Sie ist eines der bekanntesten Wellenmuster in Wolken und zahlreichen anderen bewegten Medien: die kármánsche Wirbelstraße, benannt nach dem ungarisch-amerikanischen Physiker und Aerodynamik-Pionier Theodore von Kármán. Typischerweise entstehen solche Wirbelmuster, wenn etwa eine Lufströmung über dem Ozean an einem Inselberg gestaut wird. Dann bilden sich hinter dem Berg abwechselnd rechts- und linksdrehende Wirbel, die stabil genug sind, um noch weit hinter dem Berg sichtbar zu sein. Modellhaft vereinfacht kann man diese Wirbel im zweidimensionalen Fall betrachten, wenn in ein stationär strömendes Medium einer bestimmten Viskosität ein zylinderförmiges Hindernis eingebracht wird.
Abb.: Hinter einem zylinderförmigen Hindernis kann sich eine Kármánsche Wirbelstraße ausbilden (oben). Im Quantenfall (unten) sind die Wirbel durch die Quantisierungsbedingung in ihrer Größe festgelegt. (Bild: A. Stonebraker / N. Parker / obere Hälfte von Wikimedia Commons, J. Wagner)
Die Art der Wirbelbildung hängt dabei von der Reynolds-Zahl ab, in die die Strömungsgeschwindigkeit, der Durchmesser des Zylinders und die Viskosität eingehen. Bei niedrigen Geschwindigkeiten und einer Reynolds-Zahl unter 50 bleibt die Strömung laminar. Bei höheren Reynolds-Zahlen bilden sich dann auf beiden Seiten Wirbel hinter dem Hindernis: Eine kármánsche Wirbelstraße entsteht. Dieses Strömungsverhalten ist über einen großen Bereich von Geschwindigkeiten stabil und wird – je nach Medium – ungefähr ab einer Reynolds-Zahl von 105 schließlich völlig turbulent.
Eine große Frage in der Strömungsmechanik lautet nun: Was passiert in einem solchen Fall in einem supraflüssigen Medium? Hier verschwindet die Viskosität – die Reynolds-Zahl lässt sich deshalb nicht mehr definieren. Supraflüssigkeiten zeigen ähnlich wie Supraleiter dank Quanteneffekten auch auf makroskopischer Skala ein außergewöhnliches Verhalten. Aufgrund der fehlenden inneren Reibung kann eine Supraflüssigkeit im Prinzip endlos weiterströmen und etwa auch ein Hindernis widerstandsfrei umströmen. Im obigen Beispiel bedeutet das, dass der Zylinder keine Kraft erfährt, wenn er von einer Supraflüssigkeit laminar umströmt wird. Bilden sich in einer Supraflüssigkeit jedoch Wirbel, entnehmen diese der Strömung Energie und wirken wie eine effektive Viskosität. Das Standardbeispiel einer kármánschen Wirbelstraße bietet sich zur Untersuchung dieser Frage deshalb besonders an, konnte bislang aber nie experimentell beobachtet werden.
Abb.: Bei zunehmender Geschwindigkeit wird das Verhalten turbulenter. (Bild: W. J. Kwon et al.)
Ein Team koreanischer Physiker um Yong-il Shin von der Seoul National University ist diesem Problem nun nachgegangen, indem sie eine Supraflüssigkeit aus einem speziellen Bose-Einstein-Kondensat untersuchten. Dieses Kondensat bestand aus rund fünf Millionen Natrium-Atomen, die auf eine Temperatur von nur 200 Nanokelvin heruntergekühlt waren. Dieses Kondensate bildet ein abgeplattetes, supraflüssiges Quantengas mit einer Ausdehnung von rund 200 Mikrometern. Die Forscher simulierten nun ein zylinderförmiges Strömungshindernis, indem sie mit einem abstoßenden Laserstrahl ein rund zehn Mikrometer durchmessendes Loch in das Natrium-Gas stießen, das sie dann mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch das Bose-Einstein-Kondensat zogen.
Interessanterweise stellten sich hier analog zum klassischen Fall links und rechts des Hindernisses Quantenwirbel ein, die je rund einen Mikrometer durchmaßen. Das Strömungsverhalten beschrieben die Forscher mit einer für Supraflüssigkeiten modifizierten Reynolds-Zahl. Die Wirbel bildeten sich bereits ab einem Wert von 0,7. Dies entsprach einer Strömungsgeschwindigkeit von etwas über einem Millimeter pro Sekunde. Zwar konnten frühere Experimente bereits die Entstehung von gegenläufig rotierenden Wirbelpaaren in solchen Quantengasen nachweisen, nicht jedoch „Quanten-Kármán-Wirbelstraßen”.
Je höher die Wissenschaftler die Geschwindigkeit wählten, desto mehr Wirbel entstanden – wie man es auch im klassischen Fall erwarten würde. Bei sehr hohen Geschwindigkeiten schließlich wurde die Wirbelablösung völlig unvorhersehbar, was den Übergang zu einer völlig turbulenten Strömung darstellte.
Der Vergleich zwischen klassischem und supraflüssigem Quanten-Strömungsverhalten zeigte also erstaunliche Analogien. Dabei bestehen zwischen beiden Arten von Flüssigkeiten einige entscheidende Unterschiede. So ist in einer Supraflüssigkeit die Rotationsenergie von Wirbeln quantisiert, während klassische Kármán-Wirbel beliebige Größe haben können. In die Supraflüssigkeits-Reynolds-Zahl geht dementsprechend das Plancksche Wirkungsquantum ein. Insbesondere bei höheren Strömungsgeschwindigkeiten vereinigten sich einige der Quantenwirbel – typischerweise bis zu fünf – aber zu größeren Clustern.
Die Forscher bestimmten auch die Strouhal-Zahl, die die Ablösefrequenz von Wirbeln angibt. Im klassischen Fall ist sie erstaunlich stabil und beträgt ungefähr 0,2 über einen großen Bereich von Reynolds-Zahlen. Die Messungen ergaben im supraflüssigen Fall ebenfalls Werte in diesem Bereich. Dies deutet auf ein universelles Strömungsverhalten hin, das sowohl im klassischen wie im supraflüssigen Fall Bestand hat.
Dirk Eidemüller
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