Kollisionen in der Lichtzange
Lasergekühlte Moleküle erstmals einzeln in optischer Pinzette festgehalten.
Ultrakalte Moleküle sind für eine Vielzahl von Quantentechnologien interessant. Sowohl für Quantensimulationen und -computing als auch für Präzisionstests des Standardmodells oder quantenchemischer Modelle bieten sie hervorragende Möglichkeiten. Im Vergleich zu Atomen besitzen sie eine viel komplexere innere Struktur, so dass sich die molekularen Eigenschaften in Hinsicht auf die gewünschte Fragestellung gezielt einstellen lassen. Doch auch wenn die Präparation ultrakalter Moleküle in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat, waren sie doch stets schwieriger zu kontrollieren als einfachere Systeme wie Atome oder Ionen.
Ein Forscherteam um John Doyle von der Harvard University und Wolfgang Ketterle vom Massachusetts Institute of Technology hat jetzt eine besondere optische Pinzette vorgestellt, mit der sie einige wenige oder sogar einzelne Moleküle bei sehr tiefen Temperaturen gefangen halten können. Das Spannende an dieser Technik ist vor allem, dass sich einerseits die Quanteneigenschaften der fixierten Moleküle hervorragend kontrollieren lassen, und dass sich andererseits genau zwei Moleküle in einer solchen Falle unterbringen lassen. Das macht es möglich, Kollisionen dieser Moleküle unter genau definierten Bedingungen am quantenmechanischen Grundzustand stattfinden zu lassen und damit fundamentale Tests chemischer Reaktionen durchzuführen.
Zunächst luden die Forscher etwa 10.000 Kalzium-Monofluorid-Moleküle in eine magneto-optische Falle. Um eine nennenswerte Anzahl dieser Moleküle in die optische Pinzette zu überführen, war die Moleküldichte in einer solchen Falle aber noch um Größenordnungen zu niedrig. „Dazu mussten wir die Dichte der lasergekühlten Moleküle deutlich erhöhen, um sie in den mikrometergroßen Fokus der Pinzette zu laden“, sagt Team-Mitglied Loic Anderegg von der Harvard University.
Hierzu diente zunächst eine optische Dipolfalle, die von einem Laserstrahl mit 1064 Nanometern Wellenlänge erzeugt wurde. Als nächste Stufe folgte dann die optische Pinzette, die die Forscher mit eng fokussierten Laserstrahlen der Wellenlänge von 780 Nanometern realisierten. Mit Hilfe von Lambda-Kühlung ließen sich die Kalzium-Monofluorid-Moleküle dabei in den Bereich von einigen Dutzend Mikrokelvin herunterkühlen.
Den Pinzetten-Laserstrahl spalteten die Forscher in mehrere Teilstrahlen auf und erzeugten auf diese Weise insgesamt fünf optische Pinzetten, die sie mit Kalzium-Monofluorid-Moleküle beluden. Diese Molekülart besitzt eine wünschenswerte Eigenschaft, die das Experimentieren mit ihnen erleichtert: Sie lassen sich durch Absorption von Laserstrahlung leicht elektronisch anregen und fallen durch spontane Emission in den Grundzustand zurück – was eine gute Detektierbarkeit der Moleküle ermöglicht.
Zu Beginn des Experiments war jeweils eine kleine, aber unbekannte Menge von Molekülen in jeder Falle. Mit Hilfe lichtinduzierter Kollisionen entfernten die Wissenschaftler dann schrittweise Moleküle aus den optischen Käfigen, bis schließlich jeweils nur noch eine Handvoll Moleküle in ihnen enthalten waren. Die Anzahl der Moleküle ließ sich optisch anhand von Fluoreszenzstrahlung bei 606 Nanometern Wellenlänge nachweisen: Teilweise waren die Fallen leer, manche enthielten auch vier oder fünf Moleküle. Im Optimalfall enthielten sie genau zwei. An diesen konnten die Forscher dann unter perfekt kontrollierten Bedingungen molekulare Stöße analysieren.
Damit kann man nicht nur einzelne Moleküle in verschiedenen Quantenzuständen kontrollieren. Auch der Effekt beliebiger externer Felder auf das Verhalten der Moleküle lässt sich so eingehend studieren. Dadurch sollte es einerseits möglich sein, grundlegende Fragen zu chemischen Reaktionen zu klären und etwa die Vorhersagekraft quantenchemischer Kalkulationen unter exakt kontrollierten Bedingungen zu prüfen. Andererseits können die Forscher dank der präzise einstellbaren experimentellen Rahmenbedingungen auch weitere Optionen wie etwa eine Verdampfungskühlung untersuchen. Damit sollten sich noch tiefere Temperaturen erreichen lassen.
Die Methode ist nicht auf diese Molekülart beschränkt, sondern sollte auch auf ganz andere Moleküle anwendbar sein. Die Forscher gehen davon aus, dass sich nicht nur einfache zweiatomige Moleküle, sondern auch sehr viel komplexere Moleküle aus vielen Atomen mit solchen Pinzetten einfangen lassen sollten.
Ein wichtiger Aspekt bei diesen Fallen ist, dass sie sich im Prinzip in beliebigen Geometrien anordnen lassen. Damit ließen sich verschiedene Molekülsorten in verschiedenen Wechselwirkungsbereichen miteinander in Kontakt bringen, was für künftige Anwendungen und insbesondere für Quantensimulationen sehr interessant ist.
„Indem man die Moleküle polarisiert, sollten sich auch langreichweitige dipolare Wechselwirkungen zwischen den Molekülen herstellen lassen“, sagt Anderegg. Wenn man die optischen Pinzetten geschickt miteinander verzahnt, lassen sich so maßgeschneiderte Wechselwirkungen zwischen den Molekülen erzeugen, was für Quantensimulatoren entscheidend ist. In Zukunft wollen die Forscher außerdem ihre gefangenen Moleküle als Plattform für Quantenbits nutzen. Da sich deren Zustände sehr effizient präparieren lassen und da sich zudem das Auslesen dank des inhärent starken Photonsignals einfach gestaltet, könnten sich solche Molekülfallen als Alternative zu atomaren Qubits erweisen. Dank langer Kohärenzzeiten bieten sich solche Systeme insbesondere für ein fehlertolerantes Quantencomputing an.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
L. Anderegg et al.: An optical tweezer array of ultracold molecules, Science 365, 1156 (2019); DOI: 10.1126/science.aax1265 - Harvard Doyle Research Group, Dept. of Physics, Harvard University, Cambridge, USA
- MIT-Harvard Center for Ultracold Atoms (W. Ketterle), Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA
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