Nachteilen: Während über den Straßentunnel von Gran Sasso Tieflader ins Labor fahren können, ist der Zugang zu SNOLAB nur über einen Minenschacht und einen vergleichsweise kleinen Fahrstuhl möglich. Und auch persönlich wird den Wissenschaftlern einiges abverlangt: „In zwei Kilometer Tiefe angekommen, laufen wir in voller Minenmontur und bei rund 40 Grad Celsius eineinhalb Kilometer weit zum Eingang des Labors“, berichtet Zuber. Doch damit ist das Ziel noch nicht erreicht, denn mit dem Schmutz aus dem Stollen dürfen sie nicht in das Labor, würden sie doch damit alle Anstrengungen zunichtemachen, in möglichst reiner Umgebung zu experimentieren. Daher stehen die Detektoren in einem riesigen Reinraum, den erst betreten darf, wer geduscht und frische Kleidung angezogen hat. Doch diese Hürden sind unwesentlich angesichts der großen Fragen, die es zu beantworten gilt.

Stefan Jorda

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