30.04.2007

Jahrhundertzeuge mit Weltverantwortung

Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker galt als einer der letzten deutschen Universalgelehrten. Ein Porträt.

Jahrhundertzeuge mit Weltverantwortung

Hamburg (dpa) - Carl Friedrich von Weizsäcker galt als einer der letzten deutschen Universalgelehrten. Sein Fach war nicht nur die Atomphysik, sondern auch die Philosophie. Auf beiden Gebieten forschte und lehrte er. Seine Mitarbeit am deutschen Atomprogramm während der Nazi-Zeit empfand er später als große Schuld. «Wenn solche Waffen möglich werden, dann muss man den Krieg, die jahrtausendealte Institution des Kriegs überwinden, oder die Menschheit wird sich zu Grunde richten», stellte Weizsäcker 1939 zusammen mit seinem Freund, dem Religionspädagogen Georg Picht, fest. «Und das war immer mein Motiv», sagte er in späten Jahren. Am Samstag starb Weizsäcker im Alter von 94 Jahren in Starnberg (Bayern).

In die Politik wechselte der Wissenschaftler trotz vieler Angebote nicht. Zwei Mal, 1964 und 1979, schlug er eine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten aus. Dieses Amt überließ er dem jüngeren Bruder. Richard von Weizsäcker war von 1984 bis 1994 Bundespräsident und damit auch das erste Staatsoberhaupt des vereinigten Deutschlands.

Abb.: Carl Friedrich von Weizsäcker, 28. Juni 1912 - 28. April 2007 (Quelle:Wikipedia)

Doch der Physiker, Philosoph und Christ Carl Friedrich von Weizsäcker war davon überzeugt, dass Wissenschaftler eine politische Verantwortung tragen: «Man kann nicht in unserem Jahrhundert Physik machen, aus der so etwas herauskommt wie zum Beispiel Atomenergie oder Atombomben, und dann sagen, "die Folgen davon gehen mich nichts an".» Zu seiner Mitarbeit am deutschen «Uranprojekt» während des Zweiten Weltkriegs sagte der Wissenschaftler später: «Eine göttliche Gnade» sei es gewesen, dass der Bau einer Bombe in Deutschland technisch nicht zu realisieren war. Er habe mitgemacht, um politisch Einfluss nehmen zu können. «Es wäre tödlich schief ausgegangen.»

1945 in England mit anderen deutschen Physikern interniert, erfuhr Weizsäcker von den Atombomben-Abwürfen auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki und die grausamen Folgen. Gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr engagierte er sich 1957, kurz nach der Ernennung von Franz Josef Strauß (CSU) zum Verteidigungsminister. In dem überwiegend von Weizsäcker formulierten «Manifest der Göttinger Achtzehn» erklärten namhafte Physiker damals, sich für Deutschland nicht «an der Herstellung, Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen».

Auch die Erkenntnis, dass Umwelt- und Entwicklungsprobleme global zusammengehören, wollte der Wissenschaftler früher als andere der Politik bewusst machen. Endzeitängste lehnte Weizsäcker aber stets ab: «Weltuntergangsszenarien haben den einzigen Nutzen, dass sie den Leuten einen Schrecken einjagen, damit sie etwas tun», sagte er. Zudem war er überzeugt: «Es gibt echten Fortschritt durch Einsicht.» Schon seit seiner Kindheit beschäftigte ihn die Frage nach der Einheit der Natur. In dem umfassenden Werk «Zeit und Wissen», 1992 zu seinem 80. Geburtstag fertig gestellt, entfaltete er seine Weltsicht.

Weizsäcker wurde am 28. Juni 1912 in Kiel als Sohn des Diplomaten Ernst von Weizsäcker geboren. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er als Schüler von Werner Heisenberg und Niels Bohr, als Mitarbeiter von Otto Hahn und Lise Meitner, und er hatte Kontakt mit dem Philosophen Martin Heidegger. Dozentur in Berlin, Professuren in Straßburg und Göttingen als Physiker waren die nächsten Stationen. Internationale Anerkennung als Atomphysiker erhielt er durch die nach ihm benannte Weizsäcker-Formel für die Energiesubstanz der Atomkerne. 1957 folgte er einem Ruf nach Hamburg, um Philosophie zu lehren («meine glücklichste Zeit»). Seine Studenten bewunderten seine völlig freie, klare und eindringliche Redeweise.

Zehn Jahre (1970-1980) leitete Weizsäcker das Starnberger Max-Planck-Institut zur - interdisziplinären - Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, von ihm selbst als «Institut für unangenehme Fragestellungen» bezeichnet. Die Schließung des Instituts nach seinem Rückzug schmerzte den Wissenschaftler: «Das hieß eben doch auch, dass die Aktualität der Probleme und der interdisziplinären Forschung nicht eigentlich gesehen wurde», sagte er.

Seine 63 Jahre währende Ehe (seit 1937) mit der Schweizer Historikerin Gundalena half ihm über manche Lebenskrise hinweg. Auf die große Familie - vier Kinder, zahlreiche Enkel sowie Urenkel - war er stolz.

Matthias Hoenig und Katrin Börner, dpa

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